Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking


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hatte, zwei ländlich gekleidete Individuen, die nebeneinander auf der Pritsche saßen, und nachdem sie den neuen Ankömmling eine Weile neugierig betrachtet hatten, sich flüsternd zusammen unterhielten.

      Eine Viertelstunde lang mochte Richard so hin und her geschritten sein, als die Ermüdung, welche er im Anfang nicht beachtet hatte und die nach all seinen Wanderungen am heutigen Tage sehr erklärlich war, ihn zwang, sich niederzulassen.

      Er setzte sich auf eine Ecke der Pritsche, entfernt von den zwei flüsternden Männern.

      Ohne auf ihr Gerede zu hören, vernahm er doch einzelne Worte ihres Zwiegesprächs, und plötzlich blickte er überrascht auf und beobachtete sie – er hatte den einen dieser Männer den Namen: Mamsell Ritterhausen aussprechen gehört.

      Bei dieser plötzlichen Aufmerksamkeit des neuen Ankömmlings auf ihr Gespräch hörten beide zu reden auf und sahen Richard an.

      Es war Abend geworden und in dem Polizeigefängnis zu dunkel, um das Aeußere der beiden im Hintergrunde hockenden Gesellen genau zu erkennen. Nur so viel nahm Richard wahr, daß der eine der zwei ein häßlicher Strolch mit einer plattgedrückten breiten Nase und einem auffallend großen Munde war. Der andere sah besser gekleidet und reputierlicher aus; seine Züge schienen feiner und bleicher, als man sie bei Landleuten zu finden pflegt, und seine Augen leuchteten eigentümlich hell und lebendig durch die Dämmerung. In Richard tauchte eine Erinnerung auf... es war ihm, als habe er diesen Menschen mit den leuchtenden Augen schon früher gesehen; er wühlte in seinem Gedächtnis und dabei kam ihm bald der Umstand zu Hilfe, daß die zwei Gefangenen jetzt wieder ihre Unterhaltung begannen und daß die Stimme des Mannes mit bekannten, wenn auch lange nicht vernommenen und aus seinen fernen Kinderjahren herüberklingenden Tönen sein Ohr berührte.

      »Berend,« sagte er plötzlich laut und sich ihm zuwendend »seid Ihr es nicht – der Spielberend?«

      »Spielberend heiße ich bei den Leuten, wenn ich mich auch nicht so schreibe, Herr,« antwortete der Mann; »und der hier neben mir sitzt,« fügte er hinzu, »das ist der Lügenschuster Matthias von Hebborn, wenn Ihr den kennt. Und da wir so daran sind, Bekanntschaft zu machen, wer seid Ihr denn, Herr?«

      »Spielberend,« wiederholte Richard, »also Ihr wandelt noch immer umher mit Eurer Geige und jagt den Kindern Furcht ein, wie Ihr es mir einst getan habt – wie oft! Nun, das ist vorüber, und ich will Euch gern sagen, wer ich bin,« setzte er trübe lächelnd hinzu, »denn Furcht habe ich keine mehr vor Euch wie damals, als ich Reißaus nahm, sobald Ihr den Bergweg heraufgeschlendert kamt mit Euerm Geigensack, von dem wir Kinder glaubten, daß neben der Geige irgendein kleiner Teufel darin stecke. Ich bin Richard von Huckarde!«

      Die beiden Männer stießen gleichzeitig einen Ruf der Verwunderung aus und fuhren von ihren Plätzen empor, um an Richard heranzutreten und ihm die Hand zu schütteln und ihn mit ihren Fragen zu umdrängen, woher er komme, welches Schicksal ihn in der Fremde getroffen und wie er nun gar an diesen Ort geraten!

      Richard gab kurze Auskunft, soviel ihm gut schien.

      »Aber daß ein solcher feiner Herr hierher gebracht wird!« rief der Schuster aus ... »denn wenn’s auch keine Schande just nicht ist, es kann ja auch einem ehrlichen Kerl passieren, wie dem Berend und mir, bloß weil sie jetzt allerhand neue Gewerbegesetze und Polizeiverordnungen machen, von denen in der guten alten Zeit niemand nichts wußte und womit sie jetzt die Leute drangsalieren, so daß man, ehe man sich’s versieht, eingespunnt sitzt und kommt in Verlust und Schaden und verliert seine Kundschaft, die man acht oder gar vierzehn Tage lang nicht bedienen kann, und das um weiter nichts, als weil man’s nicht richtig gemacht hat mit dem Maire und dem Receveur, und was da nun alles einem armen Teufel an seine paar sauer verdienten Stüber will; und darum sage ich, eine Schande ist’s just nicht in der heutigen Zeit, aber verwundern tut es einen doch, von einem feinen vornehmen Herrn ...«

      Richard hielt es nicht für nötig, den Lügenschuster diesen langen Satz zu Ende führen zu lassen; er unterbrach ihn mit den an Spielberend gerichteten Worten: »Es verlohnt nicht der Mühe, davon zu reden, wie ich hierher gekommen bin; Ihr könnt immerhin annehmen, daß an meinen Pässen und Papieren etwas gefehlt habe – sagt mir, was Ihr vorhin von Mamsell Ritterhausen sprachet.«

      »Ich weiß nicht, Herr,« versetzte Spielberend »ob Ihr von allem unterrichtet seid, was in den letzten Tagen vorgegangen ist in dem Hause, welches einst das Eurige war ...«

      »Ich weiß alles, Berend, darum redet!«

      »Nun seht, so wißt Ihr auch, daß Herr Ritterhausen, und seine Tochter in Verdacht sind, und daß diese Franzosen sich in den Kopf gesetzt haben, von dem Rheider Hammer aus müßte der Streich geführt worden sein, der den fremden Grafen aus der Welt geschafft hat.«

      »Ich weiß es, Berend. Was weiter?«

      »Nun, weiter sagt’ ich nichts zu meinem Freunde, dem Lügenschuster hier, als daß die Franzosen gar dumm sind: denn wären sie nicht dumm, so hätten sie längst sich gesagt, daß ein Mann ist im Lande der Berge, der mehr weiß und mehr sieht als sie alle miteinander, und sie wären gekommen und hätten den Mann gefragt, und er würde ihnen gesagt haben, was für ein Messer das gewesen ist, das den toten Grafen kalt gemacht hat. Auf dem Rheider Hammer ist es nicht geschmiedet, das Messer, das versichere ich Euch, Herr!«

      »Ihr versichert es, Berend ... und da Ihr jawohl selber der Mann seid, von dem Ihr sagt, daß er mehr weiß und sieht als andere Leute, so hoffe ich, Ihr haltet gegen mich nicht hinter dem Berge mit dem, was Ihr von der Sache erfahren habt.«

      »Erfahren? Nun, wenn Ihr’s erfahren nennen wollt, Herr, so bin ich damit zufrieden, weil Ihr es seid, Richard von Huckarde, den ich von klein auf gekannt habe, und der, wenn er auch von Natur und Rechts wegen ein vornehmer Herr ist, doch niemals stolz war gegen unsereinen, und auch heute noch nicht – besonders,« setzte Spielberend mit listigem Augenblinzeln hinzu, »wo man so gemütlich mit ihm zusammen ist wie hier in dieser angenehmen Gesellschaft, zu der uns die Herren Franzosen zusammen geladen haben! Und so sage ich Euch, Herr, daß ich etwas davon erfahren habe. Denn es ist in der Nacht passiert, und wenn ich auch nicht dabei gewesen, Gott bewahre meine Seele, so weiß ich doch, wie es ist zugegangen, und wie der Deserteur aus seinem Versteck, das die Mamsell Ritterhausen ihm gewiesen hatte, ist hervorgekommen und ist an des Grafen Bett getreten und hat davor gestanden und hat ihn betrachtet, wie er dagelegen in seinem Schlaf, und der Deserteur hat dabei allerlei böse Gedanken gehabt in seinem tückischen Kopf. Denn die beiden, müßt Ihr wissen, Herr, waren alte Bekannte, der Deserteur und der Graf, und hatten schon einmal miteinander zu tun gehabt, um ein Weibsbild, mein’ ich, ist es gewesen, oder welchen Span sie sonst miteinander mögen gehabt haben. Wie nun der Deserteur so dasteht und denkt, soll ich jetzt dich kalt machen oder soll ich es nicht, da wacht plötzlich der Graf auf. Und weil er ein Licht hat vor seinem Bette brennen lassen, erkennt er den Johannes – Johannes Selke hieß der Mann mit seinem richtigen Namen – erkennt er gleich sein Gesicht, und da hat er einen Todesschreck bekommen und hat nach einem Messer oder Dolch, den er auf seinem Tischlein vor dem Bett liegen gehabt, gegriffen, und ist aufgesprungen und hat dem Selke das in den Hals stoßen wollen. Der Selke aber nicht faul, faßt des Grafen Arm, und nun ringen sie und der Selke erhält mit dem Messer eins in die Rippen, bekommt aber gleich darauf das Messer zu packen und sticht den Grafen damit in die Brust, daß er rücklings überstürzt auf sein Bett zurück. Und da faßt der Selke ihn an die Gurgel und stranguliert ihn mit der Faust, bis er hin ist und kaput!«

      »Und der Mörder?« rief hier Richard, der atemlos vor Spannung dieser Erzählung gelauscht hatte, aus.

      »Der Johannes? Der macht sich sacht sogleich aus dem Staube, hinten zum Turm hinaus, wo er die Tür leichtlich von innen aufmachen kann; denn das Schloß schließt schon lange nicht mehr und es ist nur ein alter Riegel noch da ...«

      »Und alles das, Berend,« fiel Richard ein, »wollt Ihr erfahren haben durch Eure Spukseherei?«

      Der Lügenschuster lachte hier.

      »Spukseherei!« sagte er. »Wollte Gott, es wäre bloßer Spuk gewesen!«

      Berend schwieg. »Um des Himmels willen, Mensch, woher habt Ihr dies alles,« fuhr Richard den


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