Schöner Tod. Astrid Keim

Schöner Tod - Astrid Keim


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Kunst gefeiert wird, ist die angebliche ›Ästhetik‹ des Destruktiven. Ich bitte euch, was soll man davon halten? Alles in der Natur strebt nach Harmonie. Selbst in der Chaostheorie: Da ordnen sich die Fraktale zu harmonischen Mustern. Wie weit sind wir mit unserer ­Zivilisation gekommen, dass wir das Gegenteil davon als Ausdruck großer Kunst feiern! Das lässt Rückschlusse auf den Zustand der Gesellschaft zu. Wir selbst sind destrukturiert, desorientiert und zerrissen. Nur deshalb konnte ein Begriff wie ›Die Ästhetik des Hässlichen‹ überhaupt aufkommen. Man muss sich mal vorstellen, dass dafür eigene Museen oder zumindest Abteilungen in Museen geschaffen werden!«

      Alf steht auf und holt tief Luft. Es ist ihm anzu­merken, dass ihn dieses Thema umtreibt. Wie jedes Mal denkt Laura, dass er etwas Mephistophelisches hat mit seiner ewig schwarzen Kleidung, der asketischen Gestalt, den dunklen, mittlerweile von weißen Fäden durchzogenen Haaren, die in einer Welle ins Gesicht fallen – und den nach oben strebenden Augenbrauen. Jetzt sind sie über der Nasenwurzel zusammengezogen, ein deutliches Anzeichen tiefster Missbilligung.

      Doch Laura fühlt sich irgendwie erleichtert. Ihr diffuses Unbehagen angesichts einiger dieser Werke wurde in Worte gefasst. Auch sie hat das Bedürfnis nach Harmonie, dem »Schönen, Wahren, Guten«, das jahrhundertelang das Selbstverständnis von Kunst zum Ausdruck brachte. Dieses Bedürfnis ist vielen anscheinend abhandengekommen, was wiederum den Schluss nach sich zieht, dass Alf so falsch nicht liegt.

      Renate beugt sich vor. »Ich kann da nur zustimmen. Verunsicherung in den Lebensumständen ruft Verunsicherung in der Beurteilung von Dingen hervor. Aber das Verunsicherndste ist, dass man auf Unverständnis stößt, wenn man diese Richtung infrage stellt. Als hätten sich die führenden Köpfe darauf geeinigt, das ästhetische Empfinden aus den Köpfen der anderen zu treiben. Kunst ist zur Allerweltssache verkommen, seit alles zur Kunst erklärt werden kann.«

      »Genau, und Joseph Beuys hat nicht unerheblich dazu beigetragen, mit seinem Jeder ist ein ­Künstler«, wirft Laura ein. »Und er hat die Ästhetik des ­Hässlichen auf die Spitze getrieben. Denkt nur an die Fett- und Filzinstallationen, bei denen auch noch Ekel dazukam.«

      Alf grinst. »Kein Wunder, dass zumindest eine davon dem gesunden Menschenverstand in Person einer Putzfrau zum Opfer fiel.« Alf ist so richtig in seinem Element, zumal er Verbündete gefunden hat. »Kunst sollte doch positive Gefühle auslösen. Bewunderung, Hochachtung, Einsicht, Verständnis, vielleicht Begeisterung, aber auch Ehrfurcht oder Staunen. Das war vor nicht allzu langer Zeit noch allgemeiner Konsens. Was ficht uns also an, diese Reaktionen infrage zu stellen, sie gar als kunstfeindlich zu brandmarken? Mir ist bis jetzt keine Antwort dazu eingefallen!«

      »Mir auch nicht«, pflichtet Renate bei. »Letztens sah ich im Fernsehen ein sogenanntes Kunstwerk«, sie dreht die Augen gen Himmel, »da blieb mir die ­Spucke weg. Eingeweide über ein Gestell drapiert, und das Ganze nannte sich ›Das Innere wird sichtbar‹ oder so ähnlich. Da kann man nur staunen, und zwar über die Bereitschaft, solche Schöpfungen auch noch mit ordentlich viel Geld zu belohnen.« Sie zieht ihre Decke enger um sich. »Aber lasst uns reingehen. Es ist kühl geworden.«

      Das ist es in der Tat, auch Laura fröstelt seit einigen Minuten, wollte aber das Gespräch nicht unterbrechen. »Finde ich auch. Außerdem bekomme ich langsam Hunger. Ich werde nach Hause fahren und schauen, was der Kühlschrank hergibt.«

      Leider ist die Kühlschrankinspektion nicht sehr ergiebig. Gerade als Laura beschließt, dass es ein Käse­brot und später noch zwei Spiegeleier für ­heute tun müssen, da sie keine Lust hat, das Haus noch einmal zu verlassen, klingelt das Telefon. Thomas hat Neuigkeiten: »Die Todesursache steht nun fest. Ich bin gerade beim Chinesen bei dir um die Ecke, etwas zum Essen holen. Das erste seit heute Morgen. Wenn du magst, komme ich auf einen Sprung vorbei?«

      Das trifft sich ja richtig gut. »Klar kannst du kommen. Bring mir was mit. Gebratener Reis mit Hähnchen­fleisch und Sprossen wäre gut.«

      Kaum zehn Minuten später steht er mit zwei Plastik­tüten vor der Tür. Laura nimmt die Boxen heraus und verteilt den Inhalt auf Teller. Thomas’ Meinung, man könne doch direkt aus den Schachteln essen, da die Zeit knapp sei, kann sie nicht teilen. Etwas Stil muss schon sein, auch wenn es sich nur um Fast Food handelt.

      »Die paar Sekunden mehr wirst du ja wohl noch Zeit haben. Es sei denn, du hast ein so dringendes Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme wie Anja, diese Dogge, die ich mal kannte. Wenn die mit ihrem Herrchen essen war, wollte sie ihr Steak englisch, das ging nämlich schneller.«

      Thomas schüttelt den Kopf. »Du hast recht. So ist es besser. Aber viel Zeit habe ich leider wirklich nicht. Um sieben ist eine Dienstbesprechung mit ­anschließender Pressekonferenz angesetzt. Vor zehn komme ich da ­sicher nicht raus. Jenny wird sich freuen …«

      Da, schon wieder. Jenny. Es muss etwas Ernsteres sein. So brennend das Laura auch interessiert, jetzt kann sie leider nicht nachhaken, denn Thomas legt die Karten auf den Tisch: »Insulin, hoch dosiert. Und K.-o.-Tropfen, hoch dosiert. Da wollte jemand auf Nummer sicher gehen. Beide Dosen waren bereits für sich genommen tödlich.«

      »Sonst noch was?«

      »Sie war geschminkt, Lippenstift und Rouge. Wie es aussieht posthum. Leider bringt uns das nicht weiter. Gängige Farben, die man in jeder Drogerie findet.«

      »Aber vielleicht ein Mosaiksteinchen fürs Täterprofil?«

      »Vielleicht. Da hat sich jemand richtig Mühe gegeben. Wenn wir den Grund dafür wüssten, kämen wir der Sache ein ganzes Stück näher. Leider hat sich da aber noch nichts ergeben.«

      »Anzeichen von sexueller Gewalt?«

      »Keine.«

      Laura nickt. Das hatte sie vermutet. Sexualtäter richten ihr Opfer meist übel zu und lassen es liegen, verscharren es oberflächlich oder bedecken es mit ­Zweigen. So jemand macht sich keine Mühe, die Leiche herzurichten. Das Bedürfnis ist gestillt, nun nichts wie weg. »Wie gelangten die Gifte in den Körper?«

      »Das Insulin in die Armbeuge, die Tropfen oral mit Kaffee vermischt. Milchkaffee, um genau zu sein.«

      »Aber das bedeutet, der Mörder hat überhaupt keinen Versuch unternommen, die Todesursache zu verschleiern. Und die intravenöse Insulininjektion, das weist auf medizinische Kenntnisse hin. Was den Personen­kreis einschränkt.«

      »So einfach ist das nicht: Jeder Junkie kennt sich mit Spritzen in die Vene aus und K.-o.-Tropfen sind in der Szene relativ einfach zu besorgen.«

      »Denkst du wirklich an einen Täter aus diesem Umfeld? Mir scheint das nicht sehr wahrscheinlich, wenn man an Fundort und Aussehen denkt.«

      »Man darf keine Möglichkeit ausschließen.«

      »Das heißt, ihr habt bis jetzt überhaupt keine Spur?

      »So würde ich das nicht sagen. Die Identität ist ­geklärt. Wir können jetzt das Umfeld unter die Lupe nehmen.«

      »Wer war sie?«

      »Marie Varel. Mutter Deutsche, Vater Franzose. Ihre Mitbewohnerin hat sie am 24. Februar als vermisst gemeldet und nun auch identifiziert. 22 Jahre. Studierte an der Musikhochschule Geige, kam vor einem Jahr aus Arles nach Frankfurt, nachdem ihr Vater an Krebs gestorben war. Die Mutter ist schon länger tot. Hier in Frankfurt hat sie wohl noch Verwandte. Du siehst, der Anfang ist gemacht. Aber wir konzentrieren uns noch auf andere Dinge. Die Untersuchung ergab, dass es sich tatsächlich um eine gefriergetrocknete Rose handelt. Du hattest also recht. In Frankfurt gibt es aber offenbar keine Läden oder Gärtnereien, die so etwas ­anbieten. Iris nimmt sich nun die Online-Shops vor. Sie ist zäh und gründlich, die Recherche also bei ihr in besten Händen.«

      »Den Eindruck hatte ich auch. Und wirklich sehr hübsch.«

      Thomas schaut sie amüsiert an. »Zwar hat das nichts mit ihren Qualitäten als Polizistin zu tun, aber da kann ich dir nur zustimmen. Als sie vor zwei Jahren bei uns anfing, waren eine ganze Reihe von Kollegen hinter ihr her.«

      »Waren? Du auch?« Laura ist ganz Ohr.


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