Blutrausch. Andreas M. Sturm

Blutrausch - Andreas M. Sturm


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in die Höhe, jagte die Treppe zum Schlafzimmer hoch, schnappte sich die Taschenlampe aus dem Nachttisch, stürmte ins Wohnzimmer zurück, ging in die Knie und leuchtete jeden Quadratzentimeter unter dem TV-Regal aus.

      Die SD-Karte, von der nur eine winzige Ecke unter der Schlaufe eines Antennenkabels hervorguckte, trieb Jan Freudentränen in die Augen.

       Mittwoch, 07.30 Uhr

      »Weißt du noch, hier irgendwo in der Gegend hat Jan seine erste große Flamme kennengelernt?«, sagte Karin zu Sandra, als sie mit ihr zusammen durch die Wilsdruffer Vorstadt zur Wohnung von Frau Bergmann lief.

      »Ja, du hast recht.« Dieses Thema weckte Sandras Lebensgeister. »Bei einer Befragung. Mein Gott, war der verknallt.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Gähnen dahinter zu verstecken. »Ich bin vielleicht müde, kein Wunder bei der unchristlichen Zeit.«

      Karin gab ihr im Stillen recht. Gestern war es spät geworden und ihre Kopfschmerzen sowie der brennende Durst sagten ihr, dass sie möglicherweise ein Glas Rotwein zu viel getrunken hatte. Der Gedanke an die Nacht mit Sandra verdrängte das Unwohlsein auf der Stelle. Sie holte mit dem Hintern aus und stupste gegen Sandras Po. Doch statt des erwarteten Lächelns entdeckte sie eine tiefe Traurigkeit in den Augen der Freundin.

      »Ich kann mich noch gut erinnern, dass Jan vollkommen am Ende war, als sie mit ihm Schluss gemacht hat.«

      »So geht es vielen in unserem Job.« Karins Stimme klang bitter. Bei diesem Thema kamen immer die Erinnerungen an ihre eigene Ehe hoch. »Viele Partner kommen eben nicht damit klar, dass wir kaum zu Hause sind. Das Schlimme ist nur, dass Jan das Erlebnis nie richtig verarbeitet hat. Jetzt zahlt er anderen Frauen diese eine Zurückweisung heim. Sobald er eine neue Freundin hat, betrügt er sie, kaum das zwei Tage vergangen sind.«

      »Aus Jan ist ein Zyniker geworden«, stimmte ihr Sandra zu. »Und der Ehrgeiz frisst ihn langsam auf. Manchmal könnte ich ihn packen und schütteln, bis der liebe und nette Junge wieder zum Vorschein kommt, der er mal gewesen ist.«

      »Wir müssen gut auf ihn aufpassen, dass er sich nicht irgendwann mal tief in die Scheiße reitet«, pflichtete Karin ihr bei und blieb stehen. »Hier ist es. Frau Bergmann wohnt in Haus Nummer 7.«

      Obwohl die Sonne loderte und der Wetterbericht fast 30 Grad vorhergesagt hatte, empfing sie Frau Bergmann in einem eleganten Businesskostüm, als wäre heute ein ganz normaler Arbeitstag.

      Sie bat die beiden Kommissarinnen in eine blitzsaubere Wohnung und der Geruch nach Reinigungsmitteln, der noch in den Räumen hing, verriet deutlich, dass die Putzaktion erst vor kurzer Zeit stattgefunden hatte.

      Melanie Bergmann hob entschuldigend die Hände. »Den Gestank von dem Zeug bekommt man erst durch stundenlanges Lüften weg. Ich konnte nicht schlafen und da habe ich eben die Wohnung sauber gemacht. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee vielleicht?«

      Sandra nahm dankend an, Karin bat um ein Glas Wasser.

      Während Frau Bergmann in die Küche verschwand, um die Getränke zu holen, ließ Karin ihren Blick wandern. Die Hausherrin besaß einen erlesenen Geschmack, den sie sich einiges kosten ließ. Schlecht hat die Gute beim Anwalt nicht verdient, zog sie ihre ersten Schlüsse. Eventuell lief da sogar noch mehr zwischen Chef und Mitarbeiterin. Und wenn es so ist, kitzle ich es auf jeden Fall aus ihr heraus.

      Die Rückkehr von Melanie Bergmann riss Karin aus ihren Gedanken. Ihr Augenmerk richtete sich auf die Füße der Frau. Eindeutig eine 38, maximal 39, schätzte sie. Der Abdruck neben dem Rosenstock stammte zweifelsfrei nicht von ihr.

      Sie bedankte sich für das Wasser, beäugte misstrauisch das kleine Glas, das in krassem Widerspruch zu ihrem großen Durst stand, und trank es halb leer. Um nicht zu gierig zu erscheinen, stellte sie das Glas kommentarlos vor sich auf den Tisch. »Eine hübsche Wohnung haben Sie. Leben Sie allein mit Ihrer Tochter?«

      »Danke.« Ein Lächeln vertrieb den traurigen Ausdruck aus Frau Bergmanns Gesicht. Sie deutete auf das gerahmte Foto eines Mädchens. »Das ist mein Sonnenschein. Wir zwei müssen uns allein durchschlagen. Als Frau mit Kind ist es schwer, einen Partner zu finden.«

      Karin und Sandra nickten verständnisvoll.

      Zeit zur Sache zu kommen, dachte Karin und forderte die junge Frau auf, ihnen Schritt für Schritt die Ereignisse des gestrigen Tages zu schildern.

      Nach einem Schluck Kaffee fasste Frau Bergmann mit leiser Stimme die Abläufe für die Beamtinnen zusammen. Sie endete mit den Worten: »Muss ich jetzt mit Konsequenzen rechnen? Ich meine, ich habe mir immerhin unerlaubt Zutritt zu Herrn Weises Haus verschafft.«

      »Von unserer Seite nicht«, beruhigte sie Karin. »Haben Sie in der Wohnung etwas angefasst oder sonst irgendwie verändert?«

      Vehement schüttelte Frau Bergmann den Kopf. »Gleich, nachdem ich das Haus betreten hatte, fiel mir der komische Geruch auf. Da war es noch keine Gewissheit, eher eine böse Ahnung, aber ich war auf der Stelle wachsam. Als ich dann meinen Chef auf dem Boden liegen sah, dachte ich nur noch an Flucht. Ich wollte raus aus diesem Haus und hatte furchtbare Angst, dass der Mörder noch da sein könnte.«

      »Das spart Ihnen und uns eine Menge Arbeit«, stellte Karin trocken fest. »Nur wenn unsere Techniker außer Herrn Weises weitere Fingerabdrücke finden, müssten wir uns deswegen noch mal bei Ihnen melden. Seit wann arbeiten Sie bereits für Herrn Weise?«

      »Seit fünf Jahren.«

      »Während einer so langen Zeit erfährt man so einiges über seinen Chef. Wissen Sie, ob er eine Freundin oder einen Freund hatte?«

      »Tut mir leid, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.«

      »Ach kommen Sie. Nach fünf Jahren weiß man doch über das Liebesleben der Kollegen Bescheid.« Zum ersten Mal ergriff jetzt Sandra das Wort. »Bestimmt wurde er mal abgeholt oder Sie sind ungewollt Zeugin eines Telefonats geworden.«

      Frau Bergmann reagierte pikiert und versteifte sich. »Unser Kontakt beschränkte sich ausschließlich auf die Arbeit. In den ersten Monaten habe ich versucht, die Atmosphäre aufzulockern, und von mir und meiner Tochter erzählt. Von ihm kam jedoch nie etwas zurück, da habe ich es gelassen.«

      »War er nur in dieser Beziehung abweisend oder im Allgemeinen schwierig im Umgang?«, schob Sandra die nächste Frage nach.

      »Abgesehen vom Privaten war mein Chef stets freundlich und zuvorkommend.« Sie dachte einen Moment nach. »Wir sind eigentlich gut klargekommen.«

      »Wie gut?« Karin sah sie vielsagend an.

      »Nicht was Sie jetzt denken. Leider.« Frau Bergmann schien die Angelegenheit locker zu sehen. »Ich bin Single, Norbert war recht attraktiv … Nun, ich wäre nicht abgeneigt gewesen, aber er hat nicht einmal den Versuch eines Flirts gestartet.«

      »Sie sind eine hübsche Frau. Haben Sie eine Vermutung, weshalb er Sie links liegen ließ? War er eventuell nicht an Frauen interessiert?«

      Ohne wirklich etwas wahrzunehmen, glitt Frau Bergmanns Blick zum Fenster. Sie versuchte, in Worte zu fassen, was sich tief in ihrem Bewusstsein verbarg. Schließlich atmete sie tief ein und sagte: »Komisch ist es mir ja auch vorgekommen und da habe ich mir natürlich meine Gedanken gemacht. Ich denke aber, an Frauen war Norbert durchaus interessiert. Es gab die eine oder andere Klientin, der er mit begehrlichem Blick nachgestarrt hatte, aber …« Sie stockte. »Ich kann es schwer beschreiben, irgendetwas war seltsam an ihm. Fragen Sie mich aber bitte nicht was.« Sie hob die Hände.

      Karin nickte, ließ das Gesagte so stehen und wechselte das Thema. »Lassen wir Herrn Weises Liebesbeziehungen mal beiseite. Mit wem pflegte er soziale Kontakte?«

      »Da fällt mir nur Heiko Klügel ein. Herr Klügel ist Notar, hat gemeinsam mit meinem Chef studiert und traf sich einmal die Woche mit ihm zum Tennis. Und natürlich seine Eltern. Zu denen hatte Herr Weise ein gutes Verhältnis. Jedes zweite Wochenende war er bei ihnen zum Mittagessen.«

      »Mehr nicht?«, hakte Sandra


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