Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking


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erhalten, daß der Spielmann am frühesten Morgen eine lange Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter und dem Herrn Ermanns habe bestehen müssen, und daß er sodann einen Gendarmeriebrigadier nach der roten Scheuer zu führen gehabt habe. Spielberend kehrte auch nicht wieder in das Polizeigefängnis zurück. Es schien, man hatte ihn entlassen.

      Am folgenden Tage erhielt Richard Sibyllens Brief. Sie teilte ihm mit, daß ihr Vater und sie selbst außer Verfolgung gesetzt, sie dankte ihm in den wärmsten Herzensergüssen für die heroische Aufopferung, zu welcher er entschlossen gewesen. Dieser Brief Sibyllens, obwohl er in Richards persönlicher Lage nichts änderte, obwohl er keinerlei Lichtstrahl in das Dunkel seiner Zukunft warf, erfüllte ihn doch mit einer Freude, welche ihm den unaussprechlich trägen Gang der Stunden während der nächsten Tage erträglich machte. Aber freilich, allmählich kehrte die Schwermut, die ihn erfüllte, zurück; er hatte, wie wir schon erzählten, ja schon am ersten andern Morgen nach seiner Ankunft von seinem rechtskundigen Freunde erfahren, daß für ihn keine Aussicht da sei, das geringste von seinem Erbe wieder zu erlangen. Bei den neuen Gewalthabern im Lande hatte er sich keine Gunst erworben – sonst wäre er nicht in diesem Aufenthalte gewesen; und so war es die Frage, ob sie ihn, der seine Bürgerrechte im Vaterlande durch seine Auswanderung aufgegeben, den heimatlosen und besitzlosen Mann, nur überhaupt nach seiner Freilassung hier noch dulden und nicht über die Grenze weisen würden. Er mußte ihnen jedenfalls lästig sein!

      Sollte Richard für einen solchen Fall noch einmal die Vermittlung der Gräfin von Epaville anrufen? Er ging mit sich zu Rate darüber. Konnte er es? Mußte nicht gerade ihr, der jetzigen Eigentümerin der Rheider Burg, sein Dasein, sein bleibender Aufenthalt im Lande am meisten unerwünscht und lästig sein?

      Sieben Tage der Haft waren endlich vorübergegangen. Der achte kam: Der Gefangenwärter teilte Richard mit, daß er um dieselbe Stunde am Abende entlassen werde, um welche er eingeliefert sei. »Man wird kommen, Sie abzuholen,« setzte der Mann hinzu.

      »Wer wird kommen?« fragte Richard.

      »Ich weiß es nicht, Einer von den Herren von der Polizei, denke ich. Ich habe den Befehl, Sie nicht zu entlassen, bis man Sie abzuholen kommt.«

      Diese Ankündigung war nicht geeignet, Richard zu beruhigen. Sein Herz schlug um so gespannter der Stunde der Freiheit entgegen. Der Nachmittag kam, die Dämmerung nahte – da hörte er hastige Schritte auf dem Korridor vor seiner Zelle. Die Tür öffnete sich und herein trat mit dem Wärter Monsieur Ermanns.

      Monsieur Ermanns war äußerst höflich, äußerst gemütlich. Er hatte sich nicht versagen wollen, Richard selbst seiner Haft zu entledigen, die er ihm zu seinem größten Bedauern auferlegt hatte, nur um einem höhern Befehl zu gehorchen, Er bedauerte sehr, daß er ihn nicht jetzt sogleich auch von seiner polizeilichen Gegenwart befreien könne. »Allein,« schloß er, »was ist da zu machen? Es ist eben auch ein höherer Befehl!«

      »Wie soll ich das verstehen,« fragte Richard, »Sie werden mich begleiten?«

      »Dahin lautet mein Auftrag, Herr von Huckarde; so groß die Ehre ist, welche mir dadurch wird, so lebhaft ist mein Bedauern, daß Sie währenddes sich des vollen Gebrauchs Ihrer Freiheit noch beraubt fühlen müssen!«

      »Und wohin begleiten Sie mich? Wohin bringt man mich? Will man mich hier nicht dulden und werde ich wie ein Vagabund zum Lande hinaustransportiert?«

      »Ich bitte Sie, nehmen Sie es nicht so auf, Herr von Huckarde. Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß mein Auftrag lautet, Sie von hier fortzubringen ...«

      »In Nacht und Nebel hinaus?«

      Ermanns zuckte die Achseln.

      »Wir werden einen Wagen haben,« sagte er beschwichtigend, »Sie werden in einer guten Postchaise fortgebracht. Gefangenwärter, tragen Sie den Koffer des Herrn in Wagen.«

      Der Gefangenwärter gehorchte und Ermanns bat Richard, dem Manne zu folgen. Er trieb die Höflichkeit so weit, mit einer tiefen Verbeugung anzudeuten, daß er Richard den Vortritt lasse. An der äußern Tür des Gefängnisses stand ein Gendarm, der Richard in den bereit stehenden Wagen hob. Ermanns stieg nach ihm ein und setzte sich neben ihn. Der Postillon trieb seine Pferde an, und bald rollte der Wagen im gestrecktesten Trab durch die Straßen der Stadt dahin. Es war unterdes völlig dunkel geworden. Die Wagenfenster waren geschlossen. Richard konnte nicht erkennen, zu welchem Tore man ihn hinauskutschierte. Es war ihm auch völlig gleichgültig, an welchem Punkte der Grenze man ihn aussetzen wollte. Zorn, Wut und Hoffnungslosigkeit im Herzen warf er sich schweigend in seine Wagenecke und schloß die Augen, um der Unterhaltung mit Monsieur Ermanns zu entgehen, der große Lust zu haben schien, trotz des Rädergerassels und Fenstergeklirres die Konversation wieder anzuknüpfen und sie nicht ausgehen zu lassen.

      Der Postillon trieb seine Klepper zu gewaltiger Eile an. Rechts und links flogen die dunkeln am Nachthimmel sich abzeichnenden Umrisse von Gesträuchen, Wallhecken, Bäumen, Bauernhütten wie ein flüchtiges Schattenspiel über die Scheiben der Wagenfenster. Ueber die einzeln aufglimmenden Steine am Himmel zogen lange Wolkengebilde und erhöhten die nächtliche Dunkelheit. Nach und nach wurde die Straße, welche man fuhr, hügelig. Richard nahm diesen Umstand anfangs nicht wahr; als sich endlich die Strecken, wo der Wagen langsamer hügelan fuhr, vermehrten und verlängerten, bemerkte er es und wollte Ermanns fragen, nach welcher Himmelsgegend hinaus man ihn denn bringe; aber er schloß stolz die Lippen wieder und warf sich in seine Ecke zurück.

      »Nur noch eine kleine halbe Stunde,« sagte Monsieur Ermanns, »und wir sind an dem Punkte angelangt, wo ich Auftrag habe, sie abzuliefern.«

      Richard fuhr fort zu schweigen. Der Wagen rollte jetzt mit rasender Eile in ein Tal hinab; die Hufe der Pferde klapperten dann über die Bohlen einer Brücke, rechts und links dämmerte der eisengraue Spiegel eines schmalen Flusses auf. Dann hob sich der Weg wieder bergan; die Pferde pusteten und schnaubten, langsam weiter keuchend. Zuletzt schien die Spitze der Höhe erreicht und auf steinigem, hartem Boden ging es rasch weiter. Die gehetzten Postgäule fielen endlich in einen rasenden Galopp, der den Wagen hin und her schleuderte; blitzschnell flog man durch ein geöffnetes Tor, auf einen Hof und vor ein hellerleuchtetes Gebäude, vor dem eine Reihe Fackeln stammten; der Wagen hielt.

      »Wo sind wir?« rief Richard voll Erstaunen aus.

      Bevor Monsieur Ermanns antwortete, wurde der Schlag aufgerissen, Richard sprang heraus. Von dem plötzlichen Lichtschimmer geblendet, starrte er auf zwei Reihen riesiger, unbeweglich dastehender Männergestalten, die rechts und links auf den Stufen einer Portaltreppe standen und, flammende Fackeln in den Händen, in diesem Augenblick mit Baßstimmen, welche die grell beleuchteten grauen Mauern hinter ihnen schienen zittern machen zu können, in donnernde »Vivat« und »Hurra« ausbrachen und ihre Mützen dabei schwangen.

      So überrascht, so geblendet Richard von diesem Anblick war, er erkannte dennoch in dem hohen, mit grellem roten Lichtschein übergossenen Gebäude den Edelsitz seiner Väter, die Rheider Burg, und in diesen, mit so lautem Jubel ihn bewillkommnenden Männern die derben Schmiede des Eisenhammers.

      »Was bedeutet das? Hierher sollten Sie mich bringen?« rief er aus ... aber Ermanns nahm seinen Arm und, indem er ihn die Treppe hinaufzog, sagte er lachend: »Noch einige Schritte weiter soll ich Sie bringen, mein verehrter Baron, bis ins Innere Ihres Schlosses, dort werden Sie offizielle Aufklärung erhalten.«

      Oben, unter dem Portal, standen Claus, der Hausmeister, in festtäglichem Anzug und neben ihm der Spielmann, beide nickend, sich verbeugend, lachend und dem Anschein nach sehr geneigt, Richard nicht vorüberzulassen ohne Gruß und Gespräch; aber Ermanns schob sie beiseite und führte Richard die Treppe in den obern Stock hinan. Das ganze Gebäude war reich erleuchtet, mit duftenden Eichenkränzen geschmückt; die Tür des großen Saals stand weit offen; ihre Einfassung war von Blumen umrahmt, und unter diesem Blumenbogen stand Sibylle, in hellen Gewändern, in ihrem reichsten Schmuck, zitternd vor Aufregung, bleich von ihrer tiefen Erschütterung. So streckte sie Richard beide Hände entgegen.

      »Sibylle ... du hier!« rief Richard aus, ihre Hände selig mit den seinen umschließend.

      Sie war zu bewegt, um reden zu können. Mit Mühe hielt sie sich aufrecht, indem sie ihre Rechte


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