Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst

Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst


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Hause losgefahren sind. Es ist auch nicht ihre Schuld, dass der junge Mann in der Information offensichtlich nicht weiß, wen er vor sich hat, als er nur eine verkürzte und nichtssagende Erklärung herunterleiert, statt ihnen ordentlich zu erklären, warum das Flugzeug Verspätung hat und warum die Gepäckauslieferung so lange dauert. Und es ist schließlich nicht ihre Schuld, dass es so lange dauert, im Café Select neben der Ankunftsschleuse einen Kaffee zu bekommen. Doch sie bekommt alles ab. Sie faucht er an und schimpft er aus, bei ihr beklagt er sich. Zum Beispiel als sie nach einer Pfeffernuss greift und dem Barkeeper mit einem allzu zuvorkommenden Lächeln »Frohe Weihnachten!« wünscht.

      »Nimm dich doch zusammen!«, sagt er und zieht an ihrem Ärmel.

      »Entschuldigung«, murmelt sie und verschüttet etwas Kaffee über den Mantel.

      »Tsst!«

      »Entschuldigung!«, sagt sie wieder und reibt mit einer Serviette über den Fleck. »Das muss ich wohl auf der Toilette machen«, fügt sie mit einem allzu gehetzten Ausdruck hinzu, den er kaum mehr ertragen kann.

      »Da kannst du auch gleich etwas von dieser Kriegsbemalung entfernen. Du siehst aus wie ein geplündertes Weihnachtsbüfett.«

      Stumm dreht sie sich um und verschwindet in Richtung Toiletten. Er hofft, dass Ole-Stig auftaucht, während sie weg ist. Er erträgt diese übertriebenen familiären Willkommensszenen nicht, in denen die beiden Experten sind. So gesehen, sieht er diesem Weihnachtsbesuch auch nicht mit ungeteilter Begeisterung entgegen. Es ist einige Jahre her, dass sie mit ihm allein gewesen sind, ohne Bob. Und es ist einige Jahre her, dass sie so viele Tage unter demselben Dach verbracht haben. Das macht ihn unruhig. Angespannt. Obwohl er sich auch freut, ihn zu sehen. Sehr sogar. Ole-Stig ist trotz allem der Mensch auf der Welt, der ihm am nächsten steht.

      Er hat nicht das Budget für so etwas, der Chefredakteur. Aber er macht es trotzdem. Von seinem eigenen Geld. Spendiert eine Flasche Maltwhisky für die beste Rubrik des Jahres. Er allein bestimmt, wer den Preis bekommt. Und er zweifelt nicht einen Augenblick, wen er am 23. Dezember in sein Büro rufen wird, bevor die Redaktion ihre Arbeit während der Feiertage auf Sparflamme herunterfährt. Die Flasche geht an den supertalentierten Mikael Rud für sein Dead Man Walking. Das Präziseste, was bisher über Per Vittrup geschrieben worden ist. Und deshalb bereits überall zitiert und kopiert wird. Auch auf dem Rathausplatz. Und in Viby. Häh.

      Erst nach den Mittagsnachrichten am 24. Dezember wird Per Vittrup klar, dass er ein Problem hat. Es besteht nicht darin, dass er mit den Weihnachtskarten hinterherhinkt, die sich, geschriebene wie ungeschriebene, auf seinem Schreibtisch stapeln. Das tun sie immer, obwohl seine effektive Sekretärin im Staatsministerium stets dafür gesorgt hat, dass sie trotzdem rechtzeitig herausgingen – jedenfalls die an die anderen Staatsoberhäupter, die Kommissionsvorsitzenden, die Generalsekretäre und die Konzerndirektoren. Dass sie sich dafür entschieden hat, das Angebot anzunehmen, im Büro des Staatsministers zu bleiben, kann er ihr nicht zum Vorwurf machen, obwohl er doch ein wenig enttäuscht war, dass Tove Munch nicht mit ihm gegangen ist. Er fand, sie hatten einen guten Modus Vivendi. Ja, ein nettes persönliches Verhältnis. Never mind. So ist das. In Christiansborg. Und sein Problem ist eigentlich auch nicht, dass man von ihm als ehemaligem Staatsminister nicht mehr erwartet, dem amerikanischen Präsidenten eine Weihnachtskarte zu schreiben, noch dass er selbst keine erwarten kann. Sein Problem knistert wie ein Wackelkontakt in einer Lautsprecheranlage. Ein Knistern, das immer lauter und enervierender wird, nachdem sich die Stille in der Burg ausgebreitet hat. Außer ihm ist bis auf die Sicherheitsbediensteten und den Wachmann niemand mehr da. Selbst die Reporter sind nach Hause gegangen, Brydesens Cafeteria hat geschlossen, und die Computer sind abgeschaltet. Langsam wird es sogar kalt; in den Weihnachtstagen steht die Heizung auf Nachtabsenkung. Da man annimmt, dass die ehrbaren Folketingmitglieder im Schoß ihrer Familien Weihnachten feiern. Jeder ist in seine Richtung davongeeilt, als das Folketing in die Ferien gegangen ist; erschöpft und geschlaucht von einem harten und aufreibenden Wahlherbst, haben sie alle das Bedürfnis nach Ruhe in der terrorfreien Zone ihres Heims.

      Ehrlich gesagt, könnte auch er ein paar gemütliche Tage mit einem Feuer im Kamin, einem Glas Burgunder und einem Weihnachtsbaum, der bis zur Decke reicht, vertragen. Liebend gern hätte er in der Küche gestanden und die Verantwortung für die lange bratende Ente übernommen, die braunen Kartoffeln und die Sauce, in deren Zubereitung er ein wahrer Meister ist. Er hätte mit Genuss die Familie bewirtet, Gitte und die Jungen und ihre Freundinnen, von denen die eine hochschwanger ist, und wer sonst noch mit am Tisch gesessen hätte. Tatsache ist jedoch, dass es dieses Jahr keine Familie zu bewirten gibt. Gitte, mit der Weihnachten zu feiern ohnehin ausgeschlossen ist, befindet sich auf einer Auf-den-Fersen-von-Bin-Laden-Reportagetour in den Tora-Tora-Bergen. Das macht ihm Sorgen, ist aber none of his business, wie ihm nachdrücklich versichert wurde, als es ihm das letzte Mal gelungen ist, auf ihrem Satellitentelefon durchzukommen. Und was die Jungen angeht, ist der eine bei den Schwiegereltern in Südjütland und der andere in Surfferien in Australien, und darüber hinaus sind beide noch immer unversöhnlich ihm gegenüber, obwohl Gitte schon vor Langem verkündet hat, dass sie nicht zusammen Weihnachten feiern werden. So gesehen, weiß er schon eine geraume Zeit, dass sein Weihnachtsabend kein Bilderbuchabend werden wird, nur hat er es bisher versäumt, sich entsprechend zu verhalten. Doch als er in den Mittagsnachrichten die dramatischen Berichte über den gewaltigen Orkan hört, aufgrund dessen die Brücke über den Großen Belt geschlossen ist, sodass die Weihnachtsreisenden auf ihrer jeweiligen Seite des Belts gestrandet in ihren beladenen Autos sitzen und schlimmstenfalls riskieren, nicht rechtzeitig anzukommen, sieht er es ein. Dass er weihnachtslos ist. Er wird allein in der allzu großen Wohnung in der Stockholmsgade sitzen, die zu schmücken er nicht geschafft hat. Nicht einen Tannenzweig gibt es dort, und was den Kühlschrank angeht, so herrscht darin eine ebensolche Leere wie in dem steifen Blick des Vorsitzenden der Venstre-Partei.

      Per Vittrup ist kein Eremit. Er ist ein soziales Wesen, das es in seinem tiefsten Inneren hasst, allein zu sein. Und fast zehn Jahre lang war er im Großen und Ganzen nur dann sich selbst überlassen, wenn er schlief oder auf der Toilette war. Ansonsten sind Leute dafür bezahlt worden, ihn rund um die Uhr zu bewachen. Er hat immer Gesellschaft gehabt, ist immer von jemandem umgeben gewesen, der seinen Kalender geführt und seinen Tag in Stunden und Minuten eingeteilt hat. Selbst den Weihnachtsabend haben sie für ihn geplant. Denn ein Staatsminister hat niemals frei, die mächtigen Männer legen nie ihre Rüstung ab, alles ist der Pflicht untergeordnet. Aufreibend, na schön, aber, Hand aufs Herz, seine Zeit selbst ausfüllen, ihr einen Sinn geben zu müssen, sich für oder gegen etwas zu entscheiden, zu etwas Stellung nehmen zu müssen, das niemand anderer für einen beschlossen hat, wie zum Beispiel ob man den Weihnachtsabend feiern will, ist erheblich anstrengender.

      Resolut greift er zum Telefon. Drückt auf die Null, um eine Leitung zu bekommen, hält inne. Wen soll er anrufen? Seine verwirrte Mutter im Pflegeheim in Videbæk oder seinen Bruder in Struer? Soll er dort anrufen und um Weihnachtsasyl bitten? Ganz abgesehen davon, dass die Wetterverhältnisse offenbar nicht für gewagte Spontanentschlüsse in letzter Minute geschaffen sind, geht das nicht. Was soll er sagen? Wie soll er das erklären? Dass er, der bis vor einem Monat der mächtigste Mann im Land war, angekrochen kommen und demütig an die Tür der Herberge klopfen muss? »Hoch geflogen. Tief gefallen!« Ist es nicht das, was sie denken werden? Schadenfroh oder mitleidig, beides ist gleich schlimm. Nein, das kommt nicht infrage. Und sonst? Altgediente Funktionäre oder Freunde in der Partei anrufen und sich selbst einladen? Wer sollte das sein? Gert, der ihm seit der Wahlnacht aus dem Weg geht? Meyer, die auch nicht sonderlich warme Gefühle für ihn zu hegen scheint? Außerdem ist sie auf der Hütte bei ihrem norwegischen Reeder, dem einzigen Mann, der ihr gewachsen zu sein scheint.

      Er legt den Hörer wieder auf. Sicher, er hat auch Freunde außerhalb der Politik. Gehabt jedenfalls. Aber viele der alten Freundschaften sind nicht gepflegt worden. Wenn er genau darüber nachdenkt, hat er einige der alten Freunde im vergangenen Jahr überhaupt nicht gesehen. Jedenfalls lässt sich der Faden nicht so leicht wieder aufnehmen, dass er sie sechs Stunden vorher anrufen und bitten kann, ihm einen Platz am Weihnachtstisch zu reservieren. Na schön, so ist das eben. Er hat sich nicht rechtzeitig bemüht, das muss er zugeben. Die Konsequenz ist, dass er am Weihnachtsabend allein sein wird, so schlimm ist das nun auch wieder nicht. Er kann


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