Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst

Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst


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ordern. Er ist dort schließlich bekannt. Also, ab nach Hause und den Kamin angemacht, wenn denn noch Brennholz da ist, Kerzen hat er. Ob nicht auch noch ein alter Film im Fernsehen läuft?

      Ermuntert ruft er die Auskunft an und lässt sich die Nummer des D’Angleterre geben. Wird zum Restaurant durchgestellt, wo ihm nicht viel Zuvorkommenheit entgegengebracht wird, bis er darauf besteht, den Küchenchef persönlich zu sprechen. Offensichtlich ist er der Einzige, der noch nicht vergessen hat, wie oft sie große und kleine Aufträge durch das Staatsministerium bekommen haben. Zu Vittrups Zeiten.

      »Wie viele Gedecke?«, fragt er nur, als Per Vittrup ihm ausführlich erklärt hat, dass er wie so viele andere aufgrund des Sturms gezwungen ist, seine Pläne zu ändern und in Kopenhagen zu bleiben.

      »Zwei«, sagt er und saugt die Lippen nach innen. »Wir sind nur zu zweit in diesem Jahr. Die Kinder sind verreist.«

      Weihnachten ist eine Prüfung für viele Menschen, heißt es in den Radionachrichten. Viele nehmen sich das Leben oder rufen verzweifelt bei der Telefonseelsorge oder einer der anderen Hotlines an, an die die Einsamen und Deprimierten sich wenden können. Eine Telefonnummer wird genannt, aber ich höre nur mit halbem Ohr zu, weil ich mit der Ente und den gebräunten Kartoffeln beschäftigt bin, und denke, dass ich dieses Jahr keine von diesen Verzweifelten sein werde. In diesem Jahr habe ich mein Schäfchen im Trockenen, bin drinnen in der Wärme, muss keine von denen sein, die sich die Nasen an den Fensterscheiben platt drücken, um sich auf die Feste der anderen zu träumen. In diesem Jahr bin ich dabei, in diesem Jahr gibt es keine Katastrophe, in diesem Jahr stehe ich in einer ganz gewöhnlichen Küche, in der ganz gewöhnliche Fragen gestellt – Meinst du nicht, dass ich jetzt die Ente herausnehmen sollte, damit sie noch eine Weile stehen und ruhen kann? – und ganz gewöhnliche Antworten gegeben werden – Ja, sie sieht gut aus. Wir können sie zum Schluss immer noch ein paar Minuten unter den Grill stellen. Man darf sie nur nicht aus den Augen lassen, das kann schnell schiefgehen. Doch an diesem Abend geht nichts schief, da bin ich sicher, denn mein Schwager Ole-Stig ist bei uns, und seit er gestern Morgen über die Schwelle getreten ist, scheint das ganze Haus wie verzaubert. Die reinste Magie. Gert schimpft nicht mehr, brummt nicht verärgert herum, sondern lächelt und wünscht sogar meiner Schwägerin Janni schöne Weihnachten, als sie mir unangemeldet einen großen, in Zellophan eingepackten Weihnachtsstern vorbeibringt, der angeblich von meiner Mutter ist. Er wird gegen die übliche Schachtel Anthon-Berg-Pralinen ausgetauscht, die ich meiner Mutter in den letzten Jahren pflichtschuldigst geschenkt habe. Die Kinder sind auch im Auto, sie sind auf dem Weg zum Mozarts Plads, um zusammen mit »Großmutter« Weihnachten zu feiern. Janni hat einen Weihnachtskorb von der Heilsarmee bekommen, erzählt sie, als Ole-Stig alle hereinbittet. Gott sei Dank lehnt sie ab, sie müssen weiter; sie bringt schließlich das Essen mit. Dafür geht er mit hinaus und grüßt und steckt ihr einen zusammengerollten Hundertdollarschein zu, von dem sie den Kindern etwas Schönes kaufen soll. Janni ist zu Tränen gerührt, sie ist es nicht gewohnt, etwas geschenkt zu bekommen, eigentlich überhaupt nicht, etwas zu bekommen, und deshalb gibt er ihr noch einmal hundert Dollar und sagt, dass die für sie sind. Er kann sich das leisten, das ist es nicht. Es ist die Fürsorge, mit der wir nicht zurechtkommen, Janni und ich. Ich habe die Chance ergriffen, mit hinauszugehen, um die drei Kinder zu begrüßen; Stephanie, die auf dem Beifahrersitz sitzt, raucht, bald sechzehn ist und schon seit Langem mehr als geküsst wird, Patrick, der Lümmel, der die dunklen Augen seines Onkels hat, und der kleine Oliver, mollig und mit roten Wangen. Für ihn besteht noch Hoffnung, der Blick der beiden Großen ist bereits stahlhart, sie gehen wohl einer kriminellen Zukunft entgegen. Stephanie hat man beim Ladendiebstahl erwischt und Patrick aus dem Landschulheim nach Hause geschickt, weil er fünf Gramm Hasch bei sich hatte. Das ist Scheiße, und ich wünschte, ich könnte etwas für sie tun – etwas anderes, als heimlich Weihnachtsgeschenke zu schicken, wie ich das auch dieses Jahr getan habe.

      Deshalb winke ich dem hustenden Daihatsu, der bestimmt den nächsten TÜV nicht übersteht, auch mit einer gewissen Beklommenheit nach. Ole-Stig sagt nichts, legt mir nur einen Arm um die Schulter; er weiß, was ich denke, und auch, was ich fühle. Vielleicht besser als ich. Wir überlassen das Thema sich selbst wie einen Vogel mit einem gebrochenen Flügel; wir sind mitten in den Vorbereitungen für das Weihnachtsessen, und es bringt nichts, über das Kind zu weinen, das ich verloren habe, und die Kinder, die ich später nicht bekommen konnte.

      »Great kids! Was sind die groß geworden«, sagt er, als das Auto um die Ecke verschwunden ist. Etwas im Klang seiner Stimme verrät, dass er vielleicht den gleichen Schmerz mit sich herumträgt, sich nie reproduziert zu haben. Ob es Gert auch so geht? Haben sie jemals darüber gesprochen? Dass die Familie mit ihnen ausstirbt, mit den beiden Brüdern?

      »Ja«, sage ich und schaudere vor Kälte. Es ist noch immer windig, obwohl der Sturm langsam abnimmt. »Die Kinder sind schon okay. Na schön, wir sollten besser ...!«

      Ole-Stig nickt, und wir gehen in die Küche und fahren da fort, wo wir aufgehört haben. Wir liegen gut in der Zeit; wir arbeiten prima zusammen, und selbst Gert findet sich in den Rhythmus ein, als er aus seinem Arbeitszimmer auftaucht, wo er wie üblich Stunden über seinem Taschenrechner und einem Block verbracht hat. Ole-Stig nennt ihn kopfschüttelnd einen unverbesserlichen workaholic – am Weihnachtsabend über einem alternativen Finanzgesetz zu brüten! Wo er nicht einmal Finanzsprecher ist! Gert zuckt versöhnlich mit den Schultern und macht unaufgefordert eine Flasche Wein auf, Kerzen und Musik an. Frank Sinatras Weihnachtshits sind kurz darauf aus den Lautsprechern in der Küche zu hören.

      »Das ist das Amerika, das es einmal gab. Vor Ground Zero«, bemerkt Ole-Stig und summt bei I’ll Be Home for Christmas mit, während er das Glas Rotwein entgegennimmt, das Gert ihm eingegossen hat. Ich bekomme auch eins; er macht es ganz voll, damit ich den Wein nicht mit Wasser verdünnen kann, nicht wahr? Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich den ganzen Tag noch keinen Tropfen getrunken habe. Ich war gezwungen, in das Außenlager im Garten zu gehen, wo ich Flaschen unter ein paar großen, leeren Tontöpfen versteckt habe, um ein paar Drinks zu kippen. Nicht viele, nur genug, dass meine Hände nicht so zittern. Deshalb bin ich ungewöhnlich klar im Kopf und kann sowohl zuhören wie auch die Sauce zubereiten, während das Gespräch zwischen den beiden Brüdern lebhaft wird, die sich mit ihren roten Haaren, ihren Sommersprossen und ihren behänden Gestalten zwar gleichen, ansonsten aber so unterschiedlich wie Tag und Nacht sind. Nicht nur weil Ole-Stig vier Jahre jünger und schwul ist und mit seinem gepflegten Schnäuzer, der modischen Kleidung und der Breitling-Uhr am Handgelenk durchaus als wohlhabender gay doctor von der amerikanischen Ostküste gecastet werden könnte, der in einige der Sitcoms passt, mit denen ich mein Dasein friste. Sondern auch weil Gert der Schwermütige und Rätselhafte, und Ole-Stig mit einem fröhlicheren Gemüt und einer allumfassenden Offenheit gesegnet ist. Besonders wenn sie zusammen sind, wird dieser Unterschied deutlich. Während Gert das Glas immer als halb leer ansehen wird, ist es für Ole-Stig stets halb voll. Trotzdem fällt mir, während ich das Entenfett von der Sauce abschöpfe, auf, dass Ole-Stig pessimistischer wirkt als sonst.

      Sie unterhalten sich nämlich über Politik, über Amerikas Rolle in der Welt, über die Wahrscheinlichkeit, dass die USA sich die patriotische Stimmung für ihren Krieg gegen den Terror zunutze machen und den Irak besetzen werden, um Saddam Hussein zu stürzen. Ole-Stig verdreht die Augen, während Gert all die Männer aufzählt, die den Präsidenten unterstützen, unter anderem Cheney und Rumsfeld, die beiden Falken des rechten Flügels. Sie sind ganz versessen darauf, auf den Knopf zu drücken, send in the marines, und der allzu weiche Falke Colin Powell dürfte außerstande sein, das zu verhindern.

      »That’s right!«, stimmt Ole-Stig zu. »Und wenn diese Condoleezza Rice sie auch noch anspornt, werden sie sich noch mehr ins Zeug legen! What the fuck macht sie in dieser Regierung?«

      »Sie ist die schwarze Geisel«, sagt Gert und klaut sich eine meiner Zigaretten aus der Packung auf dem Küchentisch. Eine seltene Ehre. »Condee ist der Schinken im Sandwich. Genau wie Colin«, fügt er hinzu.

      »Sie ist die schwarze weibliche Geisel«, ergänze ich und schüttle mir selbst eine Zigarette aus der Packung. Drehe mich zu Gert um, um mir Feuer geben zu lassen, aber er hat das Feuerzeug weggelegt. Ole-Stig nimmt es und gibt mir Feuer.

      Gert


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