Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
beschien, der unter dem Kronleuchter stand und mit stoischer Selbstbeherrschung sich an der Rückenlehne seines Armsessels aufrecht erhielt.
Er reichte die linke Hand, die ihm freiblieb, dem Ankommenden hin und sagte»: »Herr von Huckarde, Sie werden uns zugute halten, daß wir uns einige Eigenmächtigkeiten hier in Ihrem Eigentum erlaubt haben ...«
»In meinem Eigentum?« rief Richard mit zitternden Lippen aus, »o mein Gott ... Sie werden in diesem Augenblick nicht meiner spotten, Herr Ritterhausen!«
»In Ihrem Eigentum, Herr von Huckarde – und darum sagt’ ich, Sie sollten uns die kleinen Eigenmächtigkeiten verzeihen, welche wir uns haben zuschulden kommen lassen, in der guten Absicht, Ihnen diesen Saal hier und ein paar Zimmer nebenan gleich ein wenig wohnlich zu machen. Sibylle tat es nicht anders, und so hat sie auch zustande gebracht, mich in einer Sänfte auf den Schultern meiner stärksten Hammelgesellen hier herauf zu transportieren. Nun, es ist gottlob! gut gegangen und ich bin froh, daß ich Sie hier begrüßen kann, an der Stelle, wo Sie hingehören, Herr von Huckarde, von Gottes und Rechts wegen, als Herr und Gebieter!«
»Aber erklären Sie mir um des Himmels willen ...«
»Erklärt ist es bald,« sagte Ritterhausen. »Ich habe Burg und Hammer von der Gräfin von Epaville für 150 000 Frank gekauft – in Ihrem Namen, Herr von Huckarde, nur für Sie und in Ihrem Namen. Was die Bezahlung angeht, so lassen Sie sich keine grauen Haare darüber wachsen. Ich biete Ihnen 100 000 Frank an, wenn Sie mir den Hammer überlassen, und 50 000 Frank ist die Aussteuer meiner Tochter, worüber ich ihr die Verfügung immer freigelassen habe; und da Sibylle sich in den Kopf gesetzt hat, es könnte diese Summe vorläufig nicht besser und sicherer angelegt werden als in einer Hypothek auf die Rheider Burg, so stände das Geld zu Ihrer Verfügung! Was meinen Sie zu dem Vorschlag!«
Huckarde wußte nicht, was antworten.
»Ritterhausen, was tun Sie an mir?« sagte er mit gepreßter Brust.
»Danken Sie mir nicht, Herr von Huckarde, nur das nicht,« fiel Ritterhausen ein. »Was ich an Ihnen tue? Nichts, gar nichts – Sie wissen, ich bin ein alter eingefleischter Egoist. Ich habe eine Schuld gegen Ihren Vater auf dem Herzen, Richard, eine Schuld der Härte und der Rücksichtslosigkeit ... und nun will es das Schicksal, daß ich Gelegenheit finde, etwas davon abzuschütteln, das heißt, wenn Sie gegen mich alten Mann die Güte haben, es sich so gefallen zu lassen... Glauben Sie mir, Herr von Huckarde, zu danken brauchen Sie mir nicht!«
Ritterhausen sprach dies mit einer ungewöhnlichen Feierlichkeit, so daß man sah, es kam ihm tief aus seinem Herzen.
»Nicht mit Worten ... wie könnt’ ich danken mit Worten,« sagte Richard, »aber,« fuhr er fort, Sibyllens Hand ergreifend, »durch die Tat, durch ein Leben, das ich Ihrem Kinde weihe.«
»Den Dank nehme ich an,« fiel Ritterhausen ein. »Und wahrhaftig, Sibylle hat es ein wenig um Sie verdient. Sie hat gespart und gesorgt und ihr Auge hat diese Burg umkreist wie ein Falke seine Beute, bis der Augenblick gekommen, diese Beute zu erfassen.«
Und damit legte Ritterhausen seine Tochter in Richards Arme, der sie mit feuchtschimmernden Wimpern an sein Herz preßte.
Sibylle löste sich nach einer stummen Pause sanft von Richard los; sie faßte in jede ihrer Hände eine der seinen und indem sie ihm tief und klar in die Augen schaute, sagte sie mit vor Rührung bebender Lippe: »Und nun, Richard, wer von uns zweien hat nun recht gehabt: wer ist an das Ziel gekommen, nach dem wir beide strebten? Du mit deiner stürmischen und verwegenen, sich selbst allein vertrauenden Kraft – oder ich mit meiner stillen Ergebenheit in Gottes Fügungen, mit meinem vertrauenden Fleiße? Du hast das Gemüt von dir gestoßen und ich habe es in mir gehegt. Ist es nun nicht gut, daß ich es gehegt habe, und daß du in dieser Stunde es wiederfindest, ganz und unversehrt?«
»Brauch’ ich dir zu antworten, Sibylle ... in diesem Augenblick, wo ich fühle, wie wunderbar die Hand Gottes über mir gewesen ...«
»Kinder,« fiel hier Ritterhausen ein, der dieser Rührung ein Ende zu machen wünschte und auch das Aufrechtstehen nicht mehr aushielt, »bedenkt, daß ihr, so Gott will, eine lange Ehe vor euch habt, um diese Streitfrage gründlich zu erörtern. Für jetzt, denke ich, begeben wir uns ins Nebenzimmer, denn ich sehne mich nach dem kleinen Bankett, welches Sibyllens Fürsorge darin bereit hält, und namentlich nach dem Toast, den unser beredter Freund, Herr Ermanns, dabei auf euch ausbringen wird. Aber wo ist er denn? Er hat sich bescheidentlich zurückgezogen – hole ihn herbei, Sibylle, er darf nicht fehlen, er hat viel zu prompt deine Aufträge ausgeführt, als daß wir nicht ihn herbeizögen zu unserm Versöhnungsmahl zwischen Kraft und Gemüt, zwischen uns und unserm Gewissen und der großherzoglich belgischen Polizei!«
» Me voilà.« rief hier Monsieur Ermanns aus, der die letzten Worte Ritterhausens vernommen hatte und eben eintrat – und Ritterhausen unter den Arm fassend, um ihn in das anstoßende Gemach zu führen, flüsterte er diesem ins Ohr: »Nach einem Versöhnungsmahl zwischen mir und meinem Gewissen sehne ich mich auch, mein verehrter Herr Ritterhausen.«
»Und weshalb liegen Sie mit Ihrem Gewissen im Streit, bester Herr?« fragte der Hammerbesitzer.
»Deshalb, weil ich der Gräfin geraten habe, Ihnen den Handel so leicht zu machen. Sie hätten 100 000 Frank mehr zahlen können.«
»Glauben Sie?« versetzte Ritterhausen spöttisch lächelnd.
»Die Besitzung wäre es wert gewesen! Hätte ich nur gewußt, wie sehr Sie danach verlangten!«
»Ja, aber Sie wußten es nicht!«
»Freilich! Was soll man da machen?« sagte Monsieur Ermanns.
»Auch,« fuhr der Hammerbesitzer fort, »ist Wert ein relativer Begriff. Ist die Besitzung für mich vielleicht einige tausend Frank mehr wert, als ich dafür zahle, so ist damit nicht gesagt, daß sie es für die Gräfin ebenfalls sei.«
»Freilich, damit will ich mich trösten,« entgegnete Monsieur Ermanns, indem er den Platz einnahm, welchen Sibylle ihm andeutete – denn sie waren jetzt in dem hellerleuchteten Zimmer angekommen, worin das junge Mädchen ihr kleines Festmahl mit dem schönsten alten Porzellan, den prächtigsten alten geschliffenen Gläsern und den blendendsten Gedecken angerichtet hatte, das alles überströmt von dem Lichte der Kerzen auf den gewundenen silbernen Leuchtern, die ein wahrer Ausbund von kuriosem Rokoko waren. – »Damit will ich mich trösten,« entgegnete Ermanns, »denn ich wüßte wirklich nicht, was die gute kleine Gräfin mit diesem verwunschenen Schlosse gemacht hätte – es wäre denn, sie hätte die Absicht gehabt, es aus reinem Edelmut fortzuschenken ...«
»Fortzuschenken? dazu schien sie mir nicht gerade in der Lage,« fiel hier Richard ein, der eben seinen Platz neben Sibylle genommen hatte.
»Wer weiß, was sie dennoch imstande gewesen wäre zu tun,« versetzte Ermanns mit einem schlauen Lächeln, »es wäre vielleicht ganz allein nur darauf angekommen, daß Sie ihr etwas mehr den Hof gemacht hätten, Herr von Huckarde!«
»Ich?« fragte Richard verwundert.
»Und das haben Sie nicht geahnt?«
Richard zuckte die Achseln.
»Sie hatte außerordentlich gütige Absichten für Sie,« fuhr der Polizeibeamte fort, »sie wollte Ihnen die ganze Verwaltung ihres Vermögens übergeben ... ich glaube, sie sah in Ihnen das künftige Faktotum ihres ganzen Lebens!«
Da Ermanns bei dieser Mitteilung spöttisch auflachte, so blickten ihn Richard und Sibylle mit großer Verwunderung an; Ritterhausen aber fiel mit seinem ganzen Ernst ein: »Wenn sie so gute Absichten hatte, diese arme Gräfin, so wollen wir nicht darüber spotten, daß dieselben fehlschlugen. Wir wollen lieber darauf zurückkommen, daß die Gräfin doch einen guten Handel machte, indem sie einen Besitz losschlug, der ihr wenig eingebracht und sehr viel Kosten gemacht hätte; denn wer glaubt, er könne sich hier bequem niederlassen und sein Tagewerk werde darin bestehen, daß er die von allen Aeckern, Wiesen und Wäldern zuströmenden Einkünfte einstreiche, der irrt ganz gewaltig. Es wird Geld, Mühe, Sorge genug kosten, bis die Rheider Burg in dem Zustande ist, daß