Schöner Tod. Astrid Keim

Schöner Tod - Astrid Keim


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vor, dieses Thema bald einmal anzusprechen, denn sie wüsste doch zu gerne, weshalb ihre Freundin in dieser Angelegenheit so ein Desinteresse an den Tag legt.

      Kritisch betrachtet sie sich im Spiegel. Die braunen Augen, ein voller Mund, leicht gewelltes, halblanges Haar, dessen Dunkelblond langsam vom Grau überdeckt wird. Christoph hat vom Färben überhaupt nichts gehalten. »Steh zu deinem Alter«, versuchte er sie zu überzeugen. »Graue Haare und Falten sind schön. Gelebtes Leben. Schau dir doch nur die operierten Gesichter an, mit aufgespritzten Lippen, zentimeterdickem Make-up und wallendem Blondhaar. Möchtest du so aussehen?« Und als er hinzufügte, dass er sie genau so liebe, wie sie sei, war sie sehr gerührt und nahm sich vor, das Unausweichliche tapfer hinzunehmen.

      Leider sagt ihr das heute niemand mehr, und trotz aller Anstrengungen will es ihr nicht so richtig gelingen, Falten schön zu finden. Daran ist unerfreulicherweise nur wenig zu ändern, aber ändern lässt sich etwas anderes. Heute, entscheidet sie, heute werde ich wenigstens meine alte Haarfarbe zurückbekommen. Die Frisur bleibt so, wie sie ist, ab und zu etwas kürzen, fertig. Das kann sie zur Not auch selber. Färben ist etwas anderes, da gibt sie sich lieber in die Hände eines Fachmanns. Es wimmelt hier von Friseurläden. Einer wird sie bestimmt drannehmen, ohne lange Wartezeiten.

      Nach dem Frühstück macht sie sich sofort auf den Weg. Sie braucht nicht lange zu suchen, gleich der erste Salon hat noch Kapazitäten frei. Eine freundliche Dame ihres Jahrgangs führt sie zu einem Sessel und legt ihr ein Cape um die Schultern. Laura schaut sich um: Die Siebziger lassen grüßen. Braune Waschbecken, ockerfarbene Wände, praktischer Linoleumboden. In der Ecke steht ein großer Besen. Hoffentlich sind wenigstens die Geräte modern, hoffentlich ruft die Farbe keine Verätzungen hervor. Die freundliche Dame steht jetzt hinter ihr und fragt nach den Wünschen der geschätzten Kundin. Laura erklärt dem Spiegelbild ihre Wünsche und nimmt dabei einen ziemlich penetranten Geruch nach Zigaretten wahr, der etwas abgemildert auch im Raum hängt. Nicht sehr angenehm, aber sie sollte nicht so zimperlich sein. Früher wurde immer und überall geraucht, besonders beim Friseur, um die Wartezeit zu verkürzen. Als die Dame mit allen zehn Fingern ihre Haare aufschüttelt, geraten nikotingelbe Finger ins Blickfeld. Noch weniger angenehm. Aber Laura beschließt, durchzuhalten und sich nichts anmerken zu lassen. Dieser Entschluss wird allerdings auf eine harte Probe gestellt, als die Nachrichten des Radios im Hintergrund zu Ende sind und deutsche Schlager ertönen. Die Dame summt mit. Laura schließt die Augen und versucht an etwas anderes zu denken. Vielleicht wäre eine Zeitschrift hilfreich. Neue Post, Frau aktuell und Bunte stehen zur Auswahl. Sie entscheidet sich für die Neue Post und liest intime Details über Affären berühmter Stars, von denen sie nicht einmal die Namen kennt. Resignierend fügt sie sich in ihr Schicksal und hofft, dass die Prozedur bald zu Ende sei. Aber das zieht sich. Die Farbe muss einwirken. Während der Einwirkzeit kommen Vater und Sohn, um sich die Haare schneiden zu lassen. Beim Kleinen geht es schnell, aber beim Erzeuger braucht es seine Zeit. Längst hat eine Art Wecker geschrillt, um das Ende der Einwirkzeit zu signalisieren. Ungerührt stellt die Dame das Gerät wieder an mit der Bemerkung, ein paar Minuten mehr würden nicht schaden, während sie sich in aller Ruhe ihrem anderen Klienten widmet. Lauras Kopfhaut beginnt zu jucken. Erst als der Herr gezahlt hat, wird der geschätzten Kundin wieder Aufmerksamkeit zuteil. Die ist mehr als erleichtert, von der Schmiere befreit zu werden und freudig überrascht vom Ergebnis der Sitzung. Die Friseurin versteht ihr Handwerk. Das Grau ist verschwunden und die natürliche Farbe perfekt getroffen. Grund genug, die Imponderabilien zu vergessen und dem moderaten Honorar ein großzügiges Trinkgeld hinzuzufügen.

      Gerade als Laura den Salon verlassen hat, klingelt das Handy. Renate ist dran und reklamiert die ausstehenden Neuigkeiten. Sie verabreden sich um zwei am Palmengarten. Das Wetter ist mild wie am Vortag und ein kleiner Spaziergang wird beiden guttun.

      Renate ist schon da. Sie besitzt eine Jahreskarte, die den Vorteil hat, auch bei den Nebeneingängen zu ­funktionieren. So können sie sich zusammen durchs Drehkreuz quetschen. Eingehüllt in den ­betäubenden Duft der Hyazinthen und Narzissen, schlendern sie durch die Frühlingsblumenschau. Tulpen in der ganzen Breite des Farbspektrums stehen in voller ­Blüte, von Wachsweiß bis zu einem fast schwarzen Violett. Geflammte Kelche sind darunter, gefüllte, solche mit ausgefransten, gezackten, gezahnten und glatten Blüten­blättern. Die Vielfalt der Farben und Formen ist überwältigend. Laura spürt zwar die Neugier der Freundin, bringt es aber angesichts dieser Pracht nicht fertig, ihre Geschichte zu erzählen. Erst als sie auf der Bank über dem Wasserfall des Palmenhauses sitzen, berichtet sie.

      Renate fällt aus allen Wolken. »Das kann doch nicht wahr sein, du hast die Leiche gefunden?«

      »Wieso, woher weißt du von der Sache?« Laura ist verblüfft.

      »Hast du noch keine Zeitung gelesen? Da steht alles drin, in großer Aufmachung!«

      Klar, wie dumm, nicht daran gedacht zu haben. Sie hatte kurz überlegt, die Zeitung zum Frühstück zu holen, dann aber den Gang zum Briefkasten gescheut. Dankbar konstatiert sie, dass ihr Name offenbar nicht erwähnt ist. Thomas hat Wort gehalten.

      Laura muss ihrer Freundin nun genauso detailliert Auskunft geben wie der Polizei. »Und du musst mir die Stelle zeigen. Weiß man schon, woran die Frau gestorben ist? Davon stand nämlich nichts in der Zeitung.«

      Laura muss sie enttäuschen. »Das wird noch etwas dauern. Die Obduktion erfolgt erst heute, das weiß ich von der Polizistin. Der Körper war steifgefroren. Thomas hat versprochen, mich zu benachrichtigen.«

      Als hätte er auf dieses Stichwort gewartet, erscheint seine Nummer auf Lauras Handy. Was die Todesursache betrifft, hat er noch keine Neuigkeiten. Die seien am späten Nachmittag zu erwarten. »Aber woher wusstest du, wie man mit dem Auto in den Friedhof kommt? Das könnte nämlich ermittlungsrelevant sein. Der Täter muss ja ein Fahrzeug benutzt haben, um die Tote zu transportieren. Wir haben Reifenspuren gefunden, die nicht von den Fahrzeugen der Friedhofs­gärtnereien stammen. Sie werden gerade analysiert. Vielleicht lässt sich damit die Personengruppe einkreisen.«

      Daran hatte sie noch gar nicht gedacht, ein neuer Aspekt. Das mit der Zufahrt weiß wirklich nicht jeder. Sie erfuhr es auch erst durch Maren, die sie um Hilfe beim Neubepflanzen des Grabs ihres Schwiegervaters gebeten hatte. Mit jeder Menge Erde und Blumen im Kofferraum waren sie durch die Schranke gefahren, die in solchen Fällen geöffnet wird.

      Laura setzt Thomas darüber in Kenntnis, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Schranke auf Anforderung immer geöffnet wird. »Da fragt keiner genauer nach, deshalb kommt im Grunde jeder rein.«

      »Trotzdem danke für die Information. Mal sehen, ob wir damit einen Schritt weiterkommen.«

      Renate hat das Gespräch verfolgt und zieht die Brauen hoch. »Ich wollte dich nicht unterbrechen, aber könnte nicht doch jemandem ein Fahrzeug um diese Jahreszeit aufgefallen sein? Es war doch eiskalt zum angenommenen Tatzeitpunkt und die Erde gefroren. Da kann man auf keinen Fall etwas einpflanzen, und bauliche Maßnahmen an Grabsteinen, für die man Werkzeug transportieren müsste, halte ich auch für ausgeschlossen.«

      »Du hast recht! Zu dieser Zeit waren dort mit Sicher­heit nur wenige Menschen unterwegs. Und gerade deshalb kann sich vielleicht jemand erinnern.«

      Sie ist kurz davor, Thomas anzurufen, um ihm diese Überlegung mitzuteilen, aber es ist anzunehmen, dass er mit seiner ausgeprägten Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen, bereits selbst darauf gekommen ist. Sie möchte keinesfalls seine Intelligenz beleidigen. Sie denkt nach. »Vielleicht könnte ich auf eigene Faust versuchen, in dieser Beziehung etwas herauszubekommen …«

      »Nein!«, Renate ist entschieden dagegen. »Das würde gerade noch fehlen. Ich verstehe zwar, dass es dich in den Fingern juckt, in diesem selbst erlebten Fall, aber du würdest nur die offiziellen Ermittlungen stören. Wenn du noch arbeiten würdest, könnte ich das verstehen, aber dein Abschied war doch definitiv, oder habe ich da etwas falsch verstanden?«

      Laura muss ihr recht geben. In beiden Punkten. Als sie fast zeitgleich mit Christoph in den Ruhestand wechselte, tat sie das mit dem festen Vorsatz, sich nicht mehr mit den kriminellen Seiten des menschlichen ­Daseins zu beschäftigen, sondern die angenehmen mit Christoph zu genießen.

      »Es ist so, wie du


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