Schöner Tod. Astrid Keim
kriminalistischer Eifer ist geweckt. Sie schaltet den Computer ein und tippt »haltbare Rosen« in die Suchmaschine. Sofort werden mehrere Seiten aufgerufen, in denen verschiedene Online-Firmen ihre Produkte anbieten. Ernüchtert muss sie feststellen, dass es so einfach wohl doch nicht geht. Alle haben gefriergetrocknete Blumen in großer Auswahl im Angebot, vor allem rote Rosen scheinen der große Renner zu sein.
Das Klingeln an der Haustür unterbricht ihre Nachforschungen. Über die Sprechanlage erfährt sie, dass der erwartete Besuch eingetroffen ist. Eine nette Stimme, denkt sie und ist erleichtert. Ein bärbeißiger, altgedienter Polizist würde ihr jetzt überhaupt nicht passen. Sie drückt den Summer und nimmt die zierliche kleine Frau in Augenschein, die kurz darauf vor der Tür steht. Laut Ausweis handelt es sich um Iris Kirchner. Der Name passt. Alles an ihr ist filigran. Schwarze, zum klassischen Bob geschnittene Haare umranden ein blasses Gesicht und stehen verblüffend im Gegensatz zu ihren leicht schräg geschnittenen Augen in einem so tiefen Blau, dass es fast ins Violette spielt. Irisaugen. Lauras Großmutter hatte solche Augen; seit ihrem Tod vor 28 Jahren hat sie diesen Farbton nie mehr gesehen. Diese Farbe gefiel ihr als Kind viel besser als das dunkle Braun ihrer eigenen, Erbteil des Vaters, dessen Gene dominierten. Kuhaugen, dachte sie immer, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, und konnte ihnen nie etwas abgewinnen. Bis der erste Freund ihre »wunderschönen, sanften Rehaugen« bewunderte. Das half, sich damit abzufinden.
Vielleicht ist ihr die Polizistin wegen dieser Augen auf Anhieb sympathisch, vielleicht ist es aber auch ihr freundliches, dabei energisches Auftreten. Sie kommt jedenfalls ohne Umschweife zur Sache und bittet um detaillierte Schilderung des Auffindens, während sie ein kleines Aufnahmegerät einschaltet. Da Laura den genauen Ablauf bereits rekapituliert hat, kann sie präzise berichten und wird auch nur von wenigen Zwischenfragen unterbrochen.
Iris Kirchner nickt, als der Bericht zu Ende ist. »Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?«
»Doch.« Jetzt kann Laura den Trumpf aus dem Ärmel ziehen und informiert über ihre Vermutung, die Rose sei vermutlich gefriergetrocknet. Zum Beweis stellt sie das kleine Gesteck auf dem Tisch und registriert zufrieden die Überraschung.
»Das ist vielleicht ein Hinweis«, ihr Gegenüber tippt auf die Blüte, »da könnte man ansetzen, wenn sich das bewahrheitet.«
Allerdings muss Laura den aufkommenden Optimismus dämpfen und weist auf ihre eigene Recherche hin.
»Trotzdem, besser als gar nichts ...« Sie fixiert Laura mit ihren erstaunlichen Augen. »Ist Ihnen vielleicht noch mehr aufgefallen?«
Hätte ich doch schon gesagt, denkt Laura leicht eingeschnappt, doch ihr fällt tatsächlich noch etwas ein. »Die Rose passt nicht.«
»Inwiefern?«
»Im Haar der Skulptur ist keine Rose, sondern drei ziemlich unscheinbare Blüten, da bin ich mir ziemlich sicher. Das ist doch merkwürdig. Ansonsten war der Körper nämlich absolut identisch abgelegt und bekleidet. Das kann doch kein Zufall sein, sieht eher nach Kalkül aus. Als wollte der Täter damit einen Hinweis geben.«
»Sollte es sich tatsächlich so verhalten, werden wir der Sache natürlich nachgehen«, verspricht die Polizistin und stoppt den Recorder.»Für heute ist es genug, aber richten Sie sich darauf ein, dass wir Sie möglicherweise noch einmal brauchen.«
Laura nickt. »Jederzeit. Ich bin sehr neugierig, was hinter dieser furchtbaren Sache steckt. Meiner Ansicht nach ist es die Tat eines Psychopathen.«
»Alle Mörder, die aus Kalkül töten, sind Psychopathen, das ist meine Ansicht«, entgegnet die Polizistin entschieden, während Laura sie zur Tür begleitet. »Selbst diejenigen, denen volle Zurechnungsfähigkeit bestätigt wird, haben eine psychische Deformation, sonst könnten sie sich nicht über die Hemmschwelle des Tötens hinwegsetzen.«
Wieder alleine, denkt Laura über die Worte nach. Irgendwie hat Iris Kirchner recht, irgendwie aber auch nicht. Eine Hemmschwelle gibt es gewiss, da braucht man nur ins Tierreich zu schauen. Angehörige derselben Art vermeiden es, sich untereinander zu töten. Selbst bei vehementesten Rangordnungskämpfen ist der Tod des Kontrahenten eher ein unglücklicher Zufall. Sonst würden Hirsche nicht ihre Geweihe verhaken, um ihre Kraft zu messen, sondern versuchen, die scharfen Spitzen dem Gegner in die Flanke zu stoßen. Instinktverhalten nennt man so etwas wohl, das dem Schutz der eigenen Art dient. Da sind offenbar der Menschheit einige Instinkte abhandengekommen. Andererseits können außergewöhnliche Situationen ein anderes Verhalten hervorrufen. Sie erinnert sich an einen Artikel, in dem beschrieben wurde, dass Ratten bei Überbevölkerung und Nahrungsknappheit den eigenen Nachwuchs fressen. Im Gegensatz zu den Tieren ist dem Menschen jedoch Verstand genug gegeben, die Folgen seines Tuns einschätzen zu können. Es muss sich also tatsächlich um einen psychischen Defekt handeln, wenn dieser Mechanismus außer Kraft gesetzt wird. Was wiederum zum Anfang führt: Was bringt jemanden dazu, erst einen Mord zu begehen und dann alles daran zu setzen, um den Anschein zu erwecken, es sei eigentlich nichts passiert? Vielleicht ein Mord aus Eifersucht, nach dem Motto: »Wenn ich dich nicht haben kann, soll es auch kein anderer«, der dann Reue nach sich zog? Das kommt ihr nicht unwahrscheinlich vor, und sie beschließt, mit Thomas darüber zu reden und außerdem spätestens übermorgen nach dem Resultat der Autopsie zu fragen, sollte er sich nicht vorher melden.
Kurz überlegt sie, Renate noch anzurufen, um sie über das Geschehen zu informieren. Doch für heute ist es genug. Lieber ein gemütlicher Fernsehabend, um abzuschalten. Sie zappt durch die Kanäle und bleibt bei einem Komiker, pardon: Comedian hängen, wie man diese Gattung auf Neudeutsch bezeichnet. Leider verplätschert dessen Darbietung seicht im Sande, sodass sie sich mit einem Glas Wein und dem satirischen Wochenrückblick ins Bett zurückzieht, um zu erfahren, was wieder einmal schief gelaufen sei.
3
Als sie am nächsten Morgen aufwacht, fühlt sie sich wie gerädert. Das Nachthemd ist völlig verschwitzt und das Bettzeug so zerwühlt, als hätte ein Nahkampf stattgefunden. Dunkel erinnert sie sich, in einem verwahrlosten Haus nach dem Ausgang gesucht und sich in einem Labyrinth wiedergefunden zu haben. Es war ein Endlostraum, aus dem sie mehrmals hochschreckte, aber sofort wieder einschlief und weiterträumte. Sie geht ins Bad, beugt sich über das Waschbecken und schüttet sich mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Als sie in den Spiegel schaut, fühlt sie sich keineswegs besser. Eine blasse ältere Frau mit wirren Haaren und dunklen Ringen unter den Augen blickt ihr entgegen. Auch die Falten kommen ihr tiefer vor als sonst. Nun gut, da lässt sich etwas tun. Eine Feuchtigkeitsmaske kann einiges bewirken. Christoph hatte sich immer amüsiert, wenn sie ihre Schönheitstour machte, wie er es nannte, und versichert, das habe sie gar nicht nötig. Ihr schienen jedoch Zweifel angebracht, denn allzu deutlich machten sich langsam, aber sicher die Spuren des Alters bemerkbar.
Damit hatte sie in ihrer Jugend überhaupt nicht gerechnet, mit 17 empfand sie bereits 30jährige als ziemlich betagt. Altern war etwas, das andere betraf. Alte Menschen brauchten sich ohnehin nicht mehr ums Aussehen zu kümmern, da war sowieso alles zu spät. Welche Fehleinschätzung! Jetzt gehört sie dazu und kümmert sich sehr ums Aussehen. Aber das teilt sie mit der Mehrheit ihrer Altersgenossinnen, denn kaum eine findet sich so ohne Weiteres mit den unangenehmen Begleiterscheinungen der zunehmenden Jahre ab. Außer Renate. Die hat als Einzige offenbar keine Probleme mit Äußerlichkeiten. Damit ist sie das genaue Gegenteil ihrer glamourösen Mutter, die Schönheit, Charisma und Charme bis zu ihrem Lebensende bewahrte. Und selbst dieses war spektakulär: Bei der Gala zu ihrem 75. Geburtstag stolperte sie über ein Kabel und stürzte von der Bühne. Beim Aufprall erlitt sie einen Schädelbasisbruch, der nach einwöchigem Koma zum Tode führte.
Abgesehen von ihrem scharfen Intellekt ist dagegen an Renate so gar nichts Spektakuläres. Mittelgroß, mittelbraunes Haar, mittlerweile graumeliert, mittelmäßiges Aussehen. Dabei hätte sie Potential, so kommt es zumindest Laura immer vor, aber sie ist eine der Frauen, »die nichts aus ihrem Typ machen«, wie es die einschlägigen Magazine formulieren. In alten Filmen gibt es eine wiederkehrende Szene: Irgendein Schönling nimmt der blaustrümpfigen Sekretärin die überdimensionale Hornbrille ab, die Klammer aus dem Haar und schon verwandelt sich die Raupe in einen Schmetterling. Renate hat an solche Metamorphosen offenbar nie den