Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


Скачать книгу
du, daß ich dein Freund sei? fragte er mit bewegter Stimme.

      Und da Miette ganz überrascht ihre jetzt wieder feuchten und lächelnden Augen zu ihm erhob, fuhr er lebhaft fort:

      Ich weiß, daß man dir Kränkungen zufügt. Das muß aufhören. Ich werde dich von heute ab verteidigen. Willst du?

      Das Kind strahlte vor Freude. Diese Freundschaft, die sich ihr darbot, verscheuchte alle ihre bösen, gehässigen Träume. Sie schüttelte den Kopf und erwiderte:

      Nein, ich will nicht, daß du dich für mich prügelst. Du hättest zu viel zu tun. Und dann gibt es Leute, gegen die du mich nicht verteidigen kannst.

      Silvère wollte ausrufen, daß er sie gegen die ganze Welt verteidigen werde; allein sie schloß ihm mit einer schmeichlerischen Gebärde den Mund und fügte hinzu:

      Es genügt, daß du mein Freund seist.

       Dann plauderten sie mit gedämpfter Stimme einige Minuten. Miette erzählte Silvère von ihrem Oheim und von ihrem Vetter. Für nichts in der Welt hätte sie mögen, daß sie ihn da rittlings auf der Mauer sitzen sähen. Justin wäre unerbittlich, wenn er eine Waffe gegen sie hätte. Sie lieh ihrer Angst und Furcht mit einem Schrecken Ausdruck, wie ein Schulmädchen, das eine Freundin getroffen, deren Umgang die Mutter ihr verboten hat. Silvère begriff von alle dem nur so viel, daß es ihm nicht leicht sein werde, Miette zu sehen. Das machte ihn sehr traurig. Indes versprach er ihr, nicht wieder auf die Mauer zu steigen. Sie waren beide damit beschäftigt, ein Mittel ausfindig zu machen, um sich wiederzusehen, als Miette ihn bat, sich zu entfernen. Sie hatte Justin bemerkt, der, quer über den Gartengrund kommend, seine Schritte nach der Brunnenseite lenkte. Silvère beeilte sich, die Mauer zu verlassen. Als er sich in dem kleinen Hofe befand, blieb er am Fuße der Mauer stehen und spitzte die Ohren, innerlich verdrossen über seine Flucht. Nach einigen Minuten wagte er, die Mauer von neuem zu erklimmen und einen Blick nach dem Jas-Meiffren zu werfen. Er sah Justin mit Miette sprechen und zog gleich wieder den Kopf zurück. Am folgenden Tage sah er seine Freundin nicht, selbst aus der Ferne nicht; sie schien in diesem Teile des Jas ihre Arbeit beendet zu haben. So vergingen acht Tage, ohne daß die beiden Gefährten Gelegenheit gefunden hätten, ein Wort auszutauschen. Silvère war trostlos und dachte schon daran, geradeswegs zu den Rébufat zu gehen und nach ihr zu fragen.

      Der gemeinschaftliche Brunnen war ein großer, mäßig tiefer Brunnen. Zu beiden Seiten der Mauer lagen die Randsteine in breitem Halbkreise vor. Das Wasser stand in einer Tiefe von drei bis vier Metern. Dieses stille Wasser widerspiegelte die beiden Öffnungen des Brunnens, zwei Halbmonde, die der Schatten der Mauer wie ein schwarzer Strich trennte. Neigte man sich über den Brunnen, so hätte man glauben mögen, in dem unbestimmten Tageslichte zwei Spiegel von seltsamer Klarheit und eigenartigem Glänze zu sehen. An sonnenhellen Tagen, wenn nicht die von den Strängen herabfallenden Tropfen die Oberfläche des Wassers trübten, hoben diese Spiegel des Himmels sich weiß und schimmernd von dem grünen Wasser ab, mit einer Seltsamen Genauigkeit die Blätter der Efeustaude abzeichnend, die oberhalb des Brunnens aus der Mauer hervorgebrochen war. Als eines Morgens Silvère die Tante Dide mit Wasser versorgte und sich ein wenig hinabbückte, um den Strick zu ergreifen, bebte er zusammen und blieb unbeweglich in seiner gebeugten Haltung stehen. Er hatte auf dem Wasserspiegel des Brunnens das Haupt eines Mädchens zu erkennen geglaubt, das ihn lächelnd betrachtete; aber schon hatte er den Brunnenstrang geschüttelt und das hierdurch in Bewegung gebrachte Wasser bot nur mehr einen trüben Spiegel, in dem sich nichts mehr klar abzeichnete. Er wartete, bis das Wasser wieder ruhig würde; regungslos, mit stürmisch pochendem Herzen stand er da. In dem Maße, wie die Ringe des Wassers sich erweiterten und verloren, sah er auch das Bild wieder auf der Fläche erscheinen. Es schwankte lange in der Wellenbewegung des Wassers, die den Zügen des Kindes einen seltsam gespenstischen Reiz verliehen. Endlich zeichnete es sich fest und ruhig ab. Es war das lächelnde Gesicht Miettens mit ihrer Büste, ihrem bunten Tuche, ihrem weißen Mieder, ihren blauen Achselbändern. Jetzt bemerkte Silvère auch sein eigenes Bild in dem anderen Spiegel. Da jetzt beide wußten, daß sie sich sahen, grüßten sie sich mit Kopfnicken. Im ersten Augenblicke dachten sie nicht daran, einander anzusprechen. Doch nach einer Weile sagte das Mädchen:

       Guten Tag, Silvère!

      Guten Tag, Miette!

      Der sonderbare Klang ihrer Stimme setzte sie in Erstaunen. Diese Stimmen klangen in dem feuchten Loche seltsam dumpf und weich. Es schien ihnen, als kämen diese Stimmen aus weiter Ferne, mit dem leichten, singenden Tonfall der Stimmen, die man des Abends auf freiem Felde hört. Sie begriffen, daß sie nur ganz leise zu sprechen brauchten, um einander zu hören. Der Brunnen gab den leisesten Hauch wieder. Über den Randstein gebeugt und ihre Bilder im Brunnen betrachtend, begannen sie zu plaudern. Miette erzählte, wieviel Kummer sie seit acht Tagen gehabt habe. Sie arbeite jetzt am andern Ende des Jas und könne nur am frühen Morgen abkommen. Bei diesen Worten machte sie ein verdrossenes Mäulchen, das Silvère genau sehen konnte und mit einem gereizten Kopfschütteln beantwortete. Sie machten sich gegenseitig ihre Bekenntnisse, als ob sie einander gegenüber stünden, mit den Gebärden und Gesichtsausdrücken, die die gesprochenen Worte eben erheischten. Die Mauer, die sie trennte, kümmerte sie wenig, da sie sich jetzt in dieser verschwiegenen Tiefe sehen konnten.

      Ich wußte, fuhr Miette mit pfiffiger Miene fort, daß du jeden Morgen zur nämlichen Stunde Wasser schöpfest. Ich höre von unserer Wohnung aus die Brunnenstange kreischen. Da ersann ich einen Vor wand: ich behauptete, daß das Wasser dieses Brunnens dem Wachstum der Gemüse zuträglicher sei. Ich dachte mir, ich würde jeden Morgen zur selben Stunde wie du hier Wasser schöpfen und dir so guten Morgen sagen können, ohne einen Verdacht zu erwecken.

      Sie lachte vergnügt, wie um sich für ihre List zu belohnen und fügte hinzu:

       Aber ich konnte nicht denken, daß wir uns im Wasser sehen würden.

      In der Tat entzückte sie diese unverhoffte Freude. Sie sprachen nur, um die Bewegung ihrer Lippen zu sehen, so sehr ergötzte dieses neue Spiel ihren kindlichen Sinn. So versprachen sie einander in allen Tonarten, daß sie bei diesem Stelldichein am frühen Morgen niemals fehlen würden. Als Miette erklärt hatte, daß sie nunmehr gehen müsse, sagte sie zu Silvère, daß er jetzt seinen Wassereimer in die Höhe ziehen könne. Allein Silvère wagte nicht, den Strick zu berühren; Miette stand noch immer über den Brunnenkranz gebeugt; er sah ihr lächelndes Antlitz und konnte es nicht über sich bringen, dieses Lächeln zu zerstören. Als er den Eimer leise in Bewegung brachte, geriet auch das Wasser in zitternde Bewegung und Miettens Lächeln verblaßte. Von einer seltsamen Angst ergriffen hielt er inne; er bildete sich ein, daß er sie gekränkt habe und daß sie nun weine. Doch das Kind rief ihm zu: »Geh, geh doch!« mit einem Lachen, das der Widerhall noch länger und heller in seine Ohren dringen ließ. Da ließ sie selbst geräuschvoll einen Eimer hinab. Es gab ein wahres Gewitter im Brunnen; alles verschwand unter dem dunklen Wasser. Jetzt erst entschloß sich Silvère, seine beiden Krüge zu füllen, wobei er den Schritten Miettens lauschte, die jenseits der Mauer sich entfernte.

      Seit jenem Tage unterließen es die beiden Kinder nicht ein einziges Mal, bei dem Stelldichein zu erscheinen. Das stille Wasser, diese weißen Spiegel, wo sie ihr Bild betrachteten, verliehen ihren Zusammenkünften einen unendlichen Reiz, der ihrer tändelnden, kindlichen Einbildungskraft lange Zeit genügte. Sie hatten kein Verlangen, sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen; es schien ihnen viel ergötzlicher, einen Brunnen zum Spiegel zu wählen und ihren Morgengruß seinem Echo anzuvertrauen. Bald kannten sie den Brunnen wie einen alten Freund. Es war ihnen eine Freude, sich über die schwere, unbewegliche Fläche zu beugen, die flüssigem Silber glich. Im Brunnen unten sahen sie in dem geheimnisvollen Zwielichte grüne Lichter tanzen, die die feuchte Höhle in einen versteckten Winkel in der Tiefe eines Waldes zu verwandeln schienen. So sahen sie sich denn gewissermaßen in einem grünen, moosbelegten Neste inmitten von kühlem Wasser und schattigem Laub. Die ganze Fremdartigkeit dieser tiefen Quelle, dieses hohlen Turmes, über den sie – von einer seltsamen Macht angezogen – sich fröstelnd neigten, mengte in ihre Freude, sich zulächeln zu dürfen, eine uneingestandene und köstliche Angst. Es kam ihnen der tolle Einfall, sich auf die großen Steine zu setzen, die einige Zentimeter über dem Wasserspiegel eine Art Rundbank bildeten; da wollten sie ihre Füße ins Wasser stecken, stundenlang plaudern, ohne


Скачать книгу