Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
ab.
»Alles zu seiner Zeit, Herr,« sagt« er. »Erst sollen sie mich loslassen aus dieser Prison, und dann ...«
»Dann?«
»Dann will ich sehen, ob es so weit ist!«
»So weit – wie weit? Wohin wollt Ihr es kommen lassen? Bis die Ritterhausen schimpflich verurteilt sind und vor der ganzen Welt als Mörder dastehen?«
»Es wird ihnen nicht gleich an den Kragen gehen, Herr.« versetzte Berend, »und dem Herrn Ritterhausen schadet’s vielleicht auch nicht, wenn sie ihn ein wenig drangsalieren – ich denke mir, er wird davon etwas höflicher und demütiger werden, als seine Manieren nun sind.«
»Berend,« fuhr Richard zu sprechen fort, »Ihr habt ein paar Männer vor Euch, glaub’ ich?«
»Das soll heißen, Herr?« fragte der Spielmann.
»Männer,« versetzte Richard, »und keine Kinder, die sich Märchen aufbinden lassen. Oder meint Ihr, der Schuster Matthias hier glaube Euch, wenn Ihr sagt, Ihr hättet alles das, was Ihr erzählet, durch Euer zweites Gesicht, Eure Spukseherei erfahren?«
»Das glaubt der Schuster von Hebborn nicht,« sagte Matthias spöttisch.
»Und daß ich es nicht glaube, davon werdet Ihr, denk’ ich, selber überzeugt sein, ohne daß ich’s Euch lange sage! Also, Berend, rückt heraus damit! Gebt es offen an: woher habt Ihr das, was Ihr wißt.«
»Was ich weiß?« antwortete der Spielmann. »Weiß ich denn etwas? Ihr glaubt mir ja, nicht, sagt Ihr. Du nicht, Lügenschuster, und Ihr nicht, Herr von Huckarde. Warum redet Ihr denn von dem, was ich weiß?«
»Weil Ihr das, was Ihr erzähltet, mit dem Tone bei Wahrheit vortrugt. Weil es Euch selbst grauste bei dieser nächtlichen Szene voll Grausamkeit, Mord und Blut, die Ihr schildertet. Weil Eure Augen dabei sprachen wie Euer Mund. Und darum sprecht, sprecht, woher wißt Ihr es?«
»Nun,« sagte Spielberend, und dabei lachte er in ziemlich roher Weise laut auf, »ich weiß es aus der besten Quelle!«
»Das heißt von dem Elenden... dem Mörder?«
Spielberend nickte bloß
»Vom Johannes? Von dem Mörder? Und der hätte sich also nicht geflüchtet – den hättet Ihr nach der Tat noch gesprochen?«
»So ist es,« sagte Spielberend. »Der Johannes ist ein seltsamer Kauz und wenn man ihn reden hört, denkt man nicht daran, was er getan hat, sondern man denkt, er ist doch ein armer Schelm, der viel Unglück gehabt hat und viel Unrecht gelitten, und was er begangen, das kommt einem dann so natürlich vor, als könnte er trotz alledem von Stund’ auf doch noch in den Himmel kommen und einfahren in die ewige Seligkeit. Nun, Gott wird’s am besten wissen, wo er ihn hintut, und vielleicht ist das jetzt, wo wir davon reden, schon fertig und abgemacht, denn ich glaube, Herr, er ist tot.« »Er ist tot? An der Wunde, welche er erhalten?«
»An der Wunde. Es war keine Kleinigkeit, Herr, es war ein schlimmer Stoß, den er bekommen, so recht in die linke Flanke hinein; und als ich mit dem Manne sprach, da, glaube ich, war er dabei, sich innerlich zu verbluten.«
»Und wo spracht Ihr ihn, Berend?«
»Ja seht, Herr, es kam so. Es war gestern morgen, in der Frühe, wo die Leute noch am Dreschen sind, und noch keine Seele nicht draußen ist auf den Feldern und Aeckern, denn die Pferde fressen ihren Morgenhafer und unter den Kühen sitzen die Mägde in den Ställen und melken. Da gehe ich geruhig vom Hause aus, durch die Dornberger Wiesen; ich wollte nach Hilleswagen, wo gestern Kirmes war und wo ich aufspielen sollte und wo ich auch aufgespielt habe mit meiner Geige, bis daß die Gendarmen kamen und nach meinem Gewerbeschein fragten und mich hierher in die Prison brachten. Nun also, wie ich so durch die Dornberger Wiesen gehe und komme an die rote Heuscheuer, die mitten drin auf dem kleinen Bühel liegt – wenn Ihr die Gegend kennt, Herr – da höre ich ein wunderlich Gestöhne und Geseufze darin, in der Scheuer, und so gehe ich näher und lege mein Ohr an die Wand und nun höre ich richtig eine Menschenstimme drin seufzen und jammern, daß ich denke, es liege irgendein Zigeunerweib drinnen im Heu, die sich just anstrengt, der Welt ein funkelnagelneues Strölchlein zu schenken. So gehe ich um die rote Scheuer herum bis auf die Seite, wo die Tür ist, und stecke meinen Kopf hinein, und da höre ich sagen: Wer ist da? Ist da jemand? Ich denke, die Stimme kennst du, und so gehe ich näher, und da finde ich in das Heu eingewühlt meinen Deserteur, den Johannes, mit einem Gesicht so bleich wie der Tod ...«
»Kanntet Ihr ihn denn?« unterbrach hier Richard die Erzählung.
»Freilich kannt’ ich ihn; er hatte sich schon früher, dazumal, wie er von den Soldaten weggelaufen war, an mich gehängt und hatte partout von mir einen Rat haben wollen, wo er bleibe und sich verstecke, denn über die Grenze, ins Preußische hinein, wollte er nicht, da kannten sie ihn wohl schon von früher her, und er mochte vor dem Willkomm bange sein, den er drüben finden werde. Also da finde ich ihn in das Heu versteckt und mit einem Gesicht guckt er mich an, nun, ich kann es Euch nicht sagen, wie; denn Ihr, Herr, kennt solche Gesichter nicht: aber ich, ich kenne sie und habe mehr damit zu tun, wenn auch just nicht bei Tage und hellem Sonnenlicht. Und so sage ich: Was, seid Ihr es, Johannes? Und wie kommt Ihr hierher, in die rote Scheuer, mit Euerm Gestöhn?
»Er aber sagte nichts als: Holt mir Wasser, Spielmann, holt mir Wasser, ich bitte Euch um Gottes willen.«
»Wasser?« – darum habt keine Sorge, wenn es auch ein bißchen braun ist und nach Torf schmeckt in den Wiesengraben, sage ich, und so gehe ich und hole ihm Wasser in meinem Hut. Das trinkt er in sich hinein wie ein Sandhügel, sag’ ich Euch, Herr; und dann frag’ ich: Aber nun redet, Johannes, was stöhnt Ihr und was ist Euch widerfahren?
»Ich habe den Tod in den Eingeweiden,« sagt er – »der Graf von Epaville hat’s mir angetan, da seht her« – und so zeigt er seine Seite, und ich versichere Euch, Herr, sie sah übel aus!
»Johannes, sag’ ich, ich will ins nächste Dorf gehn, zum Vorsteher, daß er Euch holen läßt und daß Euch ein Doktor oder Feldscher in die Kur bekommt. Aber er will nichts davon hören; laßt mir den Doktor und den Vorsteher weg, stöhnt er, die können mir doch nichts mehr helfen, ich will nichts von ihnen wissen. Bleibt Ihr bei mir, Spielmann, und holt mir noch einmal Wasser.
»So ging ich abermals ihm Wasser holen, und danach mußt ich bei ihm im Heu sitzen und da hat er mir alles erzählt, ganz der Reihe nach; und wie ich’s Euch vorhin gesagt habe, daß es gekommen ist. Auch daß er eigentlich Johannes Selke heiße und schon früher allerlei auslaufen lassen, was nicht wohlgefällig macht bei Gott und den Menschen. Schwarz hat er sich genannt gehabt in der Regimentsliste, aber von Hause aus hat er Selke geheißen. Zwei, drei Stunden habe ich bei ihm gesessen, und es ist nicht besser und auch nicht viel schlimmer mit ihm geworden; und so kommt endlich ein Schäfer mit seinen Schafen in die Wiesen bei der roten Scheuer und dem habe ich gewinkt und habe ihm gesagt, wie daß ein Mann auf den Tod läge in dem Heu und daß er nach ihm sehen solle; und der Schäfer ist auch hineingegangen und hat ihn gleich besser verbunden, als er selbst und ich es verstanden. Und dann habe ich es dem Johannes versprochen, daß ich den Abend desselbigen Weges zurück daherkommen wollte und nach ihm sehen würde. Und so bin ich endlich weiter gegangen, meinem Geschäft nach, gen Hilleswagen; für das Wiederkommen aber haben die Gendarmen gesorgt, die mich mitgenommen haben, hierher – und nun wißt Ihr alles. Aber vor den Gerichten sage ich nichts aus, bis ich wieder frei bin und sehen kann, ob der Mann tot ist. Daß ich gehen und ihn bei Gericht angeben sollte, dazu hat der Johannes mir’s nicht erzählt!«
Richard von Huckarde schwieg nach dieser Erzählung des Spielmanns. Er hatte während derselben seinen Entschluß gefaßt.
Als nach einer Weile der Gefängniswärter kam, um ihm ein anderes Lokal, eine Zelle für ihn allein, anzuweisen, drückte er diesem ein Geldstück in die Hand und bat ihn, ihm Schreibzeug und Papier und Licht zu bringen. Der Mann verschaffte ihm das Gewünschte augenblicklich, da es nicht gegen das Reglement eines Polizeigefängnisses verstieß, und Richard setzte sich auf seinen Strohstuhl, um sofort einen langen Brief an die Gräfin von Epaville zu schreiben.
Die