Schöner Tod. Astrid Keim

Schöner Tod - Astrid Keim


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dran. Ja, du auch«, beantwortet sie den fragenden Blick ihrer Freundin, »wenn du versprichst, niemandem etwas davon zu sagen. Obwohl, das wäre egal, er wird nur Dinge erzählen, welche die laufenden Ermittlungen nicht gefährden.«

      »Genau, und gerade deswegen solltest du nichts auf eigene Faust versuchen. Wer weiß, ob es nicht sogar gefährlich werden könnte: Der Täter plant offenbar eiskalt.«

      Auch da hat Renate recht. Die ganze Vorgehensweise spricht für eine akribische Planung. Allerdings auch für ein gerüttelt Maß an Risikobereitschaft. Viel einfacher wäre es doch, die Leiche irgendwo im Wald abzulegen. Es muss also einen wichtigen Grund für die Inszenierung gegeben haben – so wichtig, dass das Risiko bewusst in Kauf genommen wurde.

      Renate nickt. »Und der Grund führt wahrscheinlich zum Motiv. Oder umgekehrt. Es liegt auf der Hand, dass beides zusammenhängt. Warten wir ab, was die Obduktion ergibt. Vielleicht bringt das etwas Licht ins Dunkel ...« Sie schaut auf die Uhr. »Ach, ich muss los. Ich habe Alf versprochen, noch mal reinzuschauen. Er hat ein neues Projekt am Start.«

      Und auf Lauras fragenden Blick: »Er will sich an eine größere Skulptur wagen, eine eigene Interpretation der antiken Figurengruppe des Laokoon mit seinen beiden Söhnen im Kampf mit dem Meeresungeheuer.«

      Als wäre das Erklärung genug, steht sie auf und zieht ihre Jacke an.

      Laura hält sie am Ärmel fest. »Lebensgroß?«

      »Klar. Etwas Spektakuläres muss es schon sein.«

      »Aber wieso, für was?«

      »So genau weiß ich das bis jetzt auch nicht, aber es hängt mit seinem Engagement gegen die Verschmutzung der Meere zusammen. Es ist als Metapher gedacht.«

      »Und wie kannst du ihn dabei unterstützen?«

      »Er braucht einen größeren Raum und auch Material. Ich habe versprochen, mich darum zu kümmern.«

      Laura weiß nicht so genau, ob das Ganze wirklich seriös ist, Renates ernsthafter Gesichtsausdruck spricht aber dafür.

      »So schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er verbindet Kunst mit dem Kampf für den Umweltschutz.«

      Damit hat er Renate natürlich auf seiner Seite, und auch Laura muss zugeben, dass man sein Geld für schlechtere Dinge ausgeben kann. Obwohl Alf über beachtliches Talent verfügt und in der Kunstszene durchaus einen Namen hat, will sich kein größerer finanzieller Erfolg einstellen. Es genügt zum Leben, da er keine großen Ansprüche stellt. An Renate wendet er sich nur, wenn es für ein künstlerisches Vorhaben nicht reicht. Sie würde ihn weitaus mehr unterstützen, aber das anzunehmen, verbietet sein Stolz. Jetzt, bereits in den Sechzigern, hat er sich mit den Gegeben­heiten arrangiert und wohl auch die Hoffnung auf einen Durchbruch aufgegeben. Vielleicht, so hat man ihm nahegelegt, würde die Hinwendung zu abstrakter Kunst auf bessere Resonanz stoßen, aber das lehnt Alf ab. »Nein, das ist nichts für mich«, hat er erst letztens wieder entschieden mitgeteilt und sich sofort anderen Themen zugewandt, um ­dieser unumstößlichen Tat­sache Nachdruck zu verleihen. Laura nahm sich damals vor, ihn bei Gelegenheit noch einmal darauf anzusprechen, denn auch ihr wollen sich viele Werke absolut nicht erschließen.

      Das war, als sie zu viert in Renates Küche saßen, Alf in Begleitung seiner Muse. Tatsächlich, so stellt er Vanessa vor, das ist ihr offizieller Titel. Von Renate weiß Laura, dass sich die beiden vor knapp fünf Jahren in einem Café kennenlernten, wo sie kellnerte, und seitdem voneinander profitieren. Vanessa, eine strahlende Schönheit, die gerne im Mittelpunkt steht, aber auf intellektuellem Gebiet ein paar kleinere Defizite aufweist, lernt durch ihn eine Menge Leute aus Kreisen kennen, die ihr sonst verschlossen blieben. Und Alf, mit dieser Frau an seiner Seite, erfährt ein gutes Stück mehr Aufmerksamkeit für seine Arbeiten, als er sonst bekäme.

      »Und die beiden haben nichts miteinander?«, wollte Laura damals wissen.

      »Nein, mit Sicherheit nicht«, erklärte Renate, »das ist rein platonisch. Vanessa mit ihren 24 Jahren hat nicht das geringste Interesse an einem alternden Künstler, der in der Szene zwar einen guten Ruf genießt, aber finanziell immer am Rand eines Desasters balanciert. Und Alf, der Ästhet, erfreut sich einfach an ihrem Anblick und dem Interesse, das sie erweckt. Auch ich mag sie übrigens gern. Sie ist nett, unkompliziert, lacht viel. Sie hat einfach die Gabe, gute Laune zu verbreiten.«

      »Kann ich mitkommen?« Laura erscheint der avisierte Besuch als gute Gelegenheit, auf andere Gedanken zu kommen.

      »Klar, wenn ich gewusst hätte, dass du Lust dazu hast, hätte ich dich sofort gefragt. Alf wird sich freuen, dich zu sehen.«

      Beide sind mit dem Fahrrad da und so dauert es nicht lang bis zur Humboldtstraße. Alf bewohnt dort seit fast dreißig Jahren zwei Zimmer im Erdgeschoss eines Altbaus. Ein geräumiger Mansardenraum, ehemals Unterkunft für Bedienstete, gehört dazu. Er hat ihn selbst ausgebaut, mit gehöriger Dämmung gegen Hitze und Kälte und zwei großen Fenstern im Dach, durch die mildes Nordlicht fällt. Normalerweise ist er groß genug für seine Projekte, das neue Werk jedoch erfordert andere Dimensionen. Als er die Wohnung mietete, war das Nordend noch keine so ­angesagte Wohngegend wie heute. Vor allem Studenten und junge Akademiker zog es dorthin, der urbanen (und gastronomischen) Vielfalt wegen. Heute sind die Mieten kaum noch erschwinglich: Die Gutverdiener haben auch diesen Stadtteil für sich entdeckt.

      Alf braucht zum Glück keine Kündigung oder Mieterhöhung zu befürchten, denn er ist mit dem Besitzer des Hauses befreundet, seit sich dessen Frau von ihm trennte und die Kinder mitnahm. Alf konnte nicht mit ansehen, wie er niedergedrückt durchs Treppenhaus schlich, und lud ihn auf ein Glas Wein in seine Wohnung. Das war der Beginn ihrer Freundschaft, die durch ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Schachspiel gefestigt wurde, offenbar Alfs einziger Leidenschaft außer der Kunst, wie es Laura vorkommt. Neben Vanessa, der Muse, gibt es nur wenige Frauen in seinem Umfeld, und keine ist dabei, die auf eine intime Beziehung schließen ließe. Laura hat sich oft darüber gewundert, auch die Vermutung angestellt, ob er vielleicht schwul sei, ist aber nie zu einem Ergebnis gekommen. Sein Sexualleben ist ein Buch mit sieben Siegeln.

      Sie sitzen, mit Wolldecken gegen den leichten Wind geschützt, auf dem kleinen Freisitz hinter dem Haus. Alf durfte ihn im Garten anlegen. Theoretisch steht er auch den anderen Bewohnern zur Verfügung, aber nur selten macht jemand Gebrauch davon. Obwohl erst kurz nach drei, beginnt die Sonne schon ihre Kraft zu verlieren. Lang wird man hier nicht mehr sitzen können, aber ein langer Besuch ist auch nicht geplant.

      Renate kommt gleich zur Sache: »Es wird schon klappen. Ich habe gehört, dass bei einer Künstler­gemeinschaft in einer ehemaligen Fabrik etwas frei wird. Ein Atelier mit Nordlicht muss es bei diesem Projekt ja wohl nicht sein.«

      Alf nickt. »Nur die Größe ist ausschlaggebend. 50 m2 wären ideal.«

      Da zu diesem Thema offenbar kein Diskussions­bedarf mehr besteht, kommt Laura auf die Frage zurück, die sie beim letzten Treffen in Renates Küche nicht mehr stellen konnte: »Alf, warum siehst du eigentlich die abstrakte Kunst so kritisch?«

      »Nicht die abstrakte Kunst per se«, korrigiert er, »da habe ich mich wohl zu pauschal ausgedrückt. Nur gewisse Richtungen. Warst du nach dem Umbau schon mal im Städel?«

      Und als Laura den Kopf schüttelt: »Solltest du aber. Schau dir die neue Abteilung für Moderne Kunst im Untergeschoss an.«

      Er schweigt, als sei damit alles gesagt.

      Aber Laura lässt nicht locker. »Wegen der neuen Räumlichkeiten?«

      »Ja, auch, architektonisch sind die wirklich gelungen, aber vor allem wegen dem, was drin ist. Abstraktes satt, und zwar in einer Form, als hätten die ­Erschaffer ­niemals gelernt, einen Pinsel zu führen, was sich vermutlich auch so verhält. Ich habe es schon immer für eine Verspottung des Intellekts gehalten, monochrome Farbflächen oder wirre Muster als Kunst zu bezeichnen!«

      »Da bist du aber einer der wenigen«, wirft Renate ein.

      »Schon klar, aber weißt du, weswegen? Weil sich keiner traut, so etwas laut zu sagen. Da wird man sofort als Banause und Ignorant an den Pranger gestellt. Als


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