Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


Скачать книгу
sagte:

      Die Kleine ist kräftig, sie wird uns als Magd dienen. Wir geben ihr das Essen und sparen den Lohn bei ihr.

      Diese Berechnung gefiel dem Rébufat. Er ging so weit, daß er die Arme des Kindes betastete, und erklärte mit Genugtuung, es sei für sein Alter sehr stark. Miette war damals neun Jahre alt. Schon vom nächsten Tage an machte er sie sich dienstbar. Die Arbeit der Bäuerinnen im Süden ist viel leichter als im Norden. Nur selten sieht man dort die Weiber die Erde behauen, Lasten tragen, überhaupt die Verrichtungen der Männer besorgen. Sie binden Garben und pflücken Oliven oder Maulbeerblätter. Ihre schwerste Beschäftigung ist Unkraut jäten. Miette arbeitete munter. Das Leben im Freien war ihre Freude und ihre Gesundheit. Solange ihre Tante lebte, konnte Miette ihres Daseins froh werden. Trotz ihrer rauhen Art liebte die wackere Frau das Mädchen wie ihr eigenes Kind; sie verbot ihr, die schweren Arbeiten zu verrichten, die ihr Mann ihr aufbürden wollte, und sie rief dem letzteren zu:

      Du bist aber ein Pfiffikus! Siehst du nicht ein, Schwachkopf, daß, wenn du sie heute zu sehr ermüdest, sie morgen nichts wird machen können!

      Dieser Grund war entscheidend. Rébufat senkte den Kopf und trug selber die Last, die er dem Mädchen hatte aufbürden wollen.

      Unter dem geheimen Schutze ihrer Tante hätte Miette ein glückliches Leben führen können, wären nicht die Neckereien ihres damals sechzehnjährigen Vetters gewesen, der seine in Trägheit verlebten Tage dazu benützte, das Mädchen zu mißachten und zu verfolgen. Die besten Stunden Justins waren die, wenn es ihm durch irgendeine plumpe Lüge gelang, daß sie ausgescholten wurde. Wenn er ihr auf die Füße treten oder sie roh anrennen konnte, mit der Entschuldigung, daß er sie nicht bemerkt habe, lachte er und genoß die tückische Lust der Leute, die sich der Übel der anderen freuen. Miette schaute ihn dann mit ihren großen kindlichen Augen an, mit Blicken voll Zorn und Stolz, die dem blöden Kichern des feigen Wichtes Einhalt geboten. Im Grunde hatte er eine wilde Furcht vor seiner Base.

      Das Mädchen war bald elf Jahre alt, als ihre Tante Eulalie plötzlich starb. Seit jenem Tage änderte sich alles in dem Hause. Rébufat gewöhnte sich allmählich daran, das Mädchen als Ackerknecht zu behandeln. Er bürdete ihr schwere Arbeiten auf, bediente sich ihrer wie eines Lasttieres. Sie beklagte sich nicht, sie glaubte eine Schuld abtragen zu müssen. Wenn sie des Abends müde und erschöpft auf ihr Lager sank, beweinte sie die Tante, dieses schreckliche Weib, dessen geheime Güte sie jetzt erst voll empfand. Übrigens waren ihr selbst die schweren Arbeiten nicht zu lästig; sie liebte die Kraft und war stolz auf ihre starken Arme und Schultern. Was sie kränkte, war die mißtrauische Überwachung ihres Oheim, seine fortwährenden Vorwürfe, sein Auftreten eines zornigen Gebieters.

       Zu dieser Zeit war sie im Hause eine Fremde. Und selbst eine Fremde hätte man nicht so schlecht behandeln können wie sie. Ohne Gewissensbisse mißbrauchte Rébufat die arme kleine Verwandte, die er aus wohlberechneter Mildtätigkeit in seinem Hause behielt. Sie vergalt mit ihrer Arbeit zehnfach seine rohe Gastfreundschaft, und es verging kein Tag; an dem er ihr nicht das Brot vorwarf, das sie aß. Justin tat sich besonders darin hervor, sie zu kränken. Seitdem seine Mutter nicht mehr da war, verwendete er seine ganze böse Einbildungskraft darauf, dem nunmehr wehrlosen Kinde den Aufenthalt im Hause zu verleiden. Die tückischeste Marter, die er ersann, war die, wenn er dem Mädchen von dessen Vater sprach. Das arme Mädchen, das außerhalb der Welt gelebt hatte unter dem Schutze ihrer Tante, die verboten hatte, daß man vor ihr die Worte »Sträfling« und »Galeeren« ausspreche, begriff nicht den Sinn dieser Worte. Justin war es, der sie diesen Sinn lehrte, indem er ihr in seiner Weise erzählte, wie der Gendarm getötet und Chantegreil verurteilt wurde. Er hörte nicht auf, abscheuliche Einzelheiten zu erzählen: die Sträflinge schleppten eine eiserne Kugel an den Füßen nach, müßten fünfzehn Stunden arbeiten und gingen sämtlich unter dieser Plage zugrunde. Das Bagno sei ein furchtbarer Ort, den er mit all seinen Schrecknissen ausführlich schilderte. Betroffen, die Augen voll Tränen, hörte Miette ihm zu. Zuweilen ward sie von heftigen Zornesanfällen erfaßt und Justin wich vor ihren geballten Fäusten einen Schritt zurück. Dieses grausame Einweihen in die Sachlage genoß er wie ein Feinschmecker. Wenn sein Vater – was oft wegen des geringsten Versehens geschah – sich gegen das Kind erzürnte, war er gleich mit dabei und war glücklich, sie gefahrlos beschimpfen zu können. Wenn sie sich zu wehren suchte, sagte er:

       Das Blut verleugnet sich nicht; du wirst im Zuchthaus enden wie dein Vater!

      Ohnmächtig vor Scham und im Innersten getroffen konnte Miette nichts tun als weinen.

      Zu jener Zeit entwickelte sich Miette schon zum Weibe. Frühzeitig gereift, konnte sie den Quälereien mit außerordentlicher Willenskraft Widerstand leisten. Nur in den seltenen Stunden, wenn ihr angeborener Stolz von den Beschimpfungen des Vetters gedemütigt ward, gab sie sich der Verzweiflung hin. Bald ertrug sie trockenen Auges die unaufhörlichen Beschimpfungen dieses Feiglings, der, während er mit ihr sprach, sie sorgfältig beobachtete aus Furcht, daß sie ihm ins Gesicht fahren könne. Überdies wußte sie ihn zum Schweigen zu bringen, wenn sie ihn fest ansah. Wiederholt fühlte sie sich versucht, aus dem Jas-Meiffren zu fliehen. Aber sie tat es nicht, um ihren Mut dadurch zu bekunden; sie wollte sich nicht eingestehen, daß sie den Verfolgungen erliege, die sie zu erdulden hatte. Alles in allem verdiente sie ja ihr Brot und ließ sich die Gastfreundschaft der Familie Rébufat nicht schenken. Diese Gewißheit genügte ihrem Stolze. So blieb sie denn, um zu kämpfen, machte sich stark und lebte in dem unaufhörlichen Gedanken an den Widerstand. Sie richtete ihr Verhalten danach ein, daß sie still ihre Arbeit verrichtete und für die schlimmen Worte, die sie zu hören bekam, sich durch stumme Verachtung rächte. Sie wußte wohl, daß ihr Oheim zu viel Nutzen von ihr zog, als daß er leichthin den Einflüsterungen Justins Gehör geschenkt hätte, der sie nur immer vor die Türe setzen wollte. Darum legte sie eine Art Trotz darin, nicht freiwillig das Haus zu verlassen.

      In den langen Stunden des Stillschweigens gab sie sich gar seltsamen Träumereien hin. Ihre Tage in dem Gemüsegarten verbringend, von aller Welt getrennt, wuchs sie in Widerspenstigkeit heran und bildete sich Meinungen, die die braven Leute des Vorortes gar sehr erschreckt haben würden. Vornehmlich beschäftigte sie das Schicksal ihres Vaters. Sie erinnerte sich aller schlimmen Worte Justins und nahm schließlich die Mordbeschuldigung als wahr hin, indem sie sich sagte, ihr Vater habe recht gehandelt, den Gendarm zu töten, der ihn töten wollte. Sie kannte die wahre Begebenheit aus dem Munde eines Erdarbeiters, der im Jas-Meiffren gearbeitet hatte. Seit jenem Augenblicke wandte sie nicht einmal den Kopf mehr um, wenn bei einem ihrer seltenen Ausgänge ein Gassenjunge in der Vorstadt ihr nachschrie:

      Seht da, die Chantegreil!

      Mit zusammengekniffenen Lippen und wütenden Blicken beschleunigte sie dann ihre Schritte. Wenn sie heimgekehrt das Torgitter hinter sich geschlossen hatte, warf sie einen einzigen und langen Blick auf die Bande der Gassenjungen. Sie wäre schlecht geworden, sie wäre zur grausamen Wildheit der Parias herabgesunken, wenn nicht zuweilen ihre ganze Kindheit in ihr Herz wieder eingekehrt wäre. Ihre elf Jahre warfen sie in kindliche Schwächen zurück, die sie trösteten. Dann weinte sie; sie schämte sich ihrer selbst und ihres Vaters. Sie verbarg sich in einem Stalle, wo sie nach Herzenslust weinen konnte, weil sie begriff, daß sie noch mehr gequält würde, wenn man sie weinen sähe. Und wenn sie genug geweint hatte, wusch sie sich in der Küche die Augen aus und nahm wieder ihre ruhige, stille Miene an. Nicht bloß ihr Interesse war es, was sie antrieb, sich zu verbergen; sie trieb den Stolz ihrer frühreifen Kräfte so weit, daß sie nicht mehr ein Kind scheinen wollte. Wenn dies so fortging, drohte mit der Zeit ihr ganzes Wesen zu verbittern. Glücklicherweise ward sie gerettet, weil sie die Zärtlichkeit ihrer liebevollen Natur wiederfand.

       Im Hofe des Hauses, das Tante Dide und Silvère bewohnten, stand ein Brunnen, der auch von den Bewohnern des Jas-Meiffren benutzt wurde. Die Mauer teilte ihn. Ehe der Krautgarten der Fouque mit der großen Nachbarbesitzung vereinigt wurde, benützten die Gärtner täglich diesen Brunnen. Seitdem der Grund aber verkauft war, kamen die Leute nur selten mehr hierher, weil sie im Jas-Meiffren große Wasserbassins hatten und weil der Brunnen von den gemeinsamen Wohnungen auch zu weit entfernt lag. Jenseits der Mauer jedoch hörte man jeden Morgen den Brunnenschwengel kreischen; Silvère schöpfte für Tante Dide das im Hauhalte notwendige Wasser.

      Eines Tages brach der Brunnenschwengel.


Скачать книгу