Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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Komturs Gemach. Der Hauskomtur übernahm es dort, ihn zu melden. Er fand Johann von Schönfels in einem Zimmer, dessen Wände mit bunten Teppichen behängt waren, die ihm ein recht wohnliches Ansehen gaben. Er saß in einem Lehnstuhl mit hoher, zierlich geschnitzter Lehne von braunem Eichenholz, über die ein leichtes Lederkissen für den Rücken befestigt war. Er trug einen Schlafrock von weicher Wolle und warme Halbstiefel an den Füßen, die auf einer kleinen Bank bequem ruhten. Die Finger der schmalen Hand waren mit Ringen besteckt, und er ließ sie langsam durch den schön gelockten Bart gleiten, während er mit dem Ellenbogen das Buch zurückschob, in dem er eben gelesen hatte, und dem Gaste vornehm zuwinkte. Es war nicht das Bild, das Heinz sich in der Ferne von einem Deutschordensritter im Preußenlande gemacht hatte.

      Der Komtur erkundigte sich freundlich nach dem edlen Vogt von Plauen, einem entfernten Verwandten, lobte ihn wegen seiner tapferen und erfolgreichen Beteiligung beim Kampfe gegen die Seeräuber, fragte nach einzelnen Umständen desselben und ließ sich namentlich genau beschreiben, wie der Ordensbruder den Tod gefunden hatte. Dieses Blut will gesühnt sein, wandte er sich in demselben, etwas schläfrigen Tone, mit dem er seine Fragen gestellt hatte, an den Hauskomtur, der hinter seinem Stuhle stehengeblieben war. Ich hoffe, der Danziger Rat wird nicht vergessen, daß der Kampf ein gemeinsamer gewesen ist, und daß bei dem Gericht über die Besiegten auch wir mitzusitzen haben. Sie maßen sich in letzter Zeit auch da gern sonderliche Rechte an.

      Dann entließ er den Junker mit der gnädigen Versicherung, daß es ihm lieb sein werde, wenn er sich im Hause recht lange von der weiten Reise erhole. Übrigens wolle er ihn, wenn er sich in der Stadt zu vergnügen gedenke, an die Mahlzeiten nicht binden, auch dem Torwächter Weisung geben, daß er ihn nach Sonnenuntergang einlasse. Nur bleibt mir nicht über das Nachtamt hinaus fort, schloß er, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, damit wir nicht in üblen Ruf kommen.

      An der Tür draußen empfing ihn wieder der alte Ritter, dem es augenscheinlich lieb war, sich in der Gesellschaft des jungen Menschen seiner eintönigen Beschäftigungsweise für ein paar Stunden entziehen zu können. Er führte ihn in den Kapitelsaal neben der Kirche, in das Speisezimmer, in die Rüstkammer, stellte ihn den zufällig begegnenden Brüdern vor, begleitete ihn dann in den Burghof hinab, durch das Tor nach der Vorburg, einem weiten, von Mauern eingefaßten Raume, der die Wirtschaftsgebäude, Ställe und Werkstätten des Ordenshauses in sich aufnahm. Der Marstall mit seinen kräftigen Pferden wurde besichtigt, der Schnitzmeister besucht, der eben mit Anfertigung von Armbrüsten beschäftigt war, die nach der Marienburg abgehen sollten. Eben war ein Boot mit Seefischen, Dorschen und Flundern, angelangt, die der Fischmeister von Putzig zu des Tisches Notdurft vom jüngsten Fange schickte. Sie wurden in Körben vom Flusse nach dem Hofe getragen und dort verteilt; die besten Stücke wählten die Köche für die Rittertafel aus, ein Teil wurde zum Dörren und Räuchern bestimmt. Am großen Speicher hielten mehrere Wagen, jeder mit vier Arbeitspferden bespannt. An der Winde wurden Säcke mit Getreide herabgelassen. Sie fahren zur Mühle, sagte der Führer, und bringen Mehl zurück. Schon seit Wochen ist man geschäftig, große Vorräte anzusammeln und die Weichsel hinaufzubefördern. Der Herr Hochmeister braucht viel zum Unterhalt der Söldner, die zum Kriege gegen Polen geworben sind, dazu müssen alle Häuser steuern. Wenn es Euch Vergnügen macht, zeige ich Euch die großen Mühlenwerke. Wartet eine Weile, ich hole mir den Dispens, den Schloßgraben überschreiten zu dürfen.

      Der Alte kam bald wieder und führte seinen jungen Freund durch eine schmale Pforte nach dem Mühlgraben hinaus und auf dem Damm desselben entlang der Stadt zu.

      Rechts traten die Häuserreihen der offenen Jungstadt ziemlich nahe heran, boten aber nichts Sehenswertes. Auf einer Insel im Mühlgraben – der Alte nannte sie »das Schild« – trockneten die Fischer vom Hakelwerk ihre Netze an hohen Stangen. Sie schritten auf das St-Brigitten-Kloster zu, das mit seinen verschiedenen Baulichkeiten einen breiten Raum einnahm. »Marienborn« nannte es der Alte und erzählte, daß es aus einem Reuerinnenhospital entstanden sei und daß ihm vor wenigen Jahren erst auch ein Bruderkloster angeschlossen wurde. Es sind noch nicht zwanzig Jahre, sagte er, daß die Stifterin des Ordens kanonisiert wurde. Seitdem ist der Brigittenorden sehr beliebt geworden, und von Watstena, dem Mutterkloster, aus sorgt man für immer neue Gründungen. Es ist einmal etwas Neues, daß Mönche und Nonnen zusammenhausen. Geht's dabei ehrbar zu, so ist's Gott um so wohlgefälliger. Viel Freude hat schwerlich der Herr Hochmeister an diesen kirchlichen Pflanzstätten, die der Weisung fremder Oberen folgen. Wir Deutschordensritter sind selbst halb geistlich und mögen uns gern ohne Rom behelfen, soviel es immer geht. Zuviel Besitz in der Toten Hand tut auch dem Lande nicht gut, und an Kirchen, in denen die Gläubigen beten können, fehlt's ja nicht. Seht dort, fast nur über die Straße hin, St. Katharinen, die Pfarrkirche der Altstadt, ein schöner alter Bau, vielleicht noch aus der Zeit, als die pommerellischen Herzöge hier regierten. Dahinter auf der Insel steht unsere Mühle.

      Das Klappern der Räder verriet sie schon in einiger Entfernung. Ein so großes Werk hatte der Junker noch nicht gesehen. Viele Menschen waren dabei beschäftigt, und der Mühlenmeister hielt auf gute Ordnung. Auch sonst gab es in den engen Gassen rundumher, die auf den Mühlengraben ausliefen, viel reges gewerbliches Leben. Gerber, Tuchscherer und Färber wohnten dort, das Wasser zu nützen; auch war hier und dort ein Treibrad angebracht, das dem Inhaber die Kraft eines Pferdes ersetzen mochte. An Reinlichkeit und an frischer Luft ließ aber dieser Stadtteil viel zu wünschen; Heinz, der an Wald und Feld gewöhnt war, fühlte sich recht beklommen darin. Wie kann man nur hier tagaus, tagein leben? fragte er. Erst weiter hinauf trafen sie auf die breitere Pfefferstraße, die zum Heiligenleichnamshospital führte. Sie bogen aber links ab in die Schmiedestraße und näherten sich so dem Graben und der Mauer der Rechtstadt. Am Breiten Tor verabschiedete sich der Ritter. Er möge nur den Mauergang entlang gehen, riet er, am Glockentor vorbei bis zum Langgassentor, von dort sei leicht der Lange Markt zu finden, und dann werde jedes Kind ihm das Haus des Ratsherrn Bartholomäus Groß zeigen können.

      Ein Blick seitwärts, bevor er ins Tor eintrat, überzeugte Heinz, daß die Stadt an dieser Stelle eine doppelte Befestigung hatte. Die Danziger haben sich gut vorgesehen, dachte er bei sich.

      Die geräumige und mit Sprengsteinen gut gepflasterte Langgasse zeigte auf beiden Seiten ohne Unterbrechung eine Reihe von hochgiebeligen Bürgerhäusern, die meisten bis oben hin von Ziegelsteinen aufgeführt, manche darunter nicht ohne zierlichen Schmuck von schwarz, grün oder blau glasierten Gesimsen und leistenartigen Verzierungen der roten Mauer, mit Erkern und kleinen Türmchen versehen. Eine Türeinfassung von grauem Sandstein mit mancherlei wunderlichen Figuren und Zeichen fehlte den stattlicheren nicht. Fast jedes Haus hatte neben der Tür nach der Straße hinaus einen Windfang, einen Vorbau nämlich, in dem sich der Handwerkerladen oder die kaufmännische Schreibstube befand. Die Fensteröffnungen waren überall sehr klein, nur im ersten Stock etwas geräumiger, nach dem Giebel hin bloße Luftluken für die Vorratsböden. Selbst jetzt, wo die Sonne am blauen Himmel schien und die Straße hell beleuchtete, machten die massiven Mauern keinen freundlichen Eindruck. Der Blick stieg gern an dem schlanken Rathausturm hinauf, der über das Gewirr der Straßen und Gassen und über alle höchsten Spitzdächer hinweg hoch in die freie Luft aufstieg.

      An der Ecke, die das Rathaus mit seinem prächtig verzierten Giebel einnahm und hinter der sich die Langgasse zum Markt erweiterte, gab's gerade einen großen Menschenauflauf. Die Menge drängte sich nach der hohen Treppe hin, auf der die Herren vom Rate standen, sämtlich in Feiertagskleidern, das Schwert an der Seite und mit goldenen Ketten behängt. Den Stufen zunächst stand der Bürgermeister Konrad Letzkau, hoch aufgerichtet in würdiger Haltung, neben ihm sein Kumpan Arnold Hecht, gleichfalls bemüht, die Würde des Amtes äußerlich herauszustellen, aber trotz seiner Körperfülle beweglicher als er. Heinz fragte, was es da gebe. Die Herren haben zu Rat gesessen, hieß es, und lassen sich nun die gefangenen Seeräuber vorführen. Nun reckten sich auch alle Hälse, denn die Trompeter und Pfeifer auf dem Podest des nahen Artushofes stimmten ein kriegerisches Stück an, Stadtknechte in Harnisch und mit langen Piken bahnten eine Gasse, und die Seeräuber, sämtlich in schweren Ketten, folgten paarweise, nur ihr Hauptmann ging mitten im Zuge allein. Die Bürgerwache gab ihnen das Geleit. Als der Zug unter der Rathaustreppe hielt, ertönte ein tausendstimmiges Hurra der schaulustigen Menge.

      Heinz hatte sich mit seinen breiten kräftigen Schultern einen Weg bis nahe an die Treppe gebahnt, wo er


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