Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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kein Gesicht hat; und den dreibeinigen Hasen nicht zu vergessen, der auf dem Bergweg zwischen der Burg und dem Hammer den Leuten, die um Mitternacht daherkommen, zwischen den Füßen durchrennt ...«

      »Larifari,« rief hier Claus Fettzünsler mit einiger Heftigkeit aus, »es ist alles dummes Zeug; ich habe eine hübsche Reihe von Jahren in diesen alten Mauern gewohnt; aber ich habe weder bei Tag- noch bei Nachtzeit jemals etwas darin gesehen, was einem Geist ähnlich sah!«

      »Gesehen, Claus, gesehen ... das will nichts sagen,« schrie der Lügenschuster dagegen, »das mag an deinen Augen liegen und würde wohl ganz verdammt anders sein, wenn du Spielberends Augen hättest; aber daß du dafür nicht desto mehr gehört hast – das wirst du uns nicht aufbinden wollen!«

      »Gehört? Was soll ich gehört haben,« rief Claus mit einer Wärme und einem Eifer, die hinreichend andeuteten, wie sehr seine ganze Seele bei diesen Gesprächen beteiligt war, »ich habe den Wind in den Kaminen und Schornsteinen heulen, ich habe alte, aus den Angeln gerissene Fensterläden klappern oder die Eulen draußen von den Dächern schreien hören ...«

      »So,« fiel Mathias ein, »die Eulen von den Dächern schreien? ... Das wäre alles? Es ist eine verflucht unheimliche Musik, bei der es einem kalt über den Rücken läuft, wenn solch ein Kauz sein ›Uhu!‹ durch den Nachtwind schreit ... aber ich will es zehnmal lieber anhören, als wenn mitten in der Nacht schwere Schritte die Treppe nach oben hinaufgehen, langsam und wuchtig, daß man’s bis in den fernsten Winkel des Hauses vernimmt; während man doch weiß, daß es nichts Sichtbares und nichts Greifbares ist, was da hinaufwandelt und ebenso wieder hinabkommt, sobald die Turmuhr eins schlägt!« – Claus Fettzünsler wollte etwas erwidern, aber der Spielmann machte eine abwehrende, gebieterische Bewegung mit der Hand.

      »Sprecht mir nicht von euern Geistern,« sagte er, »ich könnte versucht werden, euch mehr von Geistern zu erzählen, als genug wäre, euch den Spaß dieses Abends zu verderben – mehr als ihr hören wolltet und mehr jedenfalls, als ihr mit euerm dummen Verstande fassen könnt!«

      Der ernste Ton, worin der Spielmann diese Worte sprach, machte die Gesellschaft umher stille aufhorchen, nur Mathias, der Skeptiker, antwortete lächelnd: »Nun, Spielberend, ich denke, darauf könntest du’s wagen. Wenn ich zwischen einem guten kräftig gebrauten Trunk – die gehörige Quantität vorausgesetzt – auf der einen Seite und einem Geist auf der andern Seite sitze und beide streiten sich um mich, so daß mich der eine lustig und der andere betrübt machen will – ich meine der Krug mit dem Bier wird immer die Oberhand behalten. Also heraus mit deinen Geistern! Wo sind sie?«

      »Sie sind überall,« versetzte der Spielmann, starr in die Flamme blickend, während seine Züge sich zu verlängern, seine Augen mit dem feuchten Glänze sich zu vergrößern schienen, »sie sind überall; sie ziehen draußen über die Heide daher und über die Felder, über Abgründe und über Flüsse da, wo keine Brücken, und durch die Mauern der Städte, wo keine Tore sind. Sie wallen, wie die feuchten Nebel, die über den Wiesen stehen, daherwallen, wenn der Wind sie erfaßt; sie flattern dicht über den Boden des Blachfeldes und hoch über die Wipfel des Waldes fort. Sie ziehen in großen langen Scharen; es dauert stunden-, es dauert tagelang, bis sie vorübergezogen; es sind böse Geister, Geister, die furchtbare Waffen schwingen, mit denen sie unterdrücken und töten, vernichten und verderben wollen. Sie ziehen aus von Niedergang und stürmen weit, weithin gen Aufgang, immer weiter und weiter in unabsehbare Fernen, die weiß sind von Schnee und rot werden vom Blut, das sie färbt, und von den Flammen, die an ihrem Horizont lodern. Und es werden Schlachten geschlagen und Tausende und Abertausende bedecken die weißen Ebenen, gemordet, zerfleischt, erwürgt und zerrissen. Von der Hand des Rächers getroffen, wie dürre Blätter, die der Sturmwind peitscht, kommen sie zurück; die zahlreich waren wie der Sand am Meere, kommen heim in einzelnen gelichteten Haufen; die auszogen zu vertilgen, fliehen vor den Vertilgern; die stolz waren auf den Sieg, jammern unter den Streichen des Siegers!«

      »Und das siehst du alles in der Flamme vor dir tanzen,« rief hier Mathias aus, indem er die tiefe Stille, welche eingetreten war, mit einem etwas erzwungen lautenden Gelächter zu verscheuchen suchte.

      Aber die wuchtige Faust Heinrichs, des Hammergesellen, legte sich auf seine Schulter und Heinrich flüsterte mit großem Gleichmut aber ebensoviel Bestimmtheit: »Wenn du nicht ruhig bist und still zuhörst, was er reden wird, werf’ ich dich vor die Tür, Schuster!«

      Mathias von Hebborn schien nicht für tätlich zu finden, diese Erklärung als casus belli aufzunehmen; er schwieg gleich den andern.

      »Ich sehe noch mehr,« fuhr der Spielmann fort. »Ich seh’ sie gen Niedergang fliehen, die von der Hand Gottes gezüchtigt sind; sie sind verweht und verschollen, und die Zeit des Friedens kommt, wo der Mensch das Feuer zu seinem Diener macht und es an seinen Webstuhl, an seinen Wagen, an seine Schiffe spannt; wo die Herzen enge werden und die Gewissen weiter als die ausgespannten Flügel des Geiers. Es ist Frieden allüberall; aber in den Menschen ist kein Frieden, und der Satan säet seinen Samen in die Furchen, die der Pflug durch fruchtbare Aecker zieht, da wo jetzt Sand ist und Wald und die weite wilde Heide. Das Unkraut wuchert auf und schießt in Blüte und reift; und der Satan kommt zu ernten, was er gesäet hat, die reife Frucht des Hochmuts, der Empörung und der Habgier; er kommt zur Ernte mit hunderttausend Sicheln, die in den Händen grimmiger Feinde blinken, ihre Mordgewehre und Waffen, Die Enkel der Gezüchtigten haben das Strafgericht Gottes vergessen. In Scharen, zahllos wie die ihrer Väter, kommen sie abermals dahergezogen, die Welt zu unterjochen und den Menschen ihr Gesetz zu bringen; wieder wälzt sich der Westen einher über Berge und Täler und Ströme. Der Rauch und der Staub und der Dampf der Schlacht umhüllt sie: es ist ein grausames Morden und ein Geruch von Blut weithin über das Land; aber nicht weiße Felder färbt das Blut, sondern die grünen Hügellande von Berg und die rote Erde, die zwischen den Flüssen liegt. Drei Tage dauert das Morden, drei Tage lang strömt das Blut und die Bäche treten über, von dem roten Lebenssaft geschwellt, der dahinströmt aus den brechenden Herzen der Tapfern. Wer der Sieger sein wird, ob der Herr wird herrschen auf Erden oder der Dämon, ob der große Adler der Gerechtigkeit oder der Hahn des Hochmuts – wer kann es sagen? Nur der Seher sieht es: er sieht, wie aus den Lüften das rächende Schwert Gideons blitzt, mit dem der Würgengel Asrael aus den Wolken niedersteigt – er sieht, wie die Stolzen fallen und die Lügner gezüchtigt werden, und wie ihre Leiber den Raben zur Sättigung, den Würmern zum Fraß und den Menschen zum Abscheu werden, und wie die Guten auf Erden sich freuen und sich die Hände reichen zum festen Bund der Einheit und auf ihrem Schild erhöhen den starken Monarchen, den großen Kaiser der Zukunft und des Völkerfriedens.« – –

      Der Spielmann schwieg; er sank wie ermattet in sich zusammen, stützte das Kinn auf beide Arme, die er auf seine heraufgezogenen Knie stemmte, und so sah er vor sich hin, als ob er noch immer in die Phantasmagorie versunken sei, die er vor sich entrollt gesehen zu haben behauptete. Hatte er beabsichtigt, auf seine Umgebung einen tiefen Eindruck hervorzubringen, so war ihm dies augenscheinlich gelungen; die Männer sahen sich eine Weile schweigend und mit einem mehr verlegenen als vom Herzen kommenden Lächeln an, das inneres Betroffensein und jenes stille Grauen nicht verdecken konnte, welches jedesmal den Menschen ergreift, wenn eine kühne Prophetenstimme mit dem Tone voller Zuversicht vor seinem Auge die Gestalten und Ereignisse heraufbeschwört, von denen sie behauptet, daß sie aus der fernen Dämmerung der Zukunft drohend auf uns zuschreiten. Sie saßen still umher, die eben noch so lauten und lärmenden Gäste Claus Fettzünslers; man hörte jetzt das Knistern der Flamme, welche den hastig bewegten Schein auf ihre kräftig geschnittenen und ausdrucksvollen Zuge warf, und so die charakteristische Schlußgruppe unserer Erzählung beleuchtete, vor der wir langsam den verhüllenden Vorhang niederrollen lassen.

      Ende

      Die Marketenderin von Köln

       Inhaltsverzeichnis

       Erstes Kapitel Ein Professor und ein Student der Universität Köln

       Zweites


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