Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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der in einem Winkel auf einem alten Koffer saß. Der Bursche wartete die Fragen der armen Alten nicht ab.

      Großmutter, sagte er hastig, Ihr müßt mir vergeben ... ich ziehe mit den anderen fort... Ihr seht, meine Hände sind blutig... Ich glaube, ich habe einen Gendarm getötet.

      Du hast einen Gendarm getötet? wiederholte Tante Dide verwundert.

      In ihren müden Augen, die auf seinen blutbefleckten Händen hafteten, ward es plötzlich hell. Sie warf einen Blick auf die Wand oberhalb des Kamins.

      Du hast die Flinte genommen? fragte sie. Wo ist die Flinte?

      Silvère, der den Karabiner bei Miette zurückgelassen hatte, schwor ihr, daß die Waffe in Sicherheit sei. Zum ersten Male machte Adelaide vor ihrem Enkelkinde eine Anspielung auf den Schmuggler Macquart.

      Du wirst mir das Gewehr wiederbringen, du mußt es mir versprechen, sagte sie seltsam bestimmt... Es ist alles, was mir von ihm geblieben ist... Du hast einen Gendarm getötet; er ist von den Gendarmen getötet worden.

      Sie fuhr fort, Silvère anzustarren mit einer Miene grausamer Genugtuung, und schien nicht daran zu denken, ihn zurückhalten zu wollen. Sie verlangte keinerlei Erklärung von ihm und weinte nicht wie die guten Großmütter, die ihre Enkel gleich auf der Totenbahre liegen zu sehen glauben, wenn sie irgendwo eine Schramme davongetragen haben. Ihr ganzes Wesen drängte nach einem einzigen Gedanken, dem sie schließlich mit heißer Begier Worte lieh.

      Hast du den Gendarm mit dem Gewehr getötet? fragte sie.

      Silvère hatte schlecht gehört oder schlecht verstanden.

      Ja, erwiderte er, ich will mir die Hände waschen.

      Erst als er vom Brunnen zurückkehrte, gewahrte er seinen Oheim. Peter hatte erbleichend die Worte des Burschen vernommen. Wahrhaftig, Felicité hatte recht: seine Familie fand eine Freude daran, ihn bloßzustellen. Einer seiner Neffen tötete die Gendarmen. Wenn er den Burschen nicht hindert, zu den Aufrührern zu stoßen, erhält er niemals das Amt eines Generaleinnehmers. Er stellte sich vor die Türe und schien entschlossen, den Jungen nicht fortzulassen.

      Hört, sagte er zu Silvère, der sehr überrascht war, ihn hier zu finden, ich bin das Oberhaupt der Familie und verbiete Euch, dieses Haus zu verlassen. Morgen will ich Euch behilflich sein, über die Grenze zu entkommen.

      Silvère zuckte mit den Achseln.

      Laßt mich meiner Wege ziehen, sagte er ruhig. Ich bin kein Spion und werde Euer Versteck nicht verraten; seid ohne Sorgen.

      Als Rougon fortfuhr, von der Würde der Familie zu sprechen und von der Macht, die ihm als dem Ältesten zukomme, unterbrach ihn der junge Mann.

      Gehöre ich denn zu Eurer Familie? rief er. Ihr habt mich stets verleugnet. Heute hat Euch die Angst hierher gejagt, weil Ihr fühlt, daß der Tag der Vergeltung gekommen ist. Macht Platz! Ich verberge mich nicht, denn ich habe eine Pflicht zu erfüllen.

      Rougon rührte sich nicht. Da legte Tante Dide, die die heftigen Worte Silvères mit einem gewissen Entzücken hörte, ihre dürre Hand auf den Arm ihres Sohnes.

      Tritt beiseite! sprach sie; das Kind muß fort.

      Der Bursche schob sachte seinen Oheim beiseite und stürzte hinaus.

      Rougon schloß sorgfältig die Tür und sagte mit zornbebender und drohender Stimme seiner Mutter:

      Wenn ihm ein Unglück zustößt, ist es Eure Schuld ... ihr seid eine alte Närrin und wißt nicht, was Ihr soeben getan habt.

      Doch Adelaide schien ihn nicht zu hören; sie warf einen Klotz auf das Feuer, das zu verlöschen drohte und murmelte mit einem unbestimmten Lächeln:

      Ich kenne das... Er ist ganze Monate fortgeblieben und dann frisch und munter zurückgekehrt.

      Sie sprach ohne Zweifel von Macquart.

      Inzwischen lief Silvère wieder nach der Markthalle. Als er sich dem Orte näherte, wo er Miette zurückgelassen hatte, vernahm er ein lautes Geräusch von Stimmen und sah eine Ansammlung von Leuten, was ihn veranlaßte, seine Schritte zu beschleunigen. Eine peinliche Szene hatte sich soeben abgespielt. Während die Aufständischen ruhig ihr Abendbrot verzehrten, hatte sich viel neugieriges Volk unter sie gemengt. Unter diesen Neugierigen war auch Justin, der Sohn des Krautgärtners Rébufat, ein Bursche von etwa zwanzig Jahren, ein schwächlicher und mißgünstiger Kerl, der gegen seine Base Miette einen unversöhnlichen Haß nährte. Im Hause warf er ihr das Brot vor, das sie aß und behandelte sie als eine Bettlerin, die man aus Mitleid auf der Straße aufgelesen. Man darf annehmen, daß das Kind sich geweigert hatte, seine Geliebte zu werden. Schwächlich, bleich, mit zu lang gediehenen Gliedern und verschrobenem Gesichte, wie er war, rächte er sich an Miette für die eigene Häßlichkeit und für die Mißachtung, die das schöne, kräftige Mädchen ihm bezeigte. Sein liebster Traum war, sie von seinem Vater auf die Straße gejagt zu sehen. Darum spähte er ihr ohne Unterlaß nach. Seit einiger Zeit hatte er ihre Zusammenkünfte mit Silvère entdeckt und wartete nur auf eine entscheidende Gelegenheit, um seinem Vater alles zu erzählen. Als er an diesem Abend gegen acht Uhr sie aus dem Hause schleichen sah, überkam ihn der Haß, und er konnte nicht länger an sich halten. Seine Erzählung versetzte Rébufat in einen furchtbaren Zorn, und der Gärtner schwor hoch und teuer, daß er die Landstreicherin mit Fußtritten hinausjagen werde, wenn sie es wagen solle, wiederzukommen. Justin ging zu Bette und freute sich im voraus des schönen Auftrittes, den es am folgenden Tage geben werde. Dann erfaßte ihn eine wilde Gier nach einem Vorgeschmack seiner Rache. Er kleidete sich wieder an und verließ das Haus. Er hoffte Miette zu treffen, und war entschlossen, sehr unverschämt gegen sie zu sein. So geschah es, daß er Zeuge des Einzuges der Aufständischen war, denen er bis zum Rathause folgte, in der unbestimmten Ahnung, das Liebespärchen hier zu treffen. In der Tat bemerkte er schließlich seine Base auf der Bank, wo sie Silvère erwartete. Als er sie sah, bekleidet mit ihrem großen Mantel, neben sich die rote Fahne, die sie an einen Pfeiler der Markthalle gelehnt hatte, begann er sie mit plumpen Späßen zu verhöhnen. Betroffen von seinem Anblick, vermochte das Mädchen kein Wort hervorzubringen. Schluchzend ertrug sie seine Beschimpfungen, während sie gebeugten Hauptes, das Antlitz in ihren Händen verborgen, ihren Tränen freien Lauf ließ, nannte Justin sie die Tochter eines Zuchthäuslers und schrie ihr zu, sein Vater werde sie mit einer gehörigen Tracht Prügel empfangen, wenn sie sich jemals erdreisten solle, nach dem Jas-Meiffren zurückzukehren. Eine volle Viertelstunde hielt er die Zitternde und Gequälte so in seiner Gewalt. Die Leute machten einen Kreis um die beiden und lachten blöde über diese peinliche Szene. Endlich traten einige Aufständische dazwischen und drohten dem Burschen, ihn weidlich durchzuwalken, wenn er Miette nicht in Frieden lasse. Justin wich zurück, erklärte aber, daß er sie nicht fürchte. In diesem Augenblick erschien Silvère. Als der junge Rébufat ihn erblickte, machte er einen Sprung, als ob er die Flucht ergreifen wolle. Er fürchtete ihn, weil er wußte, daß jener ihm an Kraft weit überlegen sei. Doch konnte er der Versuchung nicht widerstehen, das Mädchen ein letztes Mal vor seinem Geliebten zu beschimpfen.

      Ach, ich wußte ja, rief er, daß der Stellmacher nicht weit sein kann! Um diesem Narren zu folgen, hast du uns verlassen, nicht wahr? Die Unglückliche! Sie ist kaum sechzehn Jahre alt! Wann halten wir Kindtaufe?

      Als er Silvère mit geballten Fäusten auf sich zukommen sah, wich er noch weiter zurück.

      Aber, fuhr er mit widrigem Kichern fort, zu uns darfst du nicht kommen, um dein Kindbett zu halten, denn mein Vater würde dich mit einigen Fußtritten entbinden, daß du keiner Hebamme bedürftest, hörst du?

       Doch nun flüchtete er heulend, mit zerschlagenem Gesichte. Silvère hatte sich mit einem Satze auf ihn gestürzt und ihm einen furchtbaren Faustschlag ins Gesicht versetzt. Er verfolgte ihn nicht weiter. Als er zu Miette zurückkehrte, fand er sie aufrecht mit der flachen Hand sich hastig die Tränen trocknend. Als er sie wie zum Troste sanft anblickte, machte sie eine Bewegung plötzlicher Energie.

      Nein, sagte sie, ich weine nicht. Es ist mir lieber so. Jetzt habe ich mir keine Vorwürfe darüber zu machen, daß ich fortgegangen bin. Ich bin frei.

      Sie ergriff die Fahne und


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