Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst

Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst


Скачать книгу
er aus Afrika zurück?«, fragt Vittrup und scannt den Supermarkt auf aufmerksame Blicke ab. Sie gucken noch, die Leute. Obwohl das Gedächtnis kurz ist.

      Charlotte erklärt, wie sie es schon einige Male hat tun müssen, dass Thomas zu Weihnachten aus Sambia nach Hause gekommen ist und laut Plan seinen Vertrag mit der MS, der Organisation für Internationale Zusammenarbeit, im kommenden Jahr auch erfüllen kann, indem er nur zu mehreren kürzeren Aufenthalten hinunterfliegt.

      »Super«, sagt er und sieht ihr erneut in die Augen. »Wir brauchen dich in den kommenden Monaten. Alle guten Kräfte müssen zusammenstehen.«

      Auf was oder wen der Gebrauch des Pluralis Majestatis hinweist, ist nicht ganz klar, aber sie fragt nicht nach. Sie mag nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen und wirft einen Seitenblick auf das Fleisch in der Kühltheke.

      »Um acht oder etwas früher. Dann können wir noch die Königin sehen, nicht?«, sagt er und lächelt wieder. Das Lächeln wirkt künstlich oder zumindest ungewohnt. Vielleicht weil sie ihn bisher noch nie in Zivil gesehen hat? Allein, ohne sein Gefolge von Aktenträgern.

      »Das wird bestimmt nett«, nickt sie. »Sollen wir etwas mitbringen?«

      »Nein, nein! Wenn ein Westjütländer etwas kann, dann einen Dorsch kochen!«, lacht er.

      Jetzt greift er nach einer Packung Schinkenstückchen für den Wok. Rührt sich aber nicht von der Stelle; offenbar möchte er doch noch etwas loswerden.

      »Hast du etwas von den anderen gehört?«, fragt er mit der gleichen unnatürlichen Lässigkeit wie ein Teenager, der wissen will, ob »jemand« angerufen hat.

      »Nee, wir waren in Nordjütland. Ich habe ein einziges Mal mit Meyer telefoniert. Sie waren in Norwegen auf der Hütte eingeschneit, aber das war bestimmt gemütlich. Mit Grog und einem Kaminfeuer, du weißt schon.«

      Er lacht wieder.

      »Das kann ich mir vorstellen. Was ist mit Gert? Hast du ihn gesprochen?«, fragt er leichthin.

      »Gert?«, sagt sie und zieht die Augenbrauen zusammen. »Nein, das habe ich nun wirklich nicht. Sollte ich?«

      »Nein, nein. Sie kommen morgen auch. Er und Linda. Wie dem auch sei, ich muss weiter. Grüß zu Hause«, sagt er und setzt sich mit dem fast leeren Einkaufswagen in Bewegung. Er wirkt irgendwie linkisch mit dem Wagen. Als ginge er mit einem Kinderwagen ohne Kind spazieren.

      Sie sind dreizehn bei Tisch, worauf der Gastgeber zwischen der Foie gras und dem gekochten Dorsch mehr als einmal scherzend hinweist. Keiner der Gäste auf der gelinde gesagt überraschenden Gästeliste ist abergläubisch, zumindest lässt keiner durchscheinen, dass er es ist. Abgesehen von seiner Tischdame Linda natürlich, Gerts flatterhafter Frau, die wie üblich redet, wo sie besser schweigen sollte.

      »Forderst du das Schicksal heraus, Per?«, fragt sie ihn beispielsweise und legt ihre schmale Hand auf seine. Eigentlich ist er erheblich paranoider, als er meint, so paranoid, dass er, hätte dieses Silvesteressen in einem italienischen Fürstenhof zur Zeit Machiavellis stattgefunden, sowohl für einen Mundschenk als auch für eine schwer bewaffnete Leibgarde gesorgt hätte. Deshalb hört er auch fälschlicherweise eine Betonung auf dem du, sodass die Frage in seinen Ohren lautet: »Forderst du das Schicksal heraus?«, und das in einem Tonfall, der besagt, dass sein Glück aufgebraucht ist, dass gerade er sich nicht der Gefahr aussetzen sollte. Auf die gleiche Weise sieht er plötzlich, während sein Blick auf der Suche nach einer passenden Replik die Runde macht, seine Gäste in schweren Brokat und Velours gekleidet; die Ohren der Frauen mit großen tropfenförmigen Perlen geschmückt; die Männer in Wams und Barett. Wer Freund und wer Feind ist in diesem Szenarium, ist unmöglich auszumachen. Doch dann findet er seine Antwort, blinzelt hinter der Brille und schaut noch einmal über eine nun ganz vertrauenerweckende Gesellschaft von in hohem Grad jüngeren, um nicht zu sagen jungen Menschen, die ihm ihre offenen, noch immer beeindruckten Gesichter zuwenden. Der Einzige, der auf seine Gabel hinunterblickt, ist Gert.

      »Ich glaube nicht an das Schicksal, Linda«, antwortet er und hebt sein Glas, indem er eine kleine Kunstpause einlegt. »Ich glaube an harte Arbeit. Sie bringt als Einziges Resultate«, sagt er dann, unmittelbar an die beiden Neugewählten gewandt, den jungen Sune Garde und die noch jüngere und herrlich zielstrebige Liv Busk Sørensen, auf die er zusammen mit dem dritten Neuen in der Gruppe, René Nielsen aus Aalborg, zu setzen gedenkt, wenn er direkt nach den Weihnachtsferien den ersten Teil seines Erneuerungsplans vom Stapel lassen wird. Christina Maribo ist ebenfalls mit von der Partie. Was ihr an politischem Talent fehlt, wird durch ihre grenzenlose Loyalität voll und ganz wettgemacht. Hinzu kommt, dass sie robust wie ein Brauereipferd ist und über eine Energie verfügt, die es fast, fast, mit seiner aufnehmen kann. Ein derartiger Arbeitseifer findet sich nur selten bei Frauen, wie er leider konstatieren muss. Nicht, dass sie faul sind, bestimmt nicht, Frauen sind nur, wie die süße Gitte immer zu sagen pflegte, nicht so monoman in ihrem Zugang zur Arbeit. Für sie gibt es auch noch anderes im Leben, wie er oft belehrt worden ist, und daran ist schließlich nichts auszusetzen. Doch wenn man in der Politik etwas erreichen will, braucht es diese totale Besessenheit, ohne Ablenkungen und ohne Gewissensbisse alles einzusetzen, um sein Ziel zu erreichen.

      Dass Charlotte Damgaard, die er heute Abend nach einigen Überlegungen neben Gert gesetzt hat, über diesen Arbeitseifer verfügt, hat er früher bezweifelt. Ihrer Loyalität war er sich auch nicht ganz sicher, während das Talent nicht zur Diskussion stand. Was sie, zuletzt am Vormittag des 11. September dänischer Zeit, beinahe zu Fall gebracht hätte, war ihre Aufmüpfigkeit. Sie war zu weit gegangen, hatte sich wie eine Primadonna aufgeführt, sich geweigert, in ihrer allzu weit gehenden Forderung nach einem Schweinestopp zurückzustecken. Aus diesem Grund – und weil Gert ihren Kopf auf einem silbernen Tablett forderte – sollte sie von ihrem Ministerposten gefeuert und, um bei den morbiden Metaphern zu bleiben, zum Schafott geführt werden, als zwei voneinander unabhängige Ereignisse, das eine geringfügig, das andere von allumfassender Bedeutung, eintrafen.

      Kurz vor dem anberaumten Treffen, auf dem die Entlassung effektuiert werden sollte, fiel er die Treppe im Staatsministerium hinunter und landete so unglücklich, dass er sich einen relativ komplizierten Knöchelbruch zuzog, der einen sofortigen orthopädischen Eingriff und einen Gips erforderlich machte. Und so viel er den Leuten auch zumutet, und offenbar hat er ihnen viel zugemutet, wenn man den Klagegesängen glauben darf, die in den Analysen der Medien bezüglich der dänischen Politik für das kommende Jahr laut geworden sind, doch Leute per Telefon zu feuern, das mutet er ihnen nicht zu. Wenn möglich jedenfalls nicht. Deshalb musste die Entlassung warten. Und als er schließlich mehrere Stunden nach der Operation wieder aufwachte, wachte er in eine neue Wirklichkeit mit den schockierenden Nachrichten über die Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon auf.

      In dieser Situation konnte man natürlich keine Minister verabschieden, da galt es zusammenzustehen. Zusammenhalt zu demonstrieren. Deshalb teilte er ihr kurz mit, dass sie weiter dabei war, wenn sie das wolle. Das wollte sie, und das Wunder geschah, das musste selbst Gert zugeben, aus der Ente wurde ein Schwan. Vor ihren Augen. Charlotte Damgaard wuchs mit der Verantwortung, von Tag eins an.

      Ob der Schock sie einlenken und nichts sagen ließ, als die Presse inmitten des Ganzen ihren Kommentar zu den »Verlautbarungen« hören wollte, dass sie hatte entlassen werden sollen, weiß er noch immer nicht. Er hatte lediglich konstatieren können, dass sie sich zum ersten Mal, seit sie Mitglied des Regierungskollektivs geworden war, wie ein Teil dieses Teams verhielt. Sie unterstützte hundertprozentig seine Autorität, die glücklicherweise nicht dadurch unterminiert wurde, dass er wochenlang auf Krücken herumhumpeln musste. Wie ihre Kollegen fand sie ihren Platz im Maschinenraum, wo sie loyal ihrer Aufgabe nachging und offensichtlich verstanden hatte, was es heißt, mit einer Verantwortung betraut worden zu sein. Mit Zufriedenheit stellte er fest, dass auch sie von dem altruistischen Pflichtgefühl erfüllt war, das die Feuerwehrleute in New York unter Einsatz des eigenen Lebens heroische Heldentaten vollbringen ließ. Weder Charlotte Damgaard noch ihre Mitarbeiter im Umweltministerium schonten sich in diesen ersten intensiven Krisenwochen, in denen er ihr die Aufgabe übertrug, die sektorenübergreifende Taskforce zu leiten, deren Ziel es war, ein Bioterrorismusbewusstsein aufzubauen.


Скачать книгу