Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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lehrten, und ein drittes jenseits der Alpen, in Bologna, um sich in allen freien Künsten auszubilden, auch ein wenig von der Rechtsgelehrsamkeit zu profitieren, die dort in hohem Ansehen stand. Nun hatte der Vater seine Rückkehr gewünscht, damit er sich als der einzige Sohn der Gutswirtschaft annehme, zugleich aber auch ihm aufgetragen, die Verwandten in Thüringen und Sachsen zu besuchen, daß man einander nicht ganz vergäße und sich auch ferner zusammengehörig wüßte. Von dort kam er jetzt.

      Sein Gefährte, vielleicht nur ein oder zwei Jahre jünger als er, nannte sich Heinz von Waldstein. Er war in seiner äußeren Erscheinung ganz das Gegenstück von ihm, mittelgroß, breitschultrig, kräftig, fast ein wenig gedrungen; der Ledergurt schien ihm zu eng zu sein, die Brust kaum Platz zu haben unter dem Wams. Dichtes, krauses Haar von blonder Farbe bedeckte den Kopf und quoll an Stirn und Nacken unter der Kappe vor. Das runde, von der Sonne gebräunte Gesicht glühte gleich hochrot, wenn das Herz rascher zu schlagen anfing, und ein Paar blaue Blitzaugen schauten daraus munter in die Weite, als ob ihnen die ganze Welt gehören müßte. Der muskulöse Arm und die kräftige Hand zeigten an, daß er im Waffenhandwerk wohlgeübt war, und am liebsten sprach er auch von Ritterspiel und Jagd. Gerade sein frisches, naturwüchsiges Wesen hatte Hans von der Buche gefallen, und Heinz wieder fühlte sich seltsam angeregt durch dessen gelehrtes Wissen, das doch gar nicht mit sich prunken wollte, und durch die Mitteilungen aus fernen Ländern, von denen er bisher nicht viel mehr gekannt hatte als die Namen. Wenn er so aufmerksam zuhörte und sich mühte, den klugen Reden zu folgen, die Augenbrauen aufzog und den Blick forschend auf den Sprechenden richtete, konnten seine Gesichtszüge einen recht beschaulichen Ausdruck annehmen, und eine Viertelstunde später wieder, wenn irgendein unbedeutender Anlaß seine Heiterkeit heraustrieb, konnte er mit seinem herzlichen Lachen auch den ernsten Gesellen anstecken und zu ausgelassenen Späßen ermuntern. So waren sie gute Freunde geworden, indem sie treulich gegeneinander austauschten, was jeder seinen besten Besitz nannte.

      Hans hatte bald alles erfahren, was Heinz selbst von seinen kleinen Lebensschicksalen wußte. Er hatte früh Vater und Mutter verloren, erinnerte sich nicht einmal, sie je gesehen zu haben. Er war erzogen und aufgewachsen am Hofe des kaiserlichen Vogts zu Plauen, Heinrichs mit dem Beinamen »der Reuße«, weil der Ältervater dieser Linie eine reußische Prinzessin geheiratet hatte. Er durfte ihn Oheim nennen, wußte aber die Verwandtschaft nicht näher anzugeben und meinte, der edle Herr sei eigentlich nur sein Pate gewesen und habe sich seiner von frühester Jugend väterlich angenommen. Fast wie ein Kind des Hauses war er gehalten, und es hatte ihm an nichts gefehlt, solange er denken konnte. Er war in allen ritterlichen Künsten geübt worden und nun, reichlich mit Geld versehen, nach Preußen geschickt zu des Vogts Vetter, der gleichfalls Heinrich hieß, aber der Linie der »Böhmen« angehörte und zur Zeit Komtur von Schwetz war, nachdem er früh schon in den Orden getreten. Vielleicht, daß er seine junge Kraft brauchen könne in dem Kampfe, der im Reiche schon für unvermeidlich galt, und zu dem auch Heinrich Reuß einige Fähnlein Söldner zu stellen gedachte. Er wollte sie sogar selbst dem Hochmeister zuführen und hatte Heinz Briefe mitgegeben an diesen und an seinen Vetter in Schwetz, die ihn melden sollten. Du hast nicht Land und Leute, hatte er ihm beim Abschied gesagt; sieh zu, wie du sie dir gewinnst. In Preußen hat mancher schon mit starkem Arm und tapferem Herzen sein Glück gemacht, und gefällt dir's, in den Orden einzutreten, so kann dir mein Vetter wohl dazu behilflich sein. Land und Leute zu gewinnen, das schien freilich dem Blondkopf eine lockendere Aussicht, als den weißen Ordensmantel mit dem schwarzen Kreuz zu nehmen. Er ließ sich recht umständlich erzählen, wie Andreas von der Buche nur sein Schwert nach Preußen gebracht hatte und unter dem vielgefeierten Meister Winrich von Kniprode Gerichtsherr von Buchwalde geworden war.

      Nun hatte die gemeinsame Seefahrt sie noch inniger vereint und noch fester aneinander geschlossen. Gab's doch nach außen tagelang nichts zu schauen als das graue Wasser mit seinen rollenden Wogen, und war doch der Schiffsraum so eng, daß man einander auf Schritt und Tritt begegnen mußte. Sie saßen gern zusammen auf dem hohen Vorderkastell, wo das Ankertau zu einem breiten Stapel aufgerollt war, und plauderten vergnüglich von Vergangenheit und Zukunft, oder sahen dem Zuge der weißgeflügelten Möwen nach, die überall das nicht ferne Ufer verrieten. Mitunter gesellte sich Herr Barthel Groß zu ihnen, hörte eine Weile, sich mit den Ellenbogen auf das Kastell stützend, zu und warf ein kurzes Wort ein; meist aber ging er, geschickt die Schwankungen des Schiffes parierend, rasch das Overlop auf und ab, die Hände in den Taschen wie ein Mann, dem Seereisen eine gewohnte Sache sind und der sich selbst als einen halben Seemann fühlt. Er war sicher wenig über dreißig Jahre alt, zeigte aber die ernste Stirn eines Vierzigers.

      Es war während der Fahrt nichts passiert. Diesen Morgen erst hatte es den beiden Freunden geschienen, als ob die zahlreiche Bemannung des Schiffes ungewöhnlich in Bewegung gesetzt sei. Der Steuermann blieb selbst am Steuer, neue Segel wurden aufgehißt, die Matrosen kletterten auf den Masten herum, alle Stricke und Leinen wurden untersucht und straffer angezogen. Kapitän Halewat stand nicht weit vom Steuermann am Rudergat und blickte durch einen Tubus ohne Glas nach Norden auf die See hinaus, wo sich ein fernes Segel bemerkbar machte. Nicht ein Stellchen von Hellergröße auf diesem verwetterten Gesicht war ohne Furchen und Falten, und jetzt zog die gespannte Aufmerksamkeit alle Maschen des Liniennetzes auf der Stirn nach dichter zusammen.

      Die Freunde bemerkten, daß der Ratsherr ihn ansprach, aber kurz abgefertigt wurde. Als er sich nun wieder der vorderen Spitze des Schiffes näherte, erkundigten sie sich, was es gäbe. Wahrscheinlich nichts Gutes, antwortete Groß. Das Segel dort – es nähert sich uns sehr verdächtig aus der Richtung von Gotland her. Der Alte hat für so etwas scharfe Augen.

      Er meint –?

      Pah! Er meint gar nichts; er sagt: es ist so. Vitalienbrüder sind unterwegs. Die Barke dort ist nicht umsonst unter Segeln bis zu den Mastspitzen hinauf. Sie sucht uns von Norden her das Fahrwasser um Hela herum abzuschneiden, und wir dürfen uns nicht näher ans Land heranwagen der Sandbänke wegen. Erreichen wir aber auch ungefährdet die Danziger Bucht, so sind mir doch noch weit vom Ziel und können, wenn sie's unverschämt treiben, leicht noch auf der Reede eingeholt werden.

      Mögen sie nur kommen! rief Heinz, indem er aufsprang und den rechten Arm vorstreckte; sie sollen sehen, daß wir uns unserer Haut zu wehren wissen.

      Lieber Herr, antwortete der Kaufmann bedächtig, um unsere Haut ist's ihnen wenig zu tun, obgleich sie auch da keinen Spaß verstehen, wenn man sich ihnen zur Wehr setzt. Aber die Güter locken sie, mit denen der Raum gefüllt ist. Die Beute wäre sehr ansehnlich; allein die flandrischen Laken rechnen nach Tausenden von Mark. Es könnte leicht mancher Danziger ein armer Mann werden, wenn das Schiff genommen wird. So wollen wir denn lieber alle Segel beisetzen und in der Flucht unser Heil suchen, die uns in diesem Falle gar nicht gegen die Ehre geht.

      Heinz setzte sich wieder auf den Taustapel und drückte den Kopf in die Schultern. Ich habe in meiner Heimat viel von dem frechen Seeräubervolk erzählen gehört, sagte er. Sang man's doch auf allen Straßen, wie vor nun sieben oder acht Jahren die Hamburger den Nikolaus Störtebeker, den Gödeke Michael und alle ihre Gesellen fingen und ihrer hundertundfünfzig hinrichteten vor den Augen des Magisters Wigbold, der einer der blutgierigsten Anführer gewesen sein soll und sie nun alle vor sich sterben sehen mußte bis auf den letzten Mann. Aber warum sie recht eigentlich Vitalienbrüder heißen, das hat niemand zu erklären gewußt. Möcht's aber wohl wissen, ehe ich sie von Angesicht kennenlerne.

      Der Ratsherr warf lachend den Kopf zurück. Das hat einen gar unschuldigen Grund, entgegnete er. Es gab eine Zeit, wo die Raubgesellen den Hanseaten gute Freunde waren, weil sie ihnen im Dänischen Kriege halfen. Ihr wißt, daß vor nun mehr als zwanzig Jahren König Olav starb, erst siebzehnjährig, und seine Mutter Margarethe nun Königin von Dänemark und Norwegen wurde. Da aber Olav der letzte männliche Sproß des uralten schwedischen Königsgeschlechts der Folkunger gewesen war, meinte sie nun auch Anspruch auf die schwedische Krone zu haben. Schwedens Thron war aber besetzt. Der darauf saß, war der Mecklenburger Albrecht, Sohn der Schwester des Königs Magnus Erichsson. Der behauptete nun wieder sein Recht auf Dänemark und Norwegen, und so kam es zum Kriege, in dem ihm die Hanseaten Beistand leisteten, denn ihr Handel wurde durch Margarethe schwer gefährdet, und sie durften sie nicht übermächtig werden lassen. Das Glück entschied gegen Albrecht; sein eigener Adel verließ ihn, und in der Schlacht bei Falköping fiel er mit seinem Sohne


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