Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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und sich den Lohn dafür vorbehalten. Hört denn, wie das geschehen ist. Ihr wißt, daß vor zwölf Jahren die Städte Friedensschiffe ausrüsteten gegen die Vitalienbrüder, und daß ich zum Seehauptmann eingesetzt wurde. Auch der Orden hatte eine Flotte bemannt, und so gelang es uns gemeinsam, die Insel Gotland zu erobern und die Herzöge Barnim und Wratislaw von Stettin zu zwingen, der Verbindung mit dem Räubervolk zu entsagen. Aber der Besitz ward uns bald wieder bestritten. Die Königin Margarethe forderte die Insel für sich zurück und verweigerte jede Entschädigung. Die preußischen Städte suchten diesen Streit zu vermitteln, und so reiste ich als Unterhändler in ihrem Auftrage und auch auf des Herrn Hochmeisters Geheiß zu öfteren Malen nach Schweden. So kam's denn auch, daß ich einmal zusammen mit dem Herrn Johann von Putte, der von Thorn geschickt war, zu Lübeck zu verhandeln hatte und von dort nach Gotland übersetzen mußte. Ein lieber Gastfreund aus Wismar, Lambert Junge, bot uns dazu sein Schiff an, und wir fanden sein freundliches Anerbieten sehr erwünscht. Unterwegs aber fielen wir in die Hände dänischer Piraten und wurden nun gefangen nach Schloß Warberg gebracht. Das Schiff nahmen sie als gute Beute und beraubten uns aller unserer Güter. Mich aber meinten sie für alle Zeit unschädlich machen zu können, da sie mich erkannten und wohl wußten, wie eifrig ich für den Orden und die Städte eingetreten war gegen die Königin. Deshalb ließ mich des Schlosses Hauptmann, Abraham Broderson hieß er, in den Turm werfen und hielt mich dort bei schlechter Kost in einem finsteren Gemach sechsundzwanzig Wochen lang, obgleich die Ordenshauptleute auf Gotland sich eifrigst für mich verwandten, und ich glaubte, es wäre mein Ende. Das alles ist sicher einigen von euch noch frisch im Gedächtnis, auch daß ich dann noch glücklich entkam und an dem Dänen Peter Knalle im feindlichen Lande einen mitleidigen Freund fand, der den von allen Mitteln Entblößten gütig aufnahm, mit allem Notwendigen an Kleidung und Speise versah und ihn selbst mit großer Gefahr nach Gotland brachte, wofür ihn dann der Herr Hochmeister mit großer Gunst beehrte. Das aber ist nicht ebenso bekannt geworden, wie ich aus Schloß Warberg die Freiheit erlangte, da es doch ohne Zweifel auf mein Leben abgesehen war. Und daran ward ich nun heut gemahnt. Denn ihr müßt wissen, daß unter den Leuten des Hauptmanns, die den Turm zu bewachen hatten, auch dieser Marquard Stenebreeker war, und daß er mir täglich einmal das kärgliche Essen brachte, weil man ihm am meisten vertraute. Er war schon oft zur See gewesen mit den Vitalienbrüdern, aber sein Herz war noch nicht so verhärtet, daß ihn mein Elend nicht rührte, da ich krank war und kaum noch Nahrung einzunehmen vermochte. Er wußte mir auch Dank, da ich doch einmal meinen Schiffsleuten gewehrt hatte, eine Anzahl Gefangener über Bord zu werfen, worunter sein Bruder war, der demnächst entfloh, und der jämmerliche Dienst als Turmhüter gefiel ihm wenig. So brachte er mir denn auf meine Bitte ein Stück Papier, auf das ich mit meinem Blute schrieb, daß ich gefangen sei und wo man mich hielte, und beförderte den Brief heimlich durch jenen Peter Knalle nach Gotland. Eines Tages, als wir wieder allein waren, bestürmte ich ihn mit Bitten, daß er mich entweichen lassen möchte. Er lachte dazu, überlegte sich's aber doch. Bald darauf brachte er mir eine Feile und einen Strick, den er unter dem Wams um seinen Leib gewickelt hatte, und sagte zu mir: Ich bin ein armer Mann und treibe ein Handwerk, neben dem allezeit der Galgen steht. Ihr aber seid im Rate der Stadt Danzig und reich begütert und habt viele Freunde unter den Ordensgebietigern, und ich denke, ein Dienst ist des andern wert. Es könnte wohl kommen, daß ich einmal eines mächtigen Fürsprechers bedürfte, und dann will ich mich an Euch wenden und Euren Beistand anrufen. Brauche ich Euch aber nicht, so ist's immer geraten, beim Himmel ein gutes Werk vorauszuhaben. Feilt also das Schloß der Tür durch in nächster Nacht und steigt die schmale Steintreppe hinauf nach dem oberen Gemach. Es hat ein kleines Fensterloch, durch das sich zur Not ein Mann zwängen kann, dem die Haut lose über den Knochen hängt, zieht den Strick durch den Ring, der als Fackelhalter in der Mauer befestigt ist, nehmt ihn so doppelt und laßt Euch getrost hinab; Ihr trefft auf eine Sandscholle am Wasser und habt nur eine kurze Strecke zu schwimmen, dann seid Ihr in Sicherheit. Vergeßt aber nicht den Strick nachzuziehen, damit die Spur Eurer Flucht verwischt wird und auch mir keine Ungelegenheit entsteht. Und so geschah es, und ich kam durch seine Hilfe frei. Dann hörte ich oft genug seinen Namen nennen; er ward ein gefürchteter Hauptmann der Vitalienbrüder und entkam glücklich allen Nachstellungen. Jetzt hat ihn doch das Schicksal ereilt, ich erkannte ihn sogleich wieder, und meine traurige Pflicht ist's nun, als Bürgermeister dieser Stadt, ihn dem Richter übergeben zu müssen mit seinen Gefährten. Der Spruch der Schöffen ist nicht zweifelhaft, und ich – werde ihm nicht vergelten könne. Das tut meinem Herzen wehe!

      Er trank den Rest seines Weines in einem hastigen Zuge aus und setzte den Becher umgekehrt auf den Tisch zum Zeichen, daß er ihn nicht wieder gefüllt wünsche. Auch die Gäste waren ernst gestimmt; sie fühlten mit dem würdigen Manne, wie nahe ihm diese unerwartete Begegnung mit seinem Wohltäter gehen mußte. Ich wüßte wohl, was ich an seiner Stelle täte, flüsterte Maria Huxer dem Junker Heinz zu, der über dieser Erzählung selbst die schönen Augen seiner Nachbarin vergessen hatte, in die er sich bis dahin nicht eifrig genug hatte vertiefen können. Eine Feile und einen Strick schickte ich ihm ins Gefängnis, und damit war ich meines Dankes quitt.

      Frau Anna hatte ihre Worte aufgefangen. Du sprichst wie ein gutherziges Mädchen, verwies sie. Mein Vater ist seinem Amte Rücksicht schuldig: das eben beschwert ihn.

      Ich wollte, er hätte lieber das Geheimnis gehütet, sagte Heinz leise, nun hat er sich selbst die Hände gebunden.

      Das Tischgespräch wollte nicht mehr recht in Fluß kommen. Es wurden allerhand Leckerbissen zur Nachkost aufgetragen: Koriander- und Kaneelkonfekt, Pariskörner und Rosinen, dazu der Gewürzkuchen, den man »Krude« nannte und den der Apotheker bereitete. Auch Mandeln in der Schale fehlten nicht, und Heinz war so glücklich, darunter eine mit einem Doppelkern zu finden. Er zeigte sie Maria und sagte: Wenn wir teilen, was so in eins zusammengefügt war, so hat's die Vorbedeutung, daß wir einander noch oft im Leben begegnen und gute Freunde sein werden. Könnt Euch das lieb sein wie mir? Er hielt ihr die Hand mit dem Mandelpaar hin und sah sie recht treuherzig an, so daß sie nicht widerstehen konnte. Verschämt lächelnd senkte sie die Augen und errötete merklich, nahm doch aber mit den spitzen Fingerchen die eine Frucht von seiner Hand und schob sie zwischen die Lippen. Es hat aber gar nichts zu bedeuten, Junker, entgegnete sie, da sie sich von Katharina beobachtet sah.

      Der Wirt hob die Tafel auf. Die Gäste traten ins zweite Zimmer oder in den Erker und plauderten noch eine Weile miteinander. Dann verabschiedete sich Hecht mit seiner Ehefrau, für die splendide Aufnahme dankend. Andere folgten, und auch Huxer winkte seinem Töchterchen. Ich gedenke noch einen Gang nach meinen Holzgärten zu machen, sagte er; nach einem solchen Mahl kann etwas Bewegung nicht schaden.

      Du hast mir versprochen, dein neues Schiff zu zeigen, ehe es vom Stapel läuft, erinnerte das Mädchen. Willst du mich heut mitnehmen? Gleich darauf wandte sie sich an ihren früheren Tischnachbar: Ihr habt wohl noch niemals ein großes Schiff auf dem Stapel gesehen, Junker?

      In Lübeck, aus weiter Entfernung, antwortete er, die Zimmerleute ließen niemand auf den Platz. Ich kann mir's kaum vorstellen, wie ein solches Gebäude haltbar gegen Wellen und Sturm zusammengefügt wird, daß man's vom Lande ins Wasser hinablassen kann.

      Huxer lachte. Nun, Junker, sagte er, ich denke, Ihr werdet unsere Handwerksgeheimnisse nicht verraten. Erlaubt's Eure Zeit, so kommt mit uns. Vielleicht gefällt es auch Eurem Freunde, sich eine Danziger Schiffswerft anzusehen. Dann aber mache ich den Vorschlag, wir steigen in ein Boot und fahren zu Wasser bis zur Lastadie. Was meint Ihr, Kapitän Halewat, könnt Ihr Euren Esping in einer halben Stunde flottmachen?

      Der Kapitän war sogleich bereit und versprach selbst das Boot zu steuern. Das ist prächtig! rief Maria. Und, nicht wahr, wir brauchen ja auch nicht auf dem kürzesten Wege dahin fahren? Katharina kommt mit. Nein, nein, du darfst nicht widersprechen. Ich kann doch nicht das einzige weibliche Wesen auf dem Boote sein. Tu mir's zuliebe!

      Bald kam einer von den Putken der »Danziger Maria«, zu melden, daß das Boot klar sei. Die kleine Gesellschaft ging den Langen Markt hinab vor das Koggentor und dann eine kurze Strecke seitwärts bis zu dem Einschnitt im Bollwerk, in dem eine Treppe zum Wasser hinabführte. Die vier Matrosen im Boot richteten auf ein Zeichen des Kapitäns zum feierlichen Willkommen die Ruder hochauf. Heinz reichte Maria Huxer, Hans Käthchen Letzkau beim Übersteigen die Hand, und so nahmen sie auch einander gegenüber auf den hinteren Bänken


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