Blutrausch. Andreas M. Sturm
Karins Notizzettel füllte sich.
»Weise lebte allein und hatte wahrscheinlich nie Gäste«, fuhr Jan fort und untermauerte seine Behauptung durch die gemachten Beobachtungen. »Das hatte er auch nicht nötig, denn er holte sich das pralle Leben in die heimische Klause«, ließ er gleich darauf die Bombe platzen.
Seinen Worten folgte eine angespannte Stille. Vier Augenpaare starrten ihn gespannt an.
Nach einer Kunstpause beschrieb Jan genüsslich und detailliert das Auffinden der SD-Karte, bis er zum Kern der Sache kam. »Vermutlich lag die SD-Karte im Rack und der Mörder hat sie runtergerissen, als er die Geräte rauszerrte. Natürlich habe ich es nicht ausgehalten und mir den Inhalt der Karte angesehen. Weise hat mehrere Leute beim Sex gefilmt.« Jan holte Luft. »Der musste ein super Equipment haben, die Aufnahmen sind gestochen scharf.« Er fasste in seine Hosentasche und legte die SD-Karte vor Sandra. »Ich hoffe, da sind keine Viren drauf, sonst habe ich jetzt ein Problem.«
Sandra winkte lächelnd ab. »Wenn ja, mache ich deinen Rechenknecht im Handumdrehen wieder flott.« Danach berichtete sie vom Inhalt des gefundenen Rucksacks.
»Okay«, sagte Jan gedehnt, »Weise konnte sich solche Teile leisten. Damit ist auch das Rätsel der Camouflage Klamotten gelüftet, im Gucci-Anzug kriecht man nachts nicht durch die Büsche.«
Karin hob die Hand, bedankte sich mit einem Lächeln bei Jan für die gute Arbeit und fasste die Ergebnisse zusammen. »Damit haben wir bis jetzt zwei Tatmotive. Erstens, das Offensichtliche: Raubmord. Zweitens ist es möglich, dass einer der Gefilmten nicht damit einverstanden war, dass er in seinen intimsten Momenten abgelichtet wurde. In diesem Zusammenhang kann es sein, dass unser lieber Anwalt nebenbei ein kleines Erpressungsgeschäft am Laufen hatte. Ich schlage vor, dass wir in alle Richtungen ermitteln.«
Karin stand auf und begann im Raum hin und her zu laufen. »Bevor wir loslegen, möchte ich, dass sich jeder die Filme ansieht. Wir werden in den nächsten Tagen mit einer Menge Leute sprechen und da ist es von Vorteil zu wissen, ob einer von denen Darsteller in den Filmchen ist. Jan und Rolf, ihr macht euch im Anschluss nach Weißig auf und sprecht mit den Nachbarn. Findet heraus, ob es in der Gegend Einbrüche gegeben hat und ob Weise eine Putzfrau und einen Gärtner beschäftigt hat. Solltet ihr auf jemanden treffen, den ihr in Weises Filmen gesehen habt, versucht mit viel Fingerspitzengefühl herauszubekommen, ob derjenige davon wusste. Und vergesst nicht, den Leuten auf die Füße zu gucken. Ach ja, fahrt auf dem Hinweg bei Frau Bergmann vorbei und lasst euch ihre Fingerabdrücke geben.« Karin überlegte kurz und schnaufte gleich darauf genervt. »Sollte unsere Super-Juristin sich weigern, nehmt sie mit aufs Revier.«
»Wenn es eine Haushaltshilfe gibt, dann könnte es durchaus sein, dass diese durch Zufall oder gezieltes Schnüffeln die Filme entdeckt hat«, klang plötzlich Heidelindes Stimme durch den Raum. »Möglich ist ebenfalls, dass diese Person sich wiedererkannt und sehr ungehalten reagiert hat.«
»Guter Einwand.« Karin nickte ihrer Kollegin zu und schaute dann Jan und Rolf eindringlich an. »Berücksichtigt das. Aber bitte, seid diplomatisch und stellt niemanden unter Generalverdacht.«
Rolf seufzte deutlich genervt. »Wir machen das nicht zum ersten Mal, weißt du.«
Karin nickte, nahm die Kritik wortlos entgegen und fuhr fort: »Heidi, du mit deiner langjährigen Erfahrung in Wirtschaftskriminalität nimmst dir die Akten und den Rechner vor. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass er mit seiner Anwaltstätigkeit ein weiteres Mordmotiv heraufbeschworen hat.«
Heidelinde nickte eifrig, woraufhin ihre Ohrringe zu schaukeln begannen.
»Sandra, du durchforstest die sozialen Netzwerke nach der Bergmann und Weise. Manchmal stellen die Leute die unmöglichsten Dinge online. Und überprüfe bitte das Alibi der Bergmann. Danach nimmst du dir die An- und Verkäufe in Dresden und Umgebung vor. Ich werde dem Tennisfreund von Weise einen Besuch abstatten und auf dem Rückweg ein Plauderstündchen mit unserem Doc abhalten.« Karin klatschte in die Hände. »Auf gehtʼs, die Uhr tickt. Wir haben einen Mörder zu fangen.«
Als Heidelinde aufstand, pfiff Sandra erstaunt. »Hübsches Kleid, Heidi. So etwas solltest du öfter tragen, du hast ein megascharfes Fahrgestell.«
Ihre Worte bewirkten, dass die blonde Oberkommissarin auf einmal im Fokus des allgemeinen Interesses stand. Bisher war sie ausschließlich in Hosen zur Arbeit erschienen. Heute trug sie ein weinrotes Minikleid, das ihre schlanke Figur betonte.
Eine feine Röte überzog Heidelindes Wangen. »Danke«, hauchte sie kaum hörbar.
»Aber was hast du denn mit deinen Haaren angestellt? Ist das Farbe?« Sandra trat zu ihr, schnappte sich eine der langen blonden Strähnen und hielt sie gegen das Licht.
»Das habe ich ganz vergessen, euch zu erzählen. Ich ziehe um. Der lange Weg von Moritzburg, und das jeden Tag, wird mir einfach zu beschwerlich. Ich habe mir eine hübsche Dreizimmerwohnung in Johannstadt besorgt. Eigentlich wollte ich selbst renovieren, habe aber schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Jetzt malert mir ein Profi die Wände.«
Karin konnte es nicht fassen. »Warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte dir gern geholfen. Und wieso musst du eigentlich renovieren, heutzutage sind die Wohnungen doch bezugsfertig?«
»Nur, wenn man es mag, in langweiligen, weiß eingeschlagenen Zimmern zu hausen. Da kann ich ja gleich in einen Briefumschlag kriechen.«
Sämtliche Anwesenden pflichteten ihr wortlos bei. Besser hätte Heidelinde es nicht formulieren können.
Mittwoch, 14.30 Uhr
Tief in Gedanken griff er nach dem Gurt, klinkte ihn ein und startete den Wagen. In das Motorgeräusch mischte sich sofort Herbert Grönemeyers Stimme. Er brauchte das. Brauchte die ständige Berieselung.
Beim Verlassen des Parkplatzes grinste er selbstzufrieden. Der heutige Tag hatte es erneut gezeigt, Kalle hatte unrecht.
In vielen Dingen.
Inzwischen wusste er das.
In seiner übertriebenen Vorsicht hatte Kalle bei Brüchen stets nur Bargeld mitgenommen. Schmuck, eine teure Münzsammlung oder hochpreisige Heimelektronik hatte er immer links liegen lassen, auch wenn es wehtat. Beharrlich war er auf Nummer sicher gegangen. Alles, was sich zurückverfolgen ließ, mied Kalle wie den Gang aufs Arbeitsamt.
Er lachte so laut, dass sein Gelächter im Auto widerhallte.
Was Kalle doch für ein Kleingeist war!
Hätte der nur einen winzigen Blick über den Tellerrand riskiert, hätten sie damals doppelt und dreifach abkassieren können.
Natürlich verbot es sich von selbst, einfach in den nächstgelegenen Laden zu marschieren, um dort die Geräte zu verticken. Wenn man die Sache so dämlich anging, konnte man sich gleich selbst stellen.
Gut, dass er mit einem wachen Verstand ausgestattet war, sich neue Horizonte erschloss und dadurch das Risiko-Nutzen-Verhältnis optimierte.
Ein Ausflug hinter die Grenze hatte genügt. In einer abgelegenen Seitenstraße in Ústí nad Labem hatte er ein Fachgeschäft für Elektrotechnik entdeckt. Ein kurzes Gespräch mit dem Besitzer und sie waren sich schnell handelseinig geworden.
Bei der ersten Verkaufsaktion vor einem Jahr war ihm noch übel vom Geruch seiner eigenen Angst geworden. Ein Mann von seinem Metier konnte nie sicher sein, an wen er geriet. Der Händler hätte durchaus ein Polizeispitzel sein können. Doch ohne mit der Wimper zu zucken, hatte ihm der Mann den teuren Gaming-Laptop abgekauft. 800 Euro hatte er für den Rechner gezahlt. Das klang viel, doch in Anbetracht der Lage, dass so ein Teil neu über zweitausend kostete, waren es Peanuts. Aber er war nicht in der Position für Verhandlungen. Friss oder verzieh dich, lautete das Gesetz in diesem Gewerbe.
Heute, bei seiner zweiten Transaktion, war er gelassen geblieben. Der Verkauf war inzwischen Routine. Es gab nur einen einzigen Wermutstropfen. Wortreich beteuerte der Händler, dass Euros in seiner