Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
auffahrend.
»Sie lagen einander in den Armen, Brust an Brust gepreßt,« ergänzte Ermanns.
Gräfin Henriette antwortete nicht auf diese Mitteilung, welche sie sehr zu überraschen schien. In ihren Mienen jedoch glaubte Monsieur Ermanns den Ausdruck einer außerordentlich großen und schmerzhaften Enttäuschung zu ertappen.
Arme Frau, dachte er dabei, nicht ohne einen Anflug innern Spottes – arme Frau – dir stürzt ein Luftschloß ein! Es war freilich etwas voreilig aufgebaut! Aber was soll man da machen? Dein Mann hat es nicht um dich verdient, daß du ihm lange nachtrauerst!
»Mein Gott,« sagte Madame Henriette seufzend nach einer langen Pause, »so bin ich wieder ratlos! Was soll ich nun mit meinem Gute machen! Wie soll ich es verwalten lassen, ohne daß man mich beraubt und bestiehlt! Ich bin unerfahren wie ein Kind in solchen Dingen!«
»Da Sie Ihr Gut doch wohl selbst bewohnen wollen, Madame,« versetzte Ermanns, »so werden Sie bald so viel Erfahrung gewinnen, um mit einem nur halbwegs treuen Verwalter an Ihrer Seite sich selbst helfen zu können. Das eigene Interesse ist ein gar guter Lehrmeister.«
»Ich sollte das Gut selbst bewohnen?« rief hier Madame Henriette aus. »In dem fremden garstigen, kalten Lande, wo ich niemand zum Freunde habe, niemand kenne, nicht einmal die Sprache der Menschen recht verstehe? Da soll ich das Haus beziehen, worin man meinen armen Mann soeben ermordet hat? Welche Voraussetzung, welche Zumutung, mein Herr!«
»Ihre Worte von vorhin ließen mich diese Voraussetzung machen. Es Ihnen zuzumuten, bin ich weit entfernt! Ich würde im Gegenteil mich sehr wundern, wenn Sie nicht den schönen sonnigen Süden, der Ihre Heimat ist, wieder aufsuchten!«
»O gewiß, gewiß, sobald es mir irgend möglich ist!«
»Sie müssen dann das Gut verkaufen,« sagte Ermanns.
»Wenn sich eine Gelegenheit bietet, will ich das in der Tat.«
»Eine Gelegenheit? Daran scheint es mir nicht zu fehlen.«
»Ohne daß ich die Hälfte des Werts einbüße?« fiel die Gräfin verdrießlich ein.
»Ohne daß Sie einbüßen. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn ich Ihnen nicht einen Käufer noch heute beschaffte, der den ganzen Wert und noch etwas mehr dafür zahlt.«
»Und wer wäre das?«
»Ritterhausen.«
»Sie glauben?«
»Ich glaube nicht, ich bin dessen gewiß.«
»Aber warum?«
»Nun, weil man ihm die Alternative stellen kann: entweder du kaufst oder wir beginnen den Prozeß gegen dich, mit dem schon der Graf von Epaville dich bedrohte – wir vertreiben dich von deinem Hammer. Sie erinnern sich des Briefes, den der Graf an Ritterhausen schrieb und von dem ich Ihnen sprach ...«
»Ich erinnere mich sehr wohl – und Ihre Idee scheint mir gut. Wollen Sie die Vermittlung übernehmen?«
»Mit dem größten Vergnügen. Ich gehe, Ritterhausen die Niederschlagung der Untersuchung anzukündigen. Es wird ihn dies von vornherein in eine gute Stimmung versetzen. Zu gleicher Zeit werde ich ihm dann die ersten Eröffnungen machen – natürlich nicht geradezu, sondern mit diplomatischer Wendung – und ich bin überzeugt, ich werde das Glück haben, Ihre volle Zufriedenheit zu verdienen. Wenn Sie, meine Gnädigste, dagegen die Huld haben wollen, meine guten Dienste dem Großherzoge zu rühmen – ihm die Berücksichtigung meines Eifers in meiner Amtstätigkeit etwas ans Herz zu legen ...«
»O seien Sie dessen versichert ...«
»So fordere ich keinen weitern Lohn. Also ich habe Ihre Vollmacht?«
»Die haben Sie – d. h. vorläufig zur Unterhandlung!«
»Natürlich, – mehr bedarf es für jetzt noch nicht!«
Monsieur Ermanns stand auf und beurlaubte sich augenblicklich bei der Gräfin. Er eilte heimzukommen und sein Mittagsmahl einzunehmen; dann ließ er seinen Wagen vorfahren und begab sich nach dem Rheider Hammer.
Auf dem Hammer fand er Ritterhausen in so guter und heiterer Stimmung, wie der gichtleidende Mann sie wohl lange nicht gezeigt hatte. Man hatte die Verfolgung gegen ihn fallen lassen, das hatte er bereits aus dem Abzuge der Polizeiwächter, die sein Haus besetzt gehalten, schließen können; er hatte auch schon vernommen, daß Richard von Huckardes Selbstanklage am gestrigen Tage auf der Burg durch das Zeugnis der Gräfin von Epaville sich in Nichts aufgelöst hatte. Wie Sibyllens Herz um Zentnerlasten erleichtert war und freudig schlug, das brauchen wir nicht zu schildern. Sie schrieb eben einen von Dankbarkeit und Freude überströmenden Brief an Richard, als Monsieur Ermanns eintrat.
Der letztere zeigte etwas weniger von der gemütlichen Ruhe und Sicherheit, womit er sonst zu erscheinen pflegte. Er war nicht ganz beruhigt über den Empfang, den er finden würde.
»Ich komme, mein Herr Ritterhausen,« sagte er, »um Ihnen Glück zu wünschen. Es hat mich gedrängt, selbst und augenblicklich Ihnen die Mitteilung von dem Beschlusse des Untersuchungsgerichts, der Sie außer Verfolgung setzt, zu überbringen ...«
»Das ist um so dankenswerter,« erwiderte Ritterhausen spöttisch, »weil Sie durch diese Mitteilung selbst eingestehen, daß Sie durch einen ungerechten Verdacht ehrliche Leute schikaniert haben!«
»Nun, mein lieber Herr Ritterhausen, der Verdacht war ungerecht, und niemand ist froher darüber als ich – aber er war so natürlich, daß selbst ein so harmloser Mensch und schlechter Polizeibeamter wie ich ihn fassen mußte.«
»Streiten wir nicht darüber,« antwortete der Hammerbesitzer, »ob er natürlich war ... oder abscheulich, empörend! Wir wollen annehmen, daß Sie eben nur Ihre Pflicht getan, und nun erzählen Sie uns ...«
Der Beamte teilte sehr ausführlich und eifrig Ritterhausen und seiner Tochter mit, welche Wendung die Sache durch die Aussagen des Spielmanns und durch das, was die Gräfin zu ihrer Vervollständigung ausgesagt, genommen. »Ihre Unschuld ist also jetzt klar vor aller Augen,« fuhr er dann fort, »und, Herr Ritterhausen, ich hoffe, Sie sind jetzt auch billig genug, sich zu sagen: wäre Ermanns nicht gewesen, so wäre vielleicht ein anderer gekommen, der sehr viel weniger sich bestrebt hätte, in so freundschaftlicher Weise auszuführen, was ihm die Pflicht gebot.«
»Mag sein, Monsieur Ermanns, obgleich ich die Wölfe in Schafskleidern just nicht denen vorziehe, welche in ihrer echten und eigenen Haut kommen.«
»Sie drücken sich sehr unumwunden aus, Herr Ritterhausen. Allein was soll man da machen? Man muß Ihnen etwas nachsehen, denn Sie sind schwer getränkt worden – nicht von mir – nein, wahrhaftig nicht von mir, sondern von den Umständen und von dem, was diese Umstände gebieterisch von uns erheischten. Glauben Sie mir, es war mir eine traurige Pflicht, welche ich in Ihrem Hause zu erfüllen hatte.«
»Ich habe das nicht eben gemerkt,« fiel Ritterhausen ein, »im Gegenteil, Sie waren dabei stets in sehr gemütlicher Stimmung ...«
»Verstellung, lauter Verstellung, werter Herr!«
»Dem will ich allerdings nicht widersprechen,« bemerkte Ritterhausen bitter. »Sie sind ein Meister darin!«
»Nun, lassen wir die weitere Erörterung dessen, was einmal geschehen. Lassen wir die Sache tot und begraben sein wie den armen Grafen Epaville, den man am heutigen Morgen, wie ich höre, ja sehr feierlich, mit seinen Wappen und kriegerischen Ehren zur Erde bestattet hat.«
»Also wie der Spielmann es vorhergesehen hat!« sagte hier Sibylle halblaut, ohne daß die beiden Männer im Zimmer es beachteten.
»Ich wünschte Ihnen nur,« fuhr Ermanns fort, »daß auch der alte Streit zwischen der Burg und dem Hammer ebenso tot und begraben wäre! Aber leider droht Ihnen von dieser Seite noch eine große Unannehmlichkeit. Die Gemahlin des Ermordeten ist seine Erbin und da sie nichts anderes besitzt als eben die Rheider Burg, so wird sie, fürchte ich, ihre Rechte nicht weniger scharf und rücksichtslos verfolgen, als es ihr Mann zu tun im Begriff