Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
Und mit diesen Worten machte der Großherzog der Dame eine galante Verbeugung, die ihr andeutete, daß die Audienz zu Ende sei, verabschiedete Ermanns mit einem kleinen Nicken des Kopfes und verschwand durch die Tür, durch welche er gekommen war, um seine Spielgesellschaft wieder aufzusuchen.
Monsieur Ermanns bot der Gräfin dienstbeflissen den Arm und beide verließen den Jägerhof, während Murat aufgeregt eilte, seinen Spielpartnern die neue Wendung mitzuteilen, welche die Angelegenheit genommen hatte, und ihnen von der Rolle zu erzählen, die dabei derselbe seltsame Mensch gespielt, der soeben noch Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen.
Fünfzehntes Kapitel
Monsieur Ermanns als Unterhändler
Es war um die Mittagszeit des andern Tages, als bei der Gräfin Henriette von Epaville in ihrer Wohnung im Gasthofe der Polizeibeamte eintrat.
»Nun, welche Nachrichten bringen Sie mir?« sagte, die kleine Gräfin, ihm in großer Spannung entgegeneilend, »ist der Mensch tot?«
»So ist es, Frau Gräfin,« antwortete Monsieur Ermanns. »Eben kommt der Brigadier der Gendarmerie, den ich nach ihm ausgesandt hatte, mit der Nachricht zurück, daß der Deserteur schon in der gestrigen Nacht gestorben ist. Der wandernde Musikant aber ist auf seine Aussagen heute morgen von mir eidlich vernommen worden, und über der ganzen Sache waltet jetzt kein Zweifel mehr. Nach allem, was Sie, Madame, mir gestern abend über eine aus einer frühern Begegnung zwischen Ihrem getöteten Gemahl und diesem Johannes Selke entstandene Feindschaft angegeben haben, muß die Untersuchung den Schluß ziehen, daß der letztere den Grafen aus eigenem Antriebe getötet hat. Die Angaben, welche Sibylle Ritterhausen mir über ihn gemacht hat und die mir wenig Glauben zu verdienen schienen, stellen sich dadurch als wahre heraus. – Aus dem, was man bei seinem ehemaligen Regimente über den Menschen weiß und was in den Musterrollen steht, erhellt wenig; es trifft aber insofern ganz mit Ihren Aussagen überein, als er zwar in Holland angeworben, doch nicht holländischen Ursprungs war, sondern kurz vorher aus Westfalen dahin ausgewandert.«
»Nun, Gott wird ihn richten,« sagte Madame d’Epaville, »und die Familie, welche in die Untersuchung verwickelt wurde...«
»Wird jetzt sofort außer Verfolgung gestellt, denn es liegen durchaus keine Tatsachen mehr gegen dieselbe vor. Die Demoiselle Ritterhausen hat zwar die Unbesonnenheit begangen, dem Deserteur ein Asyl in der Rheider Burg anzuweisen. Dies ist jedoch geschehen, bevor die Burg Ihres Gemahls Eigentum wurde. Es kann also nicht mit der Absicht geschehen sein, die Feindschaft des Selke wider dessen Opfer zu benutzen. Auch spricht nichts dafür, daß die Ritterhausen nachher, nachdem der Graf Eigentümer der Burg geworden, heimlich die Feindschaft des Deserteurs wider den Grafen auszubeuten gesucht hätten. Wir haben deshalb auch bereits die Überwachung des Rheider Hammers aufgehoben. Es lag freilich noch ein Verdacht aus älterer Zeit gegen den Herrn Ritterhausen vor. Aber es würde nichts fruchten, diese Geschichte aufzurühren; der Hauptzeuge, den wir haben würden, Richard von Huckarde, erklärt den Hammerbesitzer für unschuldig, und deshalb würde die Verfolgung vor den Geschworenen jedenfalls eine Niederlage erleiden. Was ist da also zu machen? Man legt es ad acta.
»Und damit, meine gnädigste Gräfin,« fuhr Monsieur Ermanns fort, »wäre diese Angelegenheit beendigt. Es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen auszudrücken, daß ich sehr unglücklich bin, nur in einer für Sie so traurigen Sache zu Ihren Diensten gewesen zu sein. Kann ich irgendwie sonst Ihnen meine Ergebenheit beweisen, so darf ich hoffen, daß Sie über mich verfügen!«
»Sie könnten mir einen Rat geben, mein Herr,« versetzte die kleine Gräfin nach einer Pause und mit einer gewissen Zögerung.
»O, sprechen Sie rückhaltlos, meine Gnädigste, Sie glauben nicht, wie sehr es mein Wunsch ist, Ihnen zu dienen.«
»Der junge Mann, dessen Sie eben erwähnten ...«
»Richard von Huckarde?«
»Derselbe – er ist hierher gekommen, um zu versuchen, die Burg seiner Väter wiederzuerhalten –«
»Was ihm niemals gelingen kann,« fiel Ermanns ein. »Das Gut ist schon von der vorigen Regierung eingezogen, von dieser auf den Großherzog übergegangen, durch letztem an den Grafen Epaville verschenkt – das Gut gehört Ihnen, Frau Gräfin, und Ihrem kleinen Sohne, und niemand auf der Welt kann Ihnen diesen Besitz streitig machen. Hat Herr von Huckarde Ansprüche, so mag er sie bei der ehemaligen pfälzischen Regierung geltend machen – was ihm freilich, da diese nicht mehr existiert, schwer werden dürfte!«
»Ich glaube das,« versetzte die Gräfin, »auch der Großherzog hatte die Gnade, mich über meine Zukunft in dieser Beziehung zu beruhigen; aber sehen Sie, mein Herr, ich habe Mitleiden mit dem jungen Manne, ein tiefes aufrichtiges Mitgefühl – und,« fuhr sie fort, indem sie leicht errötend niederblickte »ich möchte dieser Teilnahme einen Ausdruck geben, ich möchte etwas tun, um seine Zukunft sicherzustellen. Vielleicht wäre ihm geholfen, wenn ich ihm die Verwaltung meines Gutes übertrüge. Wenn ich mich entschließen sollte, das Gut selbst zu bewohnen, bedarf ich ja auch bringend eines Geschäftsführers und Beirats; – aber Sie sehen ein, daß ich nicht diejenige sein kann, welche ihm mit solchen Anträgen entgegenkommt. Es wäre möglich, daß er sie zurückwiese; und solange er Hoffnungen hegt, das Gut wiederzuerhalten, würde er mein Wohlwollen ohne Zweifel zurückweisen.«
»Ich verstehe,« fiel Monsieur Ermanns ein, »es würde zunächst zum Heile dieses jungen Herrn dienen, wenn man ihm klar machte, daß er sich keinen Illusionen hingeben dürfe.«
»Und aus dem Munde eines bewährten Geschäftsmannes kommend, würden solche Versicherungen ihm einen tiefern Eindruck machen,« sagte die Gräfin.
»Deshalb wünschen Sie, Madame, daß ich ihm die Hoffnungslosigkeit seiner Lage auseinandersetzen soll.«
»Das ist es, was ich von Ihnen zu erbitten wage, Monsieur,« fiel Madame Henriette ein. »Aber wir wollen es nicht Hoffnungslosigkeit nennen, weil ich die besten Absichten für ihn habe. Es käme nur auf ihn an, ob er diese annehmen, ob er meine Hilfe nachsuchen würbe!«
Um Monsieur Ermanns Lippen spielte ein ironisches Lächeln. Er schwieg einen Augenblick – gerade so lange, um eine kleine Betrachtung über die Schwächen weiblicher Natur anzustellen und sich im stillen zu sagen, Madame Henriette sehne sich bereits nach einem Tröster in ihrer hilfebedürftigen Witwenschaft und drapiere diese leise Sehnsucht vor sich selbst und vor andern in das Gewand der rührendsten Güte und der uneigennützigsten Besorgnis um das Schicksal des jungen Mannes.
»Madame,« sagte er dann, »der junge Mann, von dem wir reden, müßte sehr verhärtet sein, wenn er nicht tief bewegt würde durch solche Gesinnungen, wie Sie sie eben aussprachen. Allein ob er annehmen würde was Ihre Güte ihm, bieten könnte, ist sehr die Frage. Denn was seine Hilflosigkeit angeht, so kann diese nicht groß sein, wie Sie voraussetzen. Er hat sich den Ritterhausen zum Opfer bringen wollen, und diese Leute, welche sehr wohlhabend sind, werden für einen solchen Heroismus dankbar sein ...«
»Nun ja,« versetzte die Gräfin, »sie könnten ihm eine Zuflucht bei sich bieten, ihm Geld zur Verfügung stellen; aber, wie ich ihn kenne, würde er solche Wohltaten anzunehmen Bedenken tragen. Er würde zu stolz dazu sein. Etwas anderes ist, was ich ihm zu gewähren bereit bin – es beweist ihm nicht allein ein Vertrauen, sondern es fordert auch Dienste, es nimmt seine Zeit und Tätigkeit in Anspruch und deshalb kann seine Ehre sich nicht davon verletzt fühlen!«
»Madame,« antwortete der Polizeibeamte, »ganz gewiß ist dies außerordentlich richtig bemerkt. Allein es walten hier besondere Umstände ob, welche mich glauben lassen, daß Richard von Huckarde mehr als geneigt ist, aus den Händen der Ritterhausen nicht nur eine Unterstützung, sondern alles, was sie besitzen, anzunehmen.«
»Wie verstehe ich das?«
»Nun, meine Gnädigste, was ich damit andeuten will, würde Ihnen nicht dunkel sein, wenn Sie, wie ich, Zeuge der Begegnung zwischen Herrn von