Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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so daß sie ihren Mann überragte, was er denn freilich in anderer Richtung durch seine Korpulenz einbrachte. Auch Günter Tidemann fand sich ein, Pfarrherr von St. Marien und ein naher Verwandter der Bekes. Er hatte in Prag studiert und stand bei den Dominikanern in Verdacht, ein Wiklefite und Anhänger von Huß zu sein, so vorsichtig er sich auch in seinen Predigten äußerte, die allen Leuten von Bildung wohlgefielen. Er erfuhr, daß Hans von der Buche die Universität Prag besucht habe, und wußte nun viel zu fragen und zu erkunden, worauf der Junker Antwort geben konnte. Endlich führte Tidemann Huxer, der Ratsherr und Schiffsreeder, seinen braven Kapitän Halewat ein und dem Hausherrn zu. Das hübsche junge Mädchen mit den schelmischen Augen und den langen braunen Zöpfen aber, das an seinem Arm eingetreten war, nahm sogleich Katharina Letzkau in Beschlag. Es war Maria Huxer, ihre beste Freundin, wie sie erst sechzehn Jahre alt.

      Junker Heinz von Waldstein erfuhr's von Frau Anna Groß, die er heimlich deshalb ausfragte. Sie sei ihres Vaters einzige Tochter, und an Bewerbern aus den besten Familien werde es ihr nicht fehlen. Das freundliche Gesicht mit dem zierlichen Näschen und kirschroten Lippen gefiel Heinz auf den ersten Blick ausnehmend, und bald ließ er kein Auge mehr davon. Groß mußte ihn mit Huxer bekannt machen, der schon durch Halewat genug von seinen tapferen Taten erfahren hatte und ihm nun für die Rettung des Schiffes dankte. Sobald Maria seinen Namen hörte, war sie nur noch mit halber Aufmerksamkeit bei der Freundin. Huxer winkte sie zu sich heran. Das ist der Junker von Waldstein, Kind, sagte er und klopfte mit der rauhen Hand ihre Wange, der den Marquard Stenebreeker auf den Rücken gelegt hat. Laß dir's von ihm selbst erzählen.

      So durfte Heinz nun die jungen Fräulein unterhalten, und das war ganz nach seinem Wunsch. Sie hatten viel zu fragen, besonders die muntere Maria, aber er blieb keine Antwort schuldig und wußte das Gespräch in so lustigem Tone fortzuspinnen, daß es fortwährend zu lachen gab. Als dann der Hausherr bat, an der Tafel Platz zu nehmen, reichte er mit einer höfischen Verbeugung Maria die Hand, sie zu Tisch zu führen, und sah sie dabei mit so freundlichen Augen an, daß ihr das Blut in die Wangen schoß. Setzen wir Jungen und Jüngsten uns hier ganz unten an den Tisch zusammen, sagte er, sich zu Katharina zurückwendend, die mit Hans von der Buche folgte, so wird man unsere Bescheidenheit loben und uns gern den Gewinn lassen. Er setzte sich den Fenstern gegenüber an die schmale Seite der Tafel; zu beiden Seiten nahmen die jungen Fräulein Platz. Neben Maria reihten sich Heinrich von der Beke und Margarete Letzkau ein, neben Junker Hans aber Frau Anna Groß und ihr Ehemann. Letzkau hatte die Frau seines Kumpans zu Tisch geführt, Kapitän Halewat am andern Ende der Tafel gerade unter den Fenstern den Ehrenplatz zwischen den beiden Bürgermeistern erhalten; die übrigen Gäste füllten die Lücken auf den Langseiten der Tafel.

      Schüssel nach Schüssel wurde aufgetragen, und die Frauen mußten die Kunst des Koches rühmen; er hatte die Gewürze nicht gespart. Aber auch zu trinken gab's nach Herzenslust. Da wurde geprobt, ob das Wismarer Bier wirklich besser schmecke als das Danziger und seinen höheren Preis und den heftigen Widerspruch der Danziger Brauer gegen seine Einfuhr verdiene. In kleinen gläsernen Schenkbechern wurde Met herumgereicht; in den hohen venezianischen Gläsern perlte elsässischer Rheinwein, die Damen aber zogen den süßen ungarischen Wein vor und meinten ihn vorsichtig genug zu trinken, daß er ihnen nicht zu Kopf steige.

      Indessen wurden auch mancherlei ernste Gespräche geführt. Der Pfarrherr von St. Marien ließ sich über den bösen Kirchenstreit aus und beklagte es, daß sich nun gar drei Päpste um den Stuhl Petri zankten und einander in den Bann täten mit argen Vorwürfen, sehr zum Schaden der Christenheit. Das sei so übel nicht, meinte Arnold Hecht lachend; wenn sie miteinander zu tun hätten, würden sie weniger Zeit haben, sich in die weltlichen Händel zu mischen, und der Kaiser könne einmal aufatmen. Nun – uns hier in Preußen kümmert's nicht sonderlich, fuhr er fort, wir danken es dem Orden, daß er uns die römischen Pfaffen vom Leibe hält, wovon er selbst freilich den besten Nutzen zieht. Er hat's geschickt genug angefangen, daß er die Landesbischöfe mit ihren Kapiteln in sich aufnahm, so daß es nun keinen Widerstreit zwischen weltlicher und kirchlicher Macht geben kann, sondern beide vereint ihr Herrscherrecht üben. So heißt es denn überall in den Briefen ganz einträchtiglich: der Herr Hochmeister mit seinen Gebietigern und Prälaten! Wir Bürger aber haben in Landessachen nicht mitzusprechen, ob wir nun im Ordensgebiet oder unter dem Krummstab wohnen.

      Das Werk ist doch nur halb gelungen, bemerkte Herr Günter Tidemann, den ermländischen Bischof haben die Kreuzritter leider nicht gezwungen. Er hat's durchgesetzt, sich von der erzbischöflichen Jurisdiktion zu befreien und direkt unter den Papst zu stellen. Deshalb will Herr Heinrich Vogelsang in Heilsberg auch ein ganz anderer Landesherr sein als die übrigen, und nach seinem Kopf wirtschaften, und da er für sich allein zu schwach ist gegen den Orden, hält er's heimlich mit den Polen, unsern schlimmsten Feinden. Gebt acht, was uns von daher kommt! Und hat er nicht einen Genossen, der leicht noch gefährlicher werden kann? Den Bischof von Kujawien meine ich, der in Leslau residiert und seinen Sprengel zugleich in Polen und Preußen hat, seit Pommerellen dem Orden gehört. Der freut sich des weltlichen Haders und schürt das Feuer an hüben und drüben, denn beim allgemeinen Brande hofft er sich nehmen zu können, was ihm gefällt. Weh uns, wenn die beiden übermächtig werden im Lande!

      Barthel Groß gab ihm recht und meinte, es sei ein trauriges Zeichen der Zeit, daß die geistlichen Herren überall nur darauf bedacht seien, ihre Güter zu mehren und ihre Macht zu stärken, statt für Frömmigkeit und gute Zucht zu sorgen und in Frieden ihre Schäflein zu weiden. – Deshalb könne auch nur eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern nützen, mischte sich Hans von der Buche ein; überall verlange man nach einem allgemeinen Konzil, und die Verwirrung sei schon so groß, daß kaum noch lange gezögert werden dürfe, wenn nicht im Reiche alles zugrunde gehen solle.

      Das ist unsere Hoffnung, bestätigte der würdige Pfarrherr. Ich weiß nicht, ob die Christenheit auf die Dauer einen unfehlbaren Papst ertragen könnte – denn wenn der eine unfehlbar ist, so gibt es für die ganze übrigen Menschheit keinen Fortschritt in der Gotteserkenntnis –, aber das weiß ich, daß drei Unfehlbare, die einander gegenseitig verketzern, ein Unding sind, das in sich selbst zusammenbrechen muß. Freilich tut's not, daß Klerus und Laien nicht im Irrtum bleiben über die Lehre der Kirche; aber nur die Gesamtheit der Bischöfe ist durch den Heiligen Geist berufen und erleuchtet, zu entscheiden, was der rechte Glaube sei. Bis dahin mag's keinem verwehrt sein, selbst die alten Schriften zu prüfen und sein Gewissen zu beraten. Es ist traurig genug, daß man heut jeden verdächtigt, im Glauben schwach zu sein, der auch nur gegen die Mißbräuche der Kirchengewalt eifert, die doch zum Himmel schreien.

      Aber auch ein Konzil wird diese Schäden nicht von Grund aus bessern, hochwürdiger Herr, rief Hans von der Buche lebhaft, wenn man dort nicht auf Männer wie Johann Huß und Hieronymus von Prag hört! Sie meinen es ehrlich mit der Kirche, sie wollen nichts für sich, sie wenden sich an das Volk, das des Heils bedürftig ist, sie dringen vor allem auf gute Sitte und gottgefälligen Wandel. Den gelehrten Herren von der Sorbonne traue ich wenig; es ist ihnen doch nur um ihre Lehrmeinung zu tun, und sie zanken untereinander, so weit ich's verstehe, um des Kaisers Bart. Wer Huß predigen gehört hat, der muß ein besserer Mensch geworden sein!

      Der Pfarrherr lächelte bedächtig in sein Schenkglas hinein.

      Auch ich bin sein Schüler gewesen, sagte er, und gedenke gern der Zeit, da ich zu seinen Füßen gesessen. Aber es ist nicht ungefährlich, sich seinen Anhänger zu nennen, seit der Erzbischof von Prag im vorigen Jahre seine Schriften als ketzerisch hat verbrennen lassen. Wir sind hier lauter gute Freunde bei Tisch, da mag ein offenes Wort an der Stelle sein; aber laßt Euch raten, lieber Junker, nicht auf den Straßen solche Meinung laut zu verfechten – die Graumönche passen auf und haben für dergleichen feine Ohren. Ihr könntet leicht Ungelegenheit haben. Denn sowenig sie auch begreifen, um was es sich handelt, so ist ihnen doch schon der Name Huß verhaßt, und wer ihn im Munde führt, der gilt ihnen als der schlimmste Bösewicht und Judas. Die weltliche Obrigkeit aber scheut sich, es mit ihnen zu verderben, da sie im gemeinen Volke großen Anhang haben.

      Das sei Gott geklagt, trat Huxer ihm mit einem kräftigen Seufzer bei. Ging's nach ihrem Willen, so wäre bald das ganze Stadtregiment ein anderes. Sie sprechen dem gemeinen Mann zu Munde, daß er auch Anteil haben müßte an der Ratswahl, damit sie ihre Kreaturen hineinbringen und den Beichtstuhl über den Ratssessel stellen.


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