Blutrausch. Andreas M. Sturm
mit mehr Leuten?«
Die Worte der Frau brachten eine Saite in Sandra zum Klingen. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie außerhalb des Jobs nur zu Karin Kontakt. Ist auch nicht schlimm, tröstete sie sich. Auf meine Süße achtzugeben, lastet mich vollkommen aus.
Während Sandra diesem Gedanken nachgegangen war, hatte sich Karin die Anschrift von Heiko Klügel geben lassen. »Welcher Art waren die Fälle, die Norbert Weise vertrat?«, fragte sie und steckte ihr Notizbuch weg.
Das Verhalten der Bergmann änderte sich schlagartig, sie presste die Lippen aufeinander und begann mit der linken Hand an ihrer Bluse herumzuzupfen. »Er übernahm die Vormundschaft und Fürsorge für Menschen, die dazu selbst nicht mehr in der Lage waren.«
Karin lehnte sich zurück und zog interessiert die Augenbrauen in die Höhe. »Was muss ich mir darunter konkret vorstellen?«
»Es kommt vor, dass Menschen bedingt durch Alter oder Krankheit geistig oder körperlich nicht mehr imstande sind, für sich selbst zu sorgen. Sind dann keine Angehörigen da oder mit dieser Aufgabe überfordert, wird ein staatlicher Betreuer gestellt. Derartige Fälle hat Herr Weise rechtlich betreut.«
»Könnte er sich in diesem Zusammenhang Feinde gemacht haben? Gab es da eventuell jemanden, der nicht betreut werden wollte?«
»Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Formulare ich unterzeichnen musste, die mich zur Verschwiegenheit verpflichten?« Frau Bergmann versuchte sich an einem Lächeln, bis in die Augen kam es jedoch nicht. »Ohne eine richterliche Verfügung beantworte ich keine diesbezüglichen Fragen. Ich lege mir die Schlinge doch nicht selbst um den Hals.«
Sie wollte nach ihrer Tasse greifen, aber als sie das Zittern ihrer Finger bemerkte, ließ sie es. »Ich bin heute früh sehr zeitig zur Kanzlei gefahren, weil ich wenigstens meinen Schreibtisch aufräumen und die letzten Berichte abschließen wollte. Sobald alles geklärt ist, müssen die Akten an Herrn Weises Nachfolger übergeben werden und dafür wollte ich alles vorbereiten. Daraus wurde nichts, ein Polizeisiegel stoppte mich an der Tür. Sie wissen schon, dass Sie das nicht dürfen?«
»In einer Mordermittlung …«, setzte Karin an.
Frau Bergmann hob die Hand und schnitt Karin das Wort ab. »Das können Sie jemand anderem erzählen, aber nicht mir. Ich habe einen Abschluss als ›Bachelor of Laws‹.« Die tückischen Wasser waren erfolgreich umschifft und Melanie Bergmann war in ihrem Element. Lächelnd lehnte sie sich im Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. »Wäre in der Kanzlei ein Verbrechen verübt worden oder bestände der Verdacht, dass Mitarbeiter der Kanzlei in kriminelle Machenschaften involviert sind und Spuren beseitigen wollen, dann, und nur dann, hätten Sie das Recht, die Räume zu versiegeln. Ich fordere Sie auf, das Polizeisiegel umgehend zu entfernen!«
»Ein paar Stunden werden Sie sich schon gedulden müssen. Die zuständige Staatsanwältin prüft die Angelegenheit gerade«, log Sandra mit einem treuherzigen Lächeln und das sehr überzeugend, wie Karin fand.
»Kommen wir auf Herrn Weise zurück«, rückte Sandra die Prioritäten zurecht. »Beschränkten sich Herrn Weises Tätigkeiten auf die von Ihnen beschriebenen Fälle oder war er auch auf anderen Gebieten tätig?«
»Er vertrat zusätzlich Klienten bei Erbschaftsfragen.« Frau Bergmann schwieg nach diesen Worten. Eine nervtötende Stille breitete sich aus.
Sandra sah sich das fünf Minuten an, dann machte sie eine ungeduldige Handbewegung. »Und weiter?«
»Da gibt es kein Weiter. Auf mehr Hochzeiten tanzte Herr Weise nicht.«
Sandra seufzte leicht genervt. »Gab es bei den Erbschaftsangelegenheiten verärgerte Klienten? Oder dürfen Sie sich dazu auch nicht äußern?«
»Da Ihre Frage allgemein gehalten ist, beantworte ich sie«, sagte Frau Bergmann mit herablassendem Lächeln. »Die Erben waren immer nur aufeinander sauer. Die Gesetze sind eindeutig, da hat ein Anwalt wenig Spielraum.«
Karin, die gerade den Rest ihres Wassers trank, musste lachen und verschluckte sich prompt. »Machen Sie Scherze? Wir wissen doch alle, wie biegsam Gesetze sind.«
»Wenn Sie sich so gut auskennen.« Frau Bergmanns Kinn hob sich trotzig und abwehrend.
Karin hielt es für klüger, die Sache zu übergehen. »Hatte Herr Weise außerhalb seiner Arbeit Feinde? Hat ihn jemand bedroht?«
»Da ist mir nichts bekannt.«
Karin schloss für einen Augenblick ergeben die Augen. »Nur noch eine Frage, dann sind Sie uns los. Eigentlich ist es nur eine Formalie, um Sie gleich zu Beginn der Ermittlungen als Täterin auszuschließen. Wo haben Sie sich am Montag zwischen 18 und 23 Uhr aufgehalten?«
Frau Bergmann lächelte, offensichtlich erleichtert. »Zu Hause.« Das Lächeln wurde breiter. »Und ich habe sogar Zeugen, jedenfalls bis Dienstag 1 Uhr. Eine Schulfreundin meiner Tochter war bei uns. Die Mädchen haben sich eine DVD angesehen.«
Sandra sah Frau Bergmann irritiert an. »Ich schätze Ihre Tochter auf sechs bis acht Jahre. Hat sie eine Freundin, die so alt ist, dass sie nach Mitternacht allein draußen rumstromern darf?«
»Leonie geht in die Klasse meiner Tochter.« Sie grinste hinterhältig. »Natürlich war sie in Begleitung ihrer Mutter. Nicht, dass Sie mir jetzt die Fürsorge auf den Hals hetzen. Während die Kinder ihren Spaß hatten, haben wir uns einen gemütlichen Mädelsabend gemacht. Janina ist die Freundin, die ich vorhin erwähnte.«
Karins Blick wurde eisig. »Sie müssen nicht so aggressiv sein, wir sind nicht Ihre Feinde. Für den Namen und die Adresse Ihrer Freundin wären wir dankbar.« Erneut zückte sie ihr Notizbuch und, nachdem sie die Daten notiert hatte, verabschiedeten sich die Kommissarinnen kühl.
»Jan ist doch ein Schlitzohr, versiegelt der einfach die Räume«, sagte Sandra zu Karin auf dem Rückweg zur Polizeidirektion. »Hoffentlich hat er auch ein paar wichtige Akten fotografiert. Du wirst doch gnädig mit ihm sein?«
»Jan hat eindeutig seine Befugnisse überschritten. Du hast die ›Bachelor of Laws‹ ja gehört. Ich denke mal, zwei Tage Knast sind das Minimum«, antwortete Karin mit einem Bühnenzwinkern.
Lachend boxte Sandra sie in die Seite, wurde aber sofort ernst. »Die Bergmann war ganz schön schräg drauf. Wenn die ein reines Gewissen hat, fresse ich einen Besen.«
»Du warst aber auch nicht gerade Princess Charming, das entspricht gar nicht deiner einfühlsamen Art. Wolltest wohl auch mal ›Böser Bulle‹ spielen?«
Sandra zuckte mit den Schultern. »Traust du der Bergmann etwa über den Weg?«
Auf Karins Lippen malte sich ein müdes Lächeln.
Mittwoch, 09.30 Uhr
»Guten Morgen«, wünschte Karin träge, nachdem sie Platz genommen hatte. Die euphorischen Mienen der Kollegen verrieten ihr, dass sie mit einem raschen Fahndungserfolg rechneten. Sie selbst klammerte sich ebenfalls an diese Hoffnung. Alles deutete auf einen Raubmord hin und ein Täter, der derart brutal vorging, würde über kurz oder lang einen Fehler machen. Doch ein böser Verdacht pochte in der hintersten Ecke ihres Gehirns. Im Haus des Anwalts war etwas gewesen. Etwas Unbestimmtes, schwer Greifbares, das sich in ihrem Unterbewusstsein eingenistet hatte und keine Ruhe gab.
Karin schüttelte das Gefühl ab. Sie hatte eine Ermittlung zu leiten und konnte sich nicht von einer nebulösen Eingebung ablenken lassen.
»Der Chef kann leider nicht an der Sitzung teilnehmen, ist bei einer Versammlung im Führungsstab.« Karin zuckte mit den Schultern. »Wir kommen auch so zurecht. Er hat mich zur Ermittlungsleiterin bestimmt und für die Öffentlichkeitsarbeit unserer Gruppe den Namen ›Anwalt‹ verpasst. Das Team besteht bis auf Weiteres aus uns.« Sie nickte Sandra, Heidi, Rolf und Jan zu. »Wir müssen ohne den Doktor anfangen, unser Gerichtsmediziner steckt noch mit beiden Händen in der Arbeit.« Sie merkte selbst, dass ihr Witz lausig war, und wechselte deshalb schnell das Thema. Mit knappen