Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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umhertrippelten, um sich ein wenig zu wärmen. Endlich gaben die Führer das Zeichen zum Aufbruch. Die Abteilung trat wieder in Reih und Glied. Die Gefangenen wurden in die Mitte gebracht; außer Herrn Garçonnet und dem Major Sicardot führten die Aufständischen noch den Steuereinnehmer Peyrotte und mehrere andere Beamten mit.

      In diesem Augenblicke sah man Aristide zwischen den Gruppen herumgehen. Angesichts dieser ungeheuren Erhebung hatte der liebe Junge gedacht, es sei unklug, nicht der Freund der Republikaner zu bleiben; da er aber anderseits sich mit ihnen nicht allzusehr bloßstellen wollte, war er nur zum Abschiede gekommen; dabei trug er den Arm in der Blinde und beklagte sich bitter über die Wunde, die ihn hinderte, eine Waffe zu tragen. In der Menge traf er seinen Bruder Pascal, mit einem Arzneikästchen und einem Instrumentensacke ausgerüstet. Der Arzt teilte ihm mit seiner ruhigen Stimme mit, daß er den Aufständischen folgen wolle. Aristide sagte ihm ganz leise, er sei ein Narr. Schließlich verduftete er, weil er fürchtete, man könne ihm die Obhut über die Stadt anvertrauen, was ihm ein überaus gefährliches Amt dünkte.

      Die Aufständischen konnten nicht daran denken, Plassans in ihrer Gewalt zu behalten. Die Stadt war zu sehr von einem reaktionären Geiste belebt, als daß sie auch nur hätten versuchen dürfen, eine demokratische Behörde daselbst einzusetzen, wie sie anderwärts getan hatten. Sie wären ganz einfach weitergezogen, wenn nicht Macquart, durch seine Rachegelüste getrieben und ermutigt, sich erbötig gemacht hätte, Plassans in Schach zu halten, wenn man zwanzig entschlossene Männer seinen Befehlen unterstellen wolle. Man gab ihm die zwanzig Männer, an deren Spitze er siegreich in das Bürgermeisteramt einzog. Mittlerweile stieg die Abteilung die Promenade Sauvaire hinab und verließ die Stadt durch das Haupttor, in nächtlicher Stille und Öde die Straßen zurücklassend, die sie wie ein Windstoß durchzogen hatte. In der Ferne dehnten sich im Mondlichte die weißen Straßen. Miette hatte es abgelehnt, sich auf Silvères Arm zu stützen; kühn und fest marschierte sie dahin, mit beiden Händen die rote Fahne haltend.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      In der Ferne zogen sich die mondscheinhellen Straßen dahin.

      Die Bande der Aufrührer setzte in der winterlich kahlen Landschaft ihren heldenmütigen Marsch fort. Es war wie ein breiter Strom der Begeisterung. Der heldenhafte Zug, der Miette und Silvère, die großen Kinder, die nach Liebe und Freiheit dürsteten, fortriß, bildete mit seinem hochsinnigen Feuereifer den schroffsten Gegensatz zu den schmachvollen Komödien der Macquart und der Rougon. Von Zeit zu Zeit grollte die laute Stimme des Volkes in das Geschwätz des gelben Salons und das Schimpfen des Onkels Antoine hinein. Die gemeine, schmähliche Posse entwickelte sich zum großen, weltgeschichtlichen Drama.

      Als sie Plassans hinter sich hatten, schlugen die Aufständischen die Straße nach Orchères ein. In dieser Stadt mußten sie gegen zehn Uhr morgens eintreffen. Die Straße folgt dem Laufe der Viorne und läuft immer am Fuße der Hügel, welche den Fluß einsäumen. Links breitet die Ebene sich aus, wie ein endloser grüner Teppich, wo da und dort die grauen Flecke der Dörfer zu sehen sind. Rechts streckt die Kette des Garriguesgebirges seine kahlen Spitzen, seine Steinfelder, seine rostfarbigen Blöcke, die von der Sonne gerötet scheinen, in die Höhe. Der Weg, der am Flusse sich zur Heerstraße erweitert, führt zwischen riesigen Felsen hindurch, wo bei jedem Schritte irgendein Winkel des Tales sichtbar wird. Man kann sich nichts Wilderes, Eigentümlicheres, Großartigeres denken, als diese in die Flanken der Hügel gebrochene Straße. Besonders zur Nachtzeit rufen diese Orte ein Gefühl der Ehrfurcht hervor. Beim bleichen Lichte des Mondes schritten die Aufständischen wie durch die Straßen einer zerstörten Stadt dahin, in der zu beiden Seiten die Tempel in Trümmern liegen. Jeder Felsen schien in dieser nächtlichen Beleuchtung eine zerbrochene Säule, ein abgestürztes Oberstück, eine Mauer mit seltsamen Durchgängen. In der Höhe schlief das Garriguesgebirge in bleichem, weißem Lichte, gleich einer zyklopischen Stadt, deren Türme, Obelisken und Häuser mit hohen Terrassen einen Teil des Himmels verdecken. Im Hintergrunde, auf der Seite der Ebene, breitete ein Ozean von verschwimmenden Lichtern sich aus, eine unbestimmte, endlose Ferne, wo Felder leuchtenden Nebels schwebten. Die Aufrührerbande hätte glauben mögen, daß sie einer Riesenstraße folge, einem Rundwege, der am Gestade eines lichtstrahlenden Meeres verläuft und einen unsichtbaren Babelturm umkreist.

      Die Viorne ließ in dieser Nacht, am Fuße der Felsen dahineilend, ein rauhes Grollen vernehmen. Durch dieses fortdauernde Tosen des reißenden Flusses hindurch hörten die Aufständischen das schmerzliche Gewimmer der Sturmglocken. Die jenseits des Flusses in der Ebene ausgestreuten Dörfer erhoben sich, läuteten Alarm und zündeten Feuer an. Die marschierende Truppe, der das traurige Gebimmel der Glocken das Geleite gab, sah so bis zum Morgen den Aufruhr sich längs des ganzen Tales fortwälzen, wie eine Pulverwolke. Die Alarmfeuer bildeten blutigrote Punkte im nächtlichen Dunkel; ferne Gesänge tönten in gedämpften Schallwellen herüber; die ganze, unklar verschwimmende Ebene, in das weißliche Dunstlicht des Mondes getaucht, war in einer verworrenen Bewegung, von Zeit zu Zeit von Zornesaufwallungen geschüttelt. Meilenweit blieb dieses Schauspiel sich gleich.

      Diese Männer, die in der Blindheit des Fiebers dahinmarschierten, das die Pariser Ereignisse in den Herzen der Republikaner entfacht hatte, begeisterten sich an dem Anblick dieses großen Stück Landes, welches der Aufruhr durchrüttelte. Berauscht von dem Taumel der allgemeinen Erhebung, von der sie träumten, glaubten sie, daß ganz Frankreich ihnen folge; sie wähnten jenseits der Viorne, in dem endlosen Meer von verschwommenen Lichtern unendliche Reihen von Männern, die gleich ihnen herbeieilten, um die Republik zu schützen. Und ihr bäuerlicher Verstand dachte in der Einfalt und der Einbildungskraft der großen Mengen, daß der Sieg ganz leicht und sicher sei. Sie hätten jeden als Verräter niedergeschossen, der es gewagt hätte, ihnen zu dieser Stunde zu sagen, daß sie allein den Mut der Pflicht hätten und daß der übrige Teil des Landes, vom Schrecken niedergehalten, sich ruhig erwürgen lasse.

      Sie schöpften noch fortwährend neuen Mut aus dem Empfang, den die wenigen Flecken, die am Abhange des Garriguesgebirges an der Heerstraße lagen, ihnen bereiteten. Bei der Annäherung der kleinen Kriegerschar erhob sich die Bevölkerung in Massen; die Frauen liefen herbei und wünschten ihnen einen raschen Sieg. Die Männer, kaum bekleidet, stießen zu ihnen, die erstbeste Waffe ergreifend, die ihnen in die Hände fiel. In jedem Dorfe gab es einen neuen begeisterten Willkomm und lange Abschiedsgrüße.

      Gegen Tagesanbruch verschwand der Mond hinter dem Garriguesgebirge; die Aufständischen setzten ihren raschen Marsch durch die finstere Winternacht fort; sie sahen das Tal, die Hänge nicht mehr, sie hörten bloß das Gejammer der Sturmglocken, die gleich unsichtbaren Trommlern sie unaufhörlich mit ihren verzweifelten Rufen anfeuerten.

      Miette und Silvère wurden von der Begeisterung der Truppe mitgerissen. Gegen den Morgen überwältigte die Müdigkeit das Mädchen. Sie trippelte jetzt mit kurzen, hastigen Schritten dahin, weil sie die großen Schritte der sie umgebenden Burschen nicht mithalten konnte. Aber sie faßte ihren ganzen Mut zusammen, um keine Klage vernehmen zu lassen; es wäre ihr zu schwer angekommen, einzugestehen, daß sie nicht die Kraft eines Burschen habe. Nach den ersten Meilen, die sie zurückgelegt hatten, reichte Silvère ihr den Arm; als er sah, daß die Fahne allmählich ihren steifen Händen entglitt, wollte er die Fahne ergreifen, um dem Mädchen die Last abzunehmen; darob ward sie böse und gestattete ihm nur, die Fahne mit einer Hand zu stützen, während sie nach wie vor diese auf der Schulter tragen wollte. So bewahrte sie ihre heldenmütige Haltung mit kindischem Eigensinn und lächelte dem jungen Manne zu, so oft er einen Blick voll zärtlicher Besorgnis auf sie richtete. Allein als der Mond hinter den Wolken verschwand, erlag sie, im Dunkel der Nacht marschierend, der Ermüdung. Silvère fühlte, wie sie an seinem Arme schwerer wurde. Er mußte die Fahne tragen und das Mädchen um den Leib fassen, damit es nicht strauchle. Noch immer kam kein Laut der Klage über ihre Lippen.

      Du bist wohl sehr müde, arme Miette? fragte ihr Gefährte.

      Ja, ein wenig, erwiderte sie mit beklommener Stimme.

      Wollen wir eine Weile ausruhen?

      Sie sagte nichts, aber er merkte doch, daß sie


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