Blutrausch. Andreas M. Sturm

Blutrausch - Andreas M. Sturm


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hatte er gedacht und bereits nach einer Lösung für dieses unerwartete Problem gesucht. Kurz war ihm die Idee durch den Kopf gegangen, die Kronen in Meth umzuwandeln, das er mit anständigem Profit in Dresden an den Mann bringen konnte. Da er leider niemanden kannte, der Crystal konsumierte oder dealte, verwarf er diesen Einfall.

      So fuhr er kurzerhand in den nächsten Supermarkt und besorgte sich Getränke für die nächsten Wochen. Ein zweiter Stopp bei einem Baumarkt ließ den Kronen-Vorrat in seinen Taschen beträchtlich schmelzen.

      Er war zufrieden mit sich, souverän hatte er das Währungsproblem aus der Welt geschafft. Einige der Artikel waren hinter der Grenze wesentlich billiger als in Deutschland. So konnte er den Erlös aus dem Verkauf der Geräte ordentlich in die Höhe treiben.

      Mittlerweile war er in Pirna angelangt. Der zähe Verkehrsfluss gab ihm die Möglichkeit, seinen Blick wandern zu lassen. Er sah Leute an einer Ampel die Straße überqueren und andere auf dem Gehweg zu ihren Zielen eilen.

      Nachdenklich nickend, bestätigte er einmal mehr seine Theorie. Diese schnelllebige Zeit trieb die Menschen gnadenlos an und zwang sie ständig, zu neuen Terminen zu hetzen.

      Er hatte es schlauer angestellt, war ein Ruhepol in dieser quirligen Gesellschaft. Seine Arbeit brachte ihm keine Reichtümer ein, sie gab ihm aber, was er schätzte, ein ruhiges, sorgloses Leben.

      Der Preis, den er dafür zahlen musste, war Einsamkeit.

      Doch wenn er es recht bedachte, hatte diese Seite seines Daseins viel für sich. Er verquatschte sich nicht und weckte kein Misstrauen.

      Es war nicht so, dass er nicht versucht hatte, Kontakte zu knüpfen. Doch die geistlosen Gespräche in der Kneipe hatten ihn angewidert. Sie waren eine Beleidigung für seinen Intellekt.

      Beim Passieren des Ortsausgangsschildes lächelte er. Vor einem Jahr hatte er die Bekanntschaft einer Pirnaerin gemacht. Zuerst war es eine reine Geschäftsbeziehung, später wurde sie spezieller.

      Er zuckte die Schultern. Die junge Frau war tot.

      Und die Toten waren begraben, sie gingen ihn nichts mehr an.

      Als sich der Stop-and-go-Verkehr auch nach Pirna nicht auflöste, verlor er seine Geduld und sah zur Uhr. Zwar konnte er sich seine Zeit frei einteilen, doch er hatte drei Projekte gleichzeitig am Laufen und eines davon war außerordentlich dringend.

      Bloß gut, dachte er, dass ich bereits gestern mit den Vorarbeiten begonnen habe.

       Mittwoch, 17.15 Uhr

      Gegen Mittag war das Thermometer auf 29 Grad geklettert; aber obwohl sich die Sonne alle Mühe gab, die Dresdner mit Wärme und Helligkeit zu verwöhnen, zog Karin ein saures Gesicht. Die Straßen waren verstopft und jede Ampel grinste die Kommissarin mit rotem Licht an. Außerdem ärgerte sie sich über die verlorene Zeit am heutigen Morgen, denn den Abstecher zu Heiko Klügel hätte sie sich sparen können.

      Der Mann konnte absolut nichts zur Aufklärung beitragen. Ja, er hatte gemeinsam mit Weise studiert. Einmal die Woche spielten sie zusammen Tennis, sonst gab es keinerlei Kontakt. Nur einmal vor Jahren, als Weise sein Haus bezogen hatte, war Klügel bei ihm gewesen. Sie hatten zusammen Bier getrunken und gequatscht, aber eigentlich wollte Norbert bloß mit seiner Bude angeben. Klügels Bekanntschaft mit Frau Bergmann beschränkte sich auf Telefonate, die geführt wurden, wenn es eine Terminänderung erforderte. Die Eltern von Weise kannte Klügel nicht. Über Feinde und private Kontakte konnte er ebenso keine Auskünfte erteilen.

      Karins diplomatische Frage nach Weises Frauenbekanntschaften, auch während der Studienzeit, hatte Klügel ein trockenes Lachen entlockt. Da gab es nichts zu berichten. Weises Sexualleben glich dem eines Mönchs.

      Karin hatte Klügel während des Gesprächs scharf gemustert. Und obwohl sich seine Trauer über Weises Tod in Grenzen hielt, war sie sich sicher, dass der Mann ihr die Wahrheit gesagt hatte. Es war eine Zweckgemeinschaft gewesen, um fit zu bleiben, ohne die geringste Spur einer Freundschaft.

      Wäre ja zu schön gewesen, erhellende Informationen gleich zu Beginn einer Ermittlung zu erhalten. Karins Lachen klang bitter; um sich aufzuheitern, drehte sie den Lautstärkeregler nach rechts. W.A.S.P. legten volle Kraft mit Into The Fire los. Die intensive Musik lenkte ihre Gedanken von den unangenehmen Themen ab. Begeistert malträtierte sie im Takt der Musik den Knauf ihrer Gangschaltung.

      Um einiges froher steuerte Karin ihren Fiesta auf das Gelände des Uni-Klinikums. Mit einem stummen Lächeln hielt sie dem Wachschutz an der Schranke ihren Dienstausweis vor die Nase und wurde kommentarlos durchgewunken.

      Karin fragte sich, ob es kleinlich von ihr war, ihr bisschen Macht zu genießen, dennoch kostete sie es schamlos aus, ihren Wagen einfach vor dem Institut für Rechtsmedizin abstellen zu können.

      »Hallo Mario, hast du bei deiner Skalpellfuchtelei einen Hinweis gefunden, der uns weiterbringt?«, fragte Karin beim Eintreten und schaute den Gerichtsmediziner schelmisch an.

      Dr. Mario Bretschneider zog die Augenbrauen in die Höhe und holte tief Luft. »Wenn du so charmant fragst, muss ich ja liefern, sonst laufe ich Gefahr, von dir übers Knie gelegt zu werden.« Bretschneider lehnte sich hinter seinem Schreibtisch im Stuhl zurück und lächelte ironisch.

      Karin war nicht im Geringsten verlegen. Ohne große Umstände setzte sie sich mit einer Hinterbacke auf die Tischkante, holte ein original Harley-Davidson-Shirt aus ihrem Rucksack und legte es vor den Doktor auf den Tisch. »Das ist mir letztens bei einer Internetauktion über den Weg gelaufen. Größe L, müsste dir doch passen?«

      Sprachlos strich Dr. Bretschneider mit den Fingern über den schwarzen Stoff und zog andächtig die Konturen des Logos nach. »Womit habe ich das denn verdient?«

      »Na ja«, Karin wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, »zum Beispiel musst du meine Frechheiten ertragen und außerdem bist du der beste Gerichtsmediziner weit und breit.«

      »Okay, wenn du das sagst, da werde ich mich mal anstrengen.« Der Doktor griff sich einen Kunststoffbeutel und hielt ihn vor Karins Nase. »Dieses modische Accessoire habe ich in der Beintasche des Toten entdeckt. Da Anwälte selten in der linksextremistischen Szene aktiv sind und du es bestimmt schon wüsstest, wenn er bei einer Spezialeinheit gewesen wäre, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit.«

      »Darf ich?«, fragte Karin. Nachdem Bretschneider genickt hatte, öffnete sie den Beutel und zog eine schwarze Sturmhaube heraus. Sie pfiff leise und zog schnell die richtigen Schlüsse.

      Bretschneider trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. »Lässt du mich an deinen Erkenntnissen teilhaben?«

      »Was war eigentlich deine dritte Vermutung?« Karin grinste anzüglich.

      »Fetischist.«

      »Nah dran, Mario, aber nicht ganz.« Mit wenigen Worten setzte Karin den Gerichtsmediziner über die gefundenen Spannerfilme in Kenntnis. Danach betrachtete sie erneut die schwarze Mütze, dabei schob sie ihre Finger in die Öffnungen für Augen und Mund. »Widerlich, wenn du mich fragst. Andere Menschen beim Sex filmen, wenn die nichts davon wissen, ist einfach nur krank. Jedenfalls komplettiert die Sturmhaube sein Tarn-Outfit. Darf ich das Teil mitnehmen?«

      Bretschneider nickte. »Ich habe Haare entnommen und ins Labor geschickt. Morgen habt ihr den DNA-Abgleich.«

      Karin bedankte sich mit einem Lächeln und hob auffordernd die Brauen, damit er fortfuhr.

      Mario, der gänzlich in seinem Beruf aufging, ließ sich nicht lange bitten. »Zuerst die allgemeinen Informationen. Der Mann war kerngesund. Nichtraucher, keine Anzeichen für Alkoholmissbrauch. Seine Muskulatur ist sehr gut ausgebildet, das lässt auf regelmäßigen Sport schließen.«

      »Tennis«, kommentierte Karin trocken.

      Der Doktor ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Todesursache ist eine tiefe und lange Wunde im Bauchraum. Sie wurde dem Mann mit einer mindestens 15 Zentimeter langen, scharfen Klinge beigebracht. Weise hat vermutlich durch Schmerz


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