Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
Drittes Kapitel Jungfer Traud
Viertes Kapitel Ein Opfer der Nemesis
Fünftes Kapitel Der Reichsfreiherr von Averdonk und sein Schloß Dudenrode
Sechstes Kapitel Worin dem Studenten Aussichten in die Zukunft eröffnet werden
Siebentes Kapitel Frau Gebharde und ihr Neffe
Achtes Kapitel Der Vogt zu Elsen und seine Häuslichkeit
Neuntes Kapitel Der Reichsvorfechter in sächsischen Landen
Zehntes Kapitel Unters Militär!
Zwölftes Kapitel Der neue Jägermeister
Dreizehntes Kapitel Die Geheimnisse von Schloß Ruppenstein
Vierzehntes Kapitel Der Fluchtplan
Fünfzehntes Kapitel Die beiden Retter und eine Katastrophe
Sechzehntes Kapitel Die Frau ist zu dumm
Siebzehntes Kapitel Seltsame Reisegefährten und eine seltsame Herberge
Achtzehntes Kapitel Die Erzählung des alten Barons
Neunzehntes Kapitel Das Gericht
Zwanzigstes Kapitel Die Marketenderin und ihr Korps
Einundzwanzigstes Kapitel Beilagen und Dokumente
Erstes Kapitel
Ein Professor und ein Student der Universität Köln
In einer der schmalen und düstern, aber dazumal nicht wie heute von Leben und Bewegung erfüllten, sondern sehr stillen, grasbewachsenen und schmutzigen Straßen der alten freien Reichsstadt, der heiligen dreigekrönten Colonia – an einer Ecke, welche durch eine noch viel schmälere, hier einmündende Gasse gebildet wurde, lag am Ende des 18. Jahrhunderts eins jener schönen malerischen alten Häuser, die heute das Entzücken eines kulturhistorisch gebildeten Menschen von künstlerischem Geschmack und die Verzweiflung dessen bilden, der verurteilt ist, in solch einem engen, schiefwinkeligen, dunkeln, zugigen, ungemütlichen Kasten zu wohnen. Wir verschweigen die Nummer des Hauses, lassen dem Leser die Wahl zwischen Hochstraße, Minoriten-, Buden- oder Rechtschulstraße und deuten als weitere Kennzeichen nur an, daß besagtes Haus, wie zu praktischem Gebrauche eingerichtete Häuser pflegen, unten eine Tür hatte und daneben zwei Fenster. Dasjenige, welches der Tür zunächst lag, zeigte hinter Scheiben von bescheidener Größe eine Ausstellung von sinnig geordneten Produkten ferner Länder und Völkerschaften, als da sind: einige Glasschalen voll grünlich-grauer Früchte des berühmten arabischen Kaffeestrauches; gelbe Kistchen, worauf für jedermann, der nur einigermaßen in der chinesischen Sprache und Schriftkunde bewandert war, mit großen Buchstaben deutlich zu lesen stand, daß darin der allerechteste Kaisertee enthalten; daneben Körbe mit jenen für jugendliche Phantasien gefährlichen getrockneten Früchten, die unter dem Namen Korinthen, Rosinen von Malaga und Feigen von Smyrna in den Handel kommen, und ferner eine kleine Pyramide der goldensten Äpfel von Siena. Neben diesen lachenden Produkten des Pflanzenreichs ferner Zonen zeigten sich die weit weniger idealen Gestaltungen, womit das Tierreich in solch einem Laden vertreten zu sein pflegt, so namentlich der unpoetische Hering, der häßliche Laberdan und der holländische Käse. Auch erblickte man symmetrisch in den Ecken aufgestellte Bündel jener dünnen irdenen Pfeifen, aus welchen der sanfte und vorsichtige Mynheer zu rauchen, ohne sie zu zerbrechen, das Geheimnis besitzt, und dazu Tabakpakete mit dem berühmten dreifach bekreuzten Wappen der Stadt Amsterdam; welche drei Kreuze ohne Zweifel von irgendeinem deutschen Kaiser oder Potentaten, der sich zu irgendeiner Zeit in irgendeinen Handel mit Holländern einließ, schließlich hinter ihnen her gemacht worden und alsdann zum ewigen Andenken in das Wappen der Hauptstadt gesetzt sind.
Alle diese Gegenstände deuten hinreichend an, daß sich in unserm Hause ein Spezereigeschäft befand, und das Geklingel der Tür, welches sich oft genug, besonders im Laufe der Vormittagsstunden, darin hören ließ, bekundete, daß der Laden ein ziemlich besuchter war – wie das denn auch nicht wohl anders sein konnte bei der guten Lage zwischen Gassen und Gäßchen inmitten der Stadt, und obendrein ganz zu ebener Erde, durchaus gleich mit dem Straßenpflaster und ohne jede Treppe – ein wesentlicher Vorteil, lieber Leser, bei allen Spezereigeschäften, Bierstuben und ähnlichen Läden, wie du vielleicht, wenn du nicht selbst in etwas »machst«, noch nicht gewußt hast ... ein vielgeplagtes Küchenmädchen, das den Tag über genug in und außer dem Hause umherzurennen hat, liebt es nicht, ausgetretene glatte Treppenstufen zu erklimmen, um des Herings habhaft zu werden, nach welchem die Gebieterin spät nach der Abendsuppe noch ein Gelüsten bekommt, und noch weniger liebt es der intelligente nach einem Lot Kaffee ausgesandte Knabe, der bereits durch derartige minder wichtige Missionen in der Haushaltung nützlich gemacht wird.
Es war um diejenige Zeit des Jahres, wann die Tage nach der Versicherung des Kalendermanns kürzer zu werden beginnen als die Nächte, an einem feuchten, nebelerfüllten Abende, als ein hoch und kräftig gebauter junger Mann, in einen Mantel gehüllt, mit sehr elastischem Schritt und doch lässig und langsam durch die Gasse daherging, zu deren namhaftesten Sehenswürdigkeiten unser eben beschriebenes Ausstellungsfenster gehörte. Der junge Mann kümmerte sich dabei wenig darum, an welchen Stellen seine Klappenstiefeln den festen Grund berührten; die Pegelhöhe des schlammigen, schwarzen Sumpfes, der infolge vorhergegangener Regentage die Straße füllte, war überall dieselbe.
Er blickte nicht einmal auf seinen Weg, sondern trug das Haupt sorglos erhoben; vielleicht erfreute sich sein lebhaftes und fröhliches blaues Auge an dem phantastischen Bilde, welches die Straßenperspektive vor ihm darbot, an diesen merkwürdigen alten Häusern zu beiden Seiten, die mit ihren vorspringenden oberen Stockwerken und ihren Erkern aus dem Nebel, der alle Umrisse vergrößerte, höchst wunderbarlich und märchenhaft hervorschauten; während die an den Fronten angebrachten Figuren und Köpfe, vor allem die kuriosen Wahrzeichen von Köln, die alten Gesichter über den Torbogen und Eintrittstüren, dem Dahinwandelnden ganz eigentümliche Fratzen zu machen schienen, deren mimische Bedeutung bei der Dämmerung jedoch schwer zu enträtseln war.
Als der junge Mann vor dem Hause mit dem Spezereiladen angekommen war, schlug er den Mantel auseinander, trat einigemal stark mit den Stiefeln auf die Schwelle, um sie des klebengebliebenen Schmutzes zu entledigen, und trat ein.
Der Ladenraum bot nicht überflüssig viel Platz dar für eine kräftig