Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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zu ihm durch. Er konnte von hier aus deutlich jede Person erkennen und auch hören, was gesprochen wurde. Er glaubte zu bemerken, daß Letzkau zusammenzuckte, als er des Hauptmanns der Bande ansichtig wurde, der mit einem frechen Blick zu ihm aufschaute. Auch wurde er bleich im Gesicht und führte die Finger der rechten Hand nach der Stirn, als hätte er über etwas nachzusinnen. Er faßte sich aber gleich wieder, trat zwei Stufen hinab und sagte mit lauter Stimme: Ihr seid Marquard Stenebreeker, ich kenne Euch!

      Der Name schien einen ganz eigenen Klang zu haben, denn sowohl unter den Magistratspersonen auf der Treppe als unter den Zuschauern entstand eine lebhafte Bewegung, und auf allen Gesichtern war freudige Überraschung zu lesen. Ich hoffe, Ihr habt mich noch nicht vergessen, Herr Konrad Letzkau, antwortete der Rotbart mit grinsendem Lachen. Es ist noch nicht so gar lange her, seit Ihr mir an der Turmpforte des Schlosses Warberg die Hand drücktet und einen Dienst versprachet. Es könnte leicht die Zeit gekommen sein, das Pfand zu lösen.

      Der Bürgermeister blickte zur Erde und antwortete nicht darauf. Arnold Hecht nahm aber für ihn das Wort. Das ist ein Fang, ihr Herren, wandte er sich an die hinter ihm Stehenden, dessen wir nicht vermutet waren. Marquard Stenebreeker, der gefürchtete Hauptmann der Vitalienbrüder, ist in unserer Hand. Nun werden wir wohl Ruhe haben zur See für lange Zeit.

      Wieder erscholl ein Jubelruf, der kein Ende nehmen wollte.

      Letzkau gebot mit der Hand Schweigen. Er wandte sich an einen der Ratsherren, dessen langer weißer Bart bis fast zum goldgestickten Gürtel hinabhing. Herr Johann von Xanten, redete er ihn an, Schulze dieser Rechtstadt Danzig, ich übergebe Euch und Euren Genossen von der Schöppenbank diese Missetäter. Sitzt über sie zu Gericht und verfügt, was Rechtens ist. – Dann schritt er durch die Reihen der Magistratspersonen und entzog sich unter der Tür des Rathauses den Blicken der Menge. Der Richter aber trat vor und befahl den Bütteln, die Gefangenen in gerichtlichen Gewahrsam zu bringen. Auf einen Wink Hechts stießen die Bläser wieder in ihre Trompeten, und der Zug setzte sich nach dem Langen Tor in Bewegung, über dem sich die Gefängnisse befanden. Xanten besprach in der Halle mit den anwesenden Schöppen, wann sie das Beiding über die Seeräuber hegen wollten, und gab dem Gerichtsboten Auftrag, die Abwesenden auf Montag in die Gerichtslaube zu verbotten.

      Die Menge verlief sich nun. Herr Barthel Groß, den sein Amt nicht weiter band, begrüßte Heinz von Waldstein und lud ihn zum Mittagessen in seines Schwiegervaters Haus ein, wo zu Ehren des wackeren Kapitäns Halewat und seiner tapferen Schiffsgäste die Tafel gedeckt sei. Vorher aber, fügte er hinzu, sprecht bei mir an, daß ich Euch meiner lieben Hausfrau zuführe. Ich hoffe, Herr Hans von der Buche wird ihr das Zeugnis geben, daß sie ihre Pflicht kennt.

      Der Junker bestätigte mit reichlichen Lobspenden, daß er in seinem väterlichen Hause nicht sorglicher hätte aufgenommen werden können. Die drei Männer hatten nur wenige Schritte über den Markt zu gehen. In dem weiten, mit Steinfliesen ausgelegten Hausflur, in dem Ballen und Kisten lagerten, fing der Schreiber den Kaufmann ab und bat ihn, auf einige Schreiben sein Siegel zu drücken, die mit den Waren zu Kahn in einer Stunde nach Thorn abgehen müßten. Groß öffnete eine Tasche in seinem breiten Gürtel, holte einen Siegelring vor, in den seine Hausmarke, zwei ineinandergreifende Dreiecke, eingraviert war und drückte sie in das Papier unter der Schrift. Dasselbe Zeichen war auf einige der Warenballen und Kisten mit schwarzer Farbe aufgemalt.

      Das Geschäft hielt sie nur kurze Zeit auf. Eine Treppe hoch in der großen Stube mit schwerer Balkendecke und getäfeltem Fußboden empfing sie Frau Anna Groß mit ihren beiden Töchterchen. Sie hatte sich schon geputzt, da sie auch zur Tafel geladen war, und sah recht schön und vornehm aus in ihrem langen stahlgrauen Kleide mit breiter Goldborte auf der linken Seite herunter und mit der hohen, einem spitzen Fürstenhut ähnlichen Haube von rotem Samt und Goldstoff auf dem braunen Haar. Sie begrüßte Heinz, indem sie ihm die Hand reichte, und sagte zu den kleinen Mädchen, die sich scheu hinter sie zurückzogen: Sehet nur, das ist der Junker Heinz, der den Hauptmann der Seeräuber niedergeworfen hat. Ist's denn wahr, daß es der Marquard Stenebreeker ist? wandte sie sich an ihren Mann und setzte auf seine bejahende Antwort ein kräftiges »Gottlob!«

      Dann gingen sie gesamt nach dem Hause des Bürgermeisters hinüber.

      4. AN DER BÜRGERMEISTERTAFEL

       Inhaltsverzeichnis

      Das Haus des Bürgermeisters zeichnete sich nicht vor den anderen großen Kaufmannshäusern aus, wenn schon es mit seinem hohen Spitzdach die Handwerkerhäuser und Krambuden in den Seitengassen überragte. Gehörte doch auch Konrad Letzkau dem Kaufmannsstande an, aus dem sich der Rat ergänzte, und hing es doch wieder von dessen Wohl ab, wer aus seiner Mitte für das laufende Jahr mit Ämtern betraut sein und überhaupt im sogenannten »sitzenden« Rat die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten führen sollte. So hatte denn auch dieses Haus im unteren Geschoß sein »Kontor«, in dem die Handelsknechte und Schreiber arbeiteten, und einen tiefen Warenraum, der allerhand Proben von Asche, Wachs, Pelzwerk, Häuten, Hanf und Garn aufbewahrte. Letzkau war besonders stark beteiligt bei dem Handel nach Litauen. Seit Herzog Witowd vor nun zwölf Jahren im Vertrage zu Salinwerder an der Memel den preußischen Kaufleuten freien Handel in seinen weiten Ländern gewährt, auch zu Kauen (Kowno) eine Stadt nach deutschem Muster anzulegen begonnen und die Handelsniederlassung der preußischen Hansestädte mit großen Privilegien ausgestattet hatte, war Letzkau bemüht gewesen, für Danzig dort festen Fuß zu fassen. Er war das Haupt der Handelsgenossenschaft, die in Kauen ihre Faktorei besaß, und seine Lieger daselbst galten als die angesehensten. Vor acht Tagen erst waren die Salzschiffe, die er im letzten Sommer und Herbst befrachtet und die Weichsel hinab über das Frische Haff, den Pregel, die Deime, das gefürchtete Kurische Haff und die Memel nach Kauen geschickt hatte, zu einer kleinen Flotte vereinigt mit den Einkäufen des dortigen Kontors zurückgekehrt. Sie sollten nun wieder mit Salz beladen und abgesandt werden, bevor etwa der Krieg den Verkehr auf den Wasserstraßen stören möchte, und so gab es alle Hände voll zu tun. Übrigens hatte Herr Konrad Letzkau durch seine verstorbene Frau, die einem edlen Geschlecht angehörte, auch Landbesitz, der durch Hofleute verwaltet wurde, und Renten von Bürgerhäusern, zu deren Bau er Geld vorgeschossen hatte. Gehörte er nicht zu dem alten Stadtadel, der ursprünglich die St.-Georgen-Brüderschaft des Artushofes bildete, so nahm er doch als einer der reichsten Danziger Kaufherren an allen Ehren desselben Teil, seit er in verhältnismäßig jungen Jahren schon in den Rat erkoren wurde.

      Heute war das Kontor schon am Vormittage geschlossen. In dem großen Zimmer oben, dessen zweites Fenster im Erker lag, wirtschafteten die beiden noch unverheirateten Töchter Margarete und Katharina mit den Hausmägden, die Tafel aus starken Kreuzbändern und weiß gescheuerten Holzplatten aufzustellen, so lang die Zahl der erwarteten Gäste sie forderte, die Leinentücher aufzudecken, deren Ecken mit einem Rautenkranz, dem Geschlechtswappen der Mutter, geziert waren, die Borten und Fransen glatt auszustreichen, die blanken Schüsseln und Teller von Zinn auf dem Tische zu ordnen, die Krüge zu Bier oder Met dahinter aufzusetzen und die bunten Kannen mit dem Wein zu füllen, der für die Schenkbecher und die zierlichen Setzegläser bestimmt war. Auf dem großen Herde in der Küche brannte lustig das Feuer an drei Stellen zugleich, und vom Spieße her duftete ein mächtiger Wildbraten bis in den Flur hinaus.

      Nun war alles bereit, und die jungen Fräulein begaben sich in ihre Kammern eine Treppe höher, um die letzte Hand an ihren Ausputz zu legen. Sie wählten diesmal, wie es den Töchtern vom Hause geziemte, aus dem Schmuckkästchen von poliertem Eichenholz mit Elfenbeinverzierungen nicht das glänzendste Geschmeide, sondern nur einige Schnüre von weißen Perlen für Haar und Hals. Ein weitgereister Handelsfreund des Vaters hatte sie aus dem Süden mitgebracht. Sie hatten nicht lange Zeit, denn schon war der Hausherr vom Rathause zurückgekehrt und ließ sie durch die Stubenmagd mahnen, daß die Gäste jeden Augenblick zu erwarten seien. Er liebte, wie sie wußten, in allem das pünktliche Wesen, und sie zögerten daher nicht.

      Bald füllte sich das Stübchen neben dem Eßzimmer. Der Schwiegersohn Barthel Groß erschien mit seiner Frau und den beiden Junkern, die nach Gebühr vorgestellt wurden; dann der Ratsherr Gerd von der Beke und sein Bruder Heinrich, der Margarete Letzkau sogleich ins Gespräch zog und


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