Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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haben die Mauern so gut in ihrem Verschreibungsbrief als wir, antwortete er, aber sie warten, bis der Orden ihnen die Steine anfahren lassen wird. Er wird ihnen dann aber auch die Torwächter stellen – ha, ha, ha!

      Nun wurde der mächtige Backsteinbau des Ordensschlosses sichtbar, ein Viereck von Gebäuden, durch Ecktürme überragt und von Mauern mit Zinnen ringsum eingeschlossen. Das Schloß war gerade an der Stelle angelegt, wo rechter Hand die Mottlau in die Weichsel einmündete; es zog sich mit seinen starken Vorwerken bis an die beiden Flüsse heran. Die dritte Seite vorbei floß der Mühlgraben, der damals oberhalb der Mottlau ebenfalls in die Weichsel seinen Abfluß hatte, und ein Teil des Wassers war in den Burggraben geleitet. Nur von wenigen kleinen Fenstern waren die gewaltigen Außenmauern des Burgbaues durchbrochen, der dadurch ein recht düsteres Aussehen gewann.

      Die »Maria von Danzig« steuerte in die Mottlau ein und zog die Barse nach sich. Bald glitt sie über eine schwere eiserne Kette hin, die am jenseitigen Ufer angepfählt war und sich rechts über eine große Rolle in die Mauer hineinzog; sie hing schlaff und zu zwei Dritteln unter dem Wasserspiegel.

      Was bedeutet das? erkundete Junker Heinz.

      Das Gesicht des Ratsherrn verfinsterte sich. Wir können's vorläufig nicht hindern, sagte er, daß die Herren hier eine Kette durch den Fluß legen und sie aufziehen, wann sie wollen. Sie haben hier die Macht, also auch das Recht. Es hat einen gar glimpflichen Namen: der Fluß soll gesperrt werden können im Notfall gegen feindliche Schiffe, etwa gegen die Seeräuber oder gegen die dänischen Orlogs, die der Stadt einen unliebsamen Besuch machen möchten. Nun ja, eine Art von Schutz ist's schon, aber gebeten haben wir nicht darum. Und ich denke, im stillen ist auch noch eine andere Absicht dabei: die Kette kann auf einmal uns Rechtstädtern zum Schimpf aufgezogen werden, unsere Schiffe nicht hinauszulassen. Das Ding ist uns sehr beschwerlich.

      Steht ihr so schlecht mit der Herrschaft? fragte Hans. Das war früher nicht so.

      Nicht schlecht und nicht gut, antwortete Groß, das Kinn aufwerfend. Wir wachsen zu kräftig, das macht dem Orden Sorge. Er möchte gern wie eine Henne alle seine Küchlein unter den Flügeln haben, und es sind darunter doch einige, die schon gern auf eigene Faust ihr Futter suchen. Thorn, Elbing, Danzig – die kleineren nicht zu nennen –, wir gehören zur Hansa und tagen mit zu Lübeck, innerhalb Landes aber untereinander zu Marienburg, und was unsern Handel angeht, darüber leiden wir nicht gern Einsprache. Das gefällt dem Orden immer wenig, ob er's gleich anfangs ohne Widerspruch gelitten hat. Er möchte auch alljährlich gern dreinreden bei der Ratswahl, um stets seine Freunde im Stadtregiment zu wissen, und seine Freunde sind nicht immer der Stadt gute Männer. So gibt's denn allerhand kleine Häkeleien mit dem Komtur – es wäre zu weitläufig, das des näheren zu erklären. An das Schloß lehnte sich die Vorburg mit großen Speichern nach der Wasserseite. Sie fuhren dicht daran vorüber. Da speichert der Orden sein Korn, fuhr der Ratsherr fort, und er hat noch mehr Magazine weiter am Fluß hinauf. Seht ihr, das ist auch so ein Punkt, über den wir schwerlich jemals einig werden. Der Orden hat überall im Lande großen Besitz und kann das Korn, das er baut und das ihm von den Bauern gezinst wird, nicht verzehren; daß er's verkauft, ist ganz in der Ordnung; aber daß er nun selbst damit Handel ins Ausland treibt und sich allerhand Privilegien beimißt, die den Kaufmann in der Stadt drücken (er blickte nach den beiden Rittern um, die am Mast standen und den Mauerwächtern zuwinkten), das macht viel böses Blut. Es sollte alles durch die Hand des Kaufmanns gehen.

      Rechts folgte nun eine Strecke sumpfiges Ufer. In einiger Entfernung landeinwärts dicht unter dem Schloß lag ein Häuflein kleiner und niedriger Häuser um ein größeres herum, das sie mit dem Dach überragte. Das ist das Hakelwerk, erklärte Groß, da wohnen die Fluß- und Seefischer zusammen in einer besonderen Gemeinde. Das Haus in der Mitte ist der Krug und Kramladen. Die Schiffskinder haben durstige Kehlen. Dort aber, an den letzten Häusern, geht's durchs Haustor in die Rechtstadt. Gottlob, ich bin zu Hause!

      Die Mauern der Stadt, von Strecke zu Strecke mit vortretenden Türmen bewehrt, zogen sich gegenüber der Insel links bis an das Flußufer heran und dann demselben entlang, von vielen niedrigen Toren durchbrochen. Dach an Dach ragte über dieselben hervor, so weit das Auge blicken konnte, und über alle erhob sich die breite Masse der Marienkirche und der schlank aufstrebende Turm des Rathauses, hinter dem eben die Sonne unterging. Hunderte von metallenen Kreuzen, Kugeln und Fähnchen blitzten und leuchteten auf den hohen Giebeln der Häuser und Türme. Ein prächtiger Anblick!

      Schon vom Schlosse ab hatte eine Schar von größeren und kleineren Booten die Schiffe begleitet. Es mußte auffallen, daß die »Maria von Danzig« eine Barse im Schlepptau hatte, der ein Mast heruntergebrochen war. Es wurde hinaufgefragt und von den Schiffsleuten Antwort gegeben. Bald lief das Gerede von Boot zu Boot, daß ein Räuberschiff nach heftigem Kampfe genommen sei, daß es Tote und Gefangene an Bord gebe. Die Nachricht wurde blitzschnell ans Ufer weiterverbreitet. Links an der Speicherinsel lag Schiff an Schiff, Getreide einzunehmen. Die Sackträger hatten eben Feierabend gemacht und standen nun mit den Matrosen auf den Bohlensteigen oder auf den Hinterdecken, das Schauspiel zu betrachten. Dann flatterte eine Flagge zum Top des Mastes hinauf. Das war unverabredet das Zeichen für alle übrigen Schiffe, ihre Flaggentücher zu Ehren der »Maria« zu entfalten. Kapitän Halewat hatte die Blide noch einmal laden lassen und gab nun einen kräftigen Freudenschuß. Gleich darauf legte das Schiff dicht beim Koggentor an.

      Vom Fischmarkt an war ihm schon eine sich immer vermehrende Menschenmenge am Bollwerk entlang gefolgt. Nun, durch den Schutz erschreckt und gleichsam herangerufen, strömte sie auch von der Breiten Gasse her durchs Wassertor und aus der Brauergasse durchs Ankerschmiedetor und vom Langen Markt durchs Koggentor und durch alle die anderen kleinen Tore an den Fluß hinaus, so daß bald der Raum unter der Mauer dicht gefüllt war. Ein Seeräuberschiff genommen! lief die Kunde von Mund zu Mund. Wer ist der Kapitän – wem gehört das Schiff – gibt's Tote – wie viele Räuber sind gefangen? fragte einer den andern. Und dann, von Zeit zu Zeit: Hurra – hurra – hurra!

      3. SCHLOSS UND STADT

       Inhaltsverzeichnis

      Kapitän Halewat hatte indessen auf Ansuchen der Ritter einen Bootsmann mit ihrem Knecht auf der Jolle nach dem Schloß zurückgeschickt, um am Wassertor desselben ihre Ankunft zu melden und zugleich anzuzeigen, was ihnen begegnet war. Sie ließen den Komtur, Johann von Schönfels, bitten, sie nach dem Schloß einzuholen und zugleich für die Fortschaffung der Leiche des gefallenen Bruders zu sorgen. Von den Schiffsleuten ließ der Alte vorläufig niemand an Land; sie plauderten aber über den Bord hin mit den Neugierigen, rühmten ihre Taten und zeigten ihre Wunden. Nur die Nächsten konnten bei dem allgemeinen Lärm etwas verstehen.

      Nun zeigte sich unter dem Koggentor eine rückstauende Bewegung. Die Menge wich rechts und links zur Seite aus und ließ mit ehrerbietiger Rücksicht einige Personen bis ans Schiff durch. Die Herren vom Rat – lief das Gemurmel um –, die Herren Bürgermeister – Platz, Platz da für die Herren Bürgermeister!

      Voran schritt ein langer, hagerer Mann mit grauem, kurzgestutztem Bart, in braunem Mantel mit Pelzverbrämung und schlichter Samtkappe. Er führte am Arm eine junge Frau, gleich ihm hochgewachsen und schlank. Es war der Bürgermeister Konrad Letzkau und seine Tochter Anna, des Ratsherrn Bartholomäus Groß Ehefrau. Ihm zur Seite ging Arnold Hecht, zweiter Bürgermeister, ein kleiner, untersetzter Mann. Ihnen folgten auf dem Fuße einige vom Rat, darunter Tidemann Huxer, Johann Krukemann, Peter Vorrat und Johann vom Stein. Auch die Schöppen Gerd von der Beke, Wilm von Ummen und Albert Dodorp hatten sich angeschlossen. Die Bürgerwache geleitete sie und hielt den Platz rund um sie her frei.

      Nun erst wurde ein Brett vom Schiff aufs Bollwerk hinabgelassen. Barthel Groß betrat dasselbe und schritt hochaufgerichtet – nicht zu rasch, seiner Amtswürde vor der Menge nicht zu schaden – auf seine Frau zu und umarmte sie. Habe ich dich wieder? sagte sie leise, sich an seine Brust schmiegend. Bist du mir gesund und heil? Ach, du blutest im Gesicht –

      Ein paar Schrammen, die bald unter deiner Pflege vernarben werden, tröstete er. Wie steht's zu Hause? Sind unsere kleinen Fräulein wohlauf?

      Sie


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