Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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er sich so bemühte, Silvère gegen die Rougon aufzuhetzen, war es Macquart ein auserlesener Genuß, dem jungen Menschen Tränen des Schmerzes zu erpressen. Er verabscheute diesen vielleicht noch mehr als die übrigen, weil er ein vorzüglicher Arbeiter war und niemals trank. Darum strengte er seinen boshaftesten Scharfsinn an, um die grausamsten Lügen zu erfinden, die den armen Burschen im Herzen trafen; er ergötzte sich dann an seiner Blässe, an dem Zittern seiner Hände, an seinen trostlosen Blicken mit der Wollust eines bösen Geistes, der seine Schläge berechnet und sein Opfer an der empfindlichsten Stelle getroffen hat. Wenn er Silvère genügend verletzt und verbittert zu haben glaubte, ging er endlich auf die Politik über.

      Man hat mir versichert, sagte er halblaut, daß die Rougon einen bösen Streich vorbereiten.

      Einen bösen Streich?

      Ja; in einer der nächsten Nächte wird man sich aller guten Bürger der Stadt bemächtigen und sie in den Kerker werfen.

      Der junge Mann zweifelte zunächst. Doch sein Oheim lieferte genaue Einzelheiten; er sprach von angefertigten Listen und nannte Personen, die auf den Listen stünden; er gab Andeutungen darüber, in welcher Weise, zu welcher Stunde und unter welchen Umständen die Verschwörung ins Werk gesetzt werden solle. Allmählich ließ Silvère sich durch dieses Altweibermärchen fangen, und bald begann er gegen die Feinde der Republik zu zetern.

      Wir müssen sie ohnmächtig machen, wenn sie fortfahren, das Land zu verraten! rief er. Und was wollen sie mit den Bürgern anfangen, die eingekerkert werden sollen?

      Was sie mit ihnen anfangen wollen? erwiderte Macquart mit einem trockenen Lachen. Man wird sie in den Gräben und Gängen der Kerker über den Haufen schießen.

      Da der junge Mensch, starr vor Schrecken, ihn anschaute, ohne ein Wort der Erwiderung zu finden, fuhr er fort:

      Sie werden nicht die ersten sein, die man dort mordet. Wenn du dich des Abends ein wenig in der Nähe des Justizpalastes herumtreiben willst, wirst du dort Schüsse und Todesgestöhn hören.

      Diese Schurken! murmelte Silvère.

      Und jetzt stürzten sich Oheim und Neffe in die hohe Politik. Als Fine und Gervaise sich in ihre Erörterung vertieft sahen, schlichen sie unbemerkt davon und gingen schlafen. Bis Mitternacht blieben die beiden Männer so beisammen und besprachen die Pariser Nachrichten und den bevorstehenden unausbleiblichen Kampf. Macquart ließ sich bitter über die Männer seiner Partei aus; Silvère träumte ganz laut seinen Traum von der vollkommenen Freiheit für sich hin. Es waren seltsame Unterhaltungen, bei denen der Oheim sich unzählige Gläschen einschenkte, während der Neffe sich an seiner Begeisterung berauschte. Indes vermochte Antoine von dem jungen Republikaner niemals einen treulosen Anschlag, einen Feldzugsplan gegen die Rougon zu erlangen; vergebens drängte er ihn; er hörte aus seinem Munde nur Hinweise auf die ewige Gerechtigkeit, die früher oder später die Bösen strafen würde.

      Der Knabe in seinen edelmütigen Regungen sprach mit fieberhaftem Eifer davon, zu den Waffen zu greifen und die Feinde der Republik zu morden; aber sobald diese Feinde aus dem Reich seiner Träume heraustraten und sich in seinem Oheim Peter oder einem andern seiner Bekanntschaft verkörperten, rechnete er auf den Himmel, daß dieser es ihm ersparen werde, Blut zu vergießen. Man darf annehmen, daß er aufgehört hätte, Macquart zu besuchen, dessen wilde Neidausbrüche ihm ein gewisses Mißbehagen verursachten, wenn er sich nicht der Freude hätte hingeben können, bei ihm ganz frei von seiner lieben Republik zu reden. Immerhin übte sein Oheim einen entscheidenden Einfluß auf sein Geschick; er erregte seine Nerven durch sein ewiges Schimpfen und brachte es schließlich dahin, daß der Knabe heftiges Verlangen trug nach dem Kampfe mit bewaffneter Hand, nach dem gewaltsamen Erringen des allgemeinen Glücks.

      Als Silvère sein sechzehntes Lebensjahr erreichte, ließ Macquart ihn unter die »Bergbewohner« aufnehmen, in diesen mächtigen Bund, der über den ganzen Süden verbreitet war. Seit diesem Augenblicke schielte der junge Republikaner nach dem Karabiner des Schmugglers, den Adelaide über den Kamin an die Wand gehängt hatte. Eines Nachts, während seine Großmutter schlief, putzte er die Waffe und setzte sie instand. Dann hängte er sie wieder an den Nagel und wartete. Und er wiegte sich in seinen begeisterten Träumen, ersann in seiner Einbildung riesenhafte Heldengedichte, eine Art ritterlicher Turniere, aus denen die Verteidiger der Freiheit als Sieger hervorgingen, bejubelt von der ganzen Welt.

      Trotz der Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen verlor Macquart den Mut nicht. Er sagte sich, daß er allein es zuwege bringen werde, die Rougon zu erwürgen, wenn er sie jemals in irgendeinem Winkel in seiner Gewalt haben würde. Seine Wut eines neidischen und hungernden Müßiggängers wuchs noch infolge einer Reihe von Unglücksfällen, die ihn nötigten, wieder zur Arbeit zu greifen. In den ersten Tagen des Jahres 1850 starb Fine an den Folgen einer Erkältung, die sie sich holte, als sie eines Abends die Wäsche der Familie in der Viorne wusch und dann in nassem Zustande auf dem Rücken heimtrug. Triefend von Wasser und Schweiß, keuchend unter der schweren Bürde war sie heimgekehrt und hatte das Siechbett nicht mehr verlassen. Dieser Todesfall versetzte Macquart in nicht geringe Bestürzung. Sein sicherstes Einkommen war weg. Als er nach einigen Tagen den Ofen verkaufte, auf dem Fine die Kastanien briet, und das Holzgestell, dessen sie sich bei dem Einflechten der Strohsessel zu bedienen pflegte, klagte er in rohen Worten den lieben Gott an, daß er ihm sein Weib genommen, diese starke Person, deren er sich stets geschämt hatte und deren ganzen Wert er jetzt erkannte. Um so gieriger warf er sich jetzt auf den Erwerb seiner Kinder. Allein Gervaise ward seiner unaufhörlichen Geldforderungen bald überdrüssig und ging einen Monat später ihrer Wege, mit ihren zwei Kindern und mit Lantier, dessen Mutter ebenfalls gestorben war. Das Liebespaar floh nach Paris. Niedergeschmettert von dieser Handlungsweise seiner Tochter geriet Antoine in schreckliche Wut und wünschte ihr, sie möge im Krankenhause enden wie ihresgleichen. Allein diese Lästerungen gestalteten seine Lage nicht besser, die eine entschieden schlimme war. Jean folgte bald dem Beispiele seiner Schwester. Er wartete einen Lohntag ab und wußte es so einzurichten, daß er selbst seinen Lohn in Empfang nahm. Beim Fortgehen sagte er einem seiner Freunde, der es dann Antoine wiedersagte, er wolle nicht langer seinen Taugenichts von Vater ernähren; wenn dieser ihn durch die Gendarmen zurückführen lassen solle, werde er Säge und Hobel nicht mehr anrühren. Als Antoine ihn am folgenden Tage vergebens suchte und sich ohne einen Sou allein sah in der Behausung, wo er sich zwanzig Jahre lang hatte aushalten lassen, geriet er in eine schreckliche Wut, stieß mit den Füßen nach den Möbeln und lästerte in ungeheuerlicher Weise. Dann sank er hin und stöhnte wie ein zu Tode Getroffener. Die Furcht, sein Brot verdienen zu müssen, machte ihn krank. Als Silvère zu Besuch kam, beklagte er sich weinend über die Undankbarkeit seiner Kinder. War er denn nicht immer ein guter Vater gewesen? Jean und Gervaise seien Ungeheuer, die ihm schlecht all das lohnten, was er für sie getan. Jetzt verließen sie ihn, weil er alt sei und sie ihn nicht mehr ausnützen konnten.

      Aber Oheim, Sie sind doch noch in dem Alter, um arbeiten zu können, bemerkte Silvère.

      Macquart hüstelte, krümmte sich und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, daß er selbst der mindesten Anstrengung nimmer fähig sei. In dem Augenblicke, als sein Neffe sich zum Gehen anschickte, borgte er zehn Franken von ihm. Einen Monat lebte er davon, daß er die alten Kleider seiner Kinder, ein Stück nach dem andern, zum Trödler trug; ebenso verschacherte er nach und nach die kleinen Gegenstände des Hausrates. Bald hatte er nichts, als einen Tisch, einen Sessel, sein Bett und die Kleider, die er am Leibe trug. Schließlich ging er so weit, das aus Nußholz gemachte Bett gegen ein solches von weichem Holze zu vertauschen. Als er mit allen Hilfsquellen zu Ende war, holte er wütend und mit der Miene eines Menschen, der sich zum Selbstmorde entschließt, das Bündel Weidenruten hervor, das seit einem Vierteljahrhundert in einem Winkel vergessen gelegen hatte.

       Als er es aufhob, schien er einen Berg von der Stelle zu rücken. Und jetzt begann er wieder, Hand- und Holzkörbe zu flechten, wobei er die Menschheit wegen seiner Verlassenheit anklagte. Zu dieser Zeit hauptsächlich sprach er davon, mit den Reichen teilen zu wollen. Er zeigte sich als ein Schreckensmensch. Mit seinen Brandreden entzündete er die Kneipe fast, wo seine wilden Blicke ihm einen unbeschränkten Kredit verschafften. Übrigens arbeitete er nur dann, wenn es ihm nicht gelingen wollte, bei Silvère oder einem Saufkameraden ein Hundertsoustück zu pumpen. Er war nicht mehr


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