Paul Janes und die Fliege am Torpfosten. Michael Bolten
erhöht.36
Nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen Medieninteresses waren DFB und WSV massiver Kritik ausgesetzt. „Die gesamte Medienöffentlichkeit und die übrigen Vereine protestierten lautstark und anhaltend gegen die drastischen Urteile“, fasste Autor Hartmut Hering die damalige Reaktion zusammen.37 Der Druck sorgte dafür, dass das Strafmaß im Jahre 1931 erheblich reduziert und die Sperren aufgehoben wurden. Die Schalker feierten dieses Ergebnis am 1. Juni 1931 mit rund 70.000 Zuschauern in der überfüllten Glückauf-Kampfbahn mit einem Freundschaftsspiel gegen den amtierenden Westdeutschen Meister aus Düsseldorf. Die Blau-Weißen besiegten an jenem Nachmittag die Rot-Weißen mit 1:0. Die Fortunen kratzte diese Niederlage genauso wenig wie die vom 14. Mai 1931, als sie mit 2:3 n.V. gegen die Eintracht aus Frankfurt in der ersten Runde im Kampf um die Deutsche Meisterschaft ausschieden. Sie besaßen schließlich das grün-weiße Meisterband des WSV, und das feierten sie am 6. Juni mit Operettenmelodien, Vorträgen, einer Siegerehrung und einem abschließenden großen Festball.
EIN AMATEUR AUF JOBSUCHE
Wovon lebte der Fußballamateur Janes im Jahre 1931 eigentlich? Die Aussagen hierzu, sogar seine eigenen, gehen auseinander, so dass seine Berufsbiografie lückenhaft bleibt. In seinem 1980 veröffentlichten Fortuna-Buch schrieb Wolfgang Niersbach, dass der Verein seinem neuen Spieler einen sicheren Arbeitsplatz garantierte. Den konkreten Nachweis blieb der inzwischen in Diensten des DFB tätige Niersbach schuldig.38 Laut Autor Ralf J. Schoppe arbeitete Janes nach seinem Wechsel zur Fortuna zunächst in seinem erlernten Beruf als „Maurer, baute seinerzeit das Apollo-Theater mit um, erhielt einen Job bei den Stadt- und Wasserwerken Düsseldorf und wurde später 1934 Angestellter beim Stadtsportamt“.39 Es ist durchaus möglich, dass die Verantwortlichen der Fortuna ihrem jungen Spieler aus Küppersteg einen sicheren Job versprachen. Es ist auch möglich, dass Janes beim Umbau des Apollo-Theaters mitarbeitete, schließlich ließ Anfang der 1930er Jahre die UFA Berlin als neue Eigentümerin umfangreiche Umbaumaßnahmen durchführen.40 Nachweisbar ist das alles jedoch nicht.
Und wie verhielt sich die Situation aus Janes’ eigener Sicht? Zumindest bis zum Februar 1937 ist die Sachlage sehr unübersichtlich, denn in seiner Biografie wird dieses Thema nicht behandelt. Dort wechselte er den Fußballklub und hatte Erfolg – alles andere war unwesentlich. Also müssen andere Quellen herangezogen werden. Anlässlich seiner Bewerbung für einen Posten bei der Stadt Düsseldorf im Jahr 1937 hieß es, dass er bis 1931 als Maurer bei der Firma Munkel in Küppersteg und bis 1933 bei der Firma Granhut in Düsseldorf arbeitete. In seinem handschriftlichen Lebenslauf vom 4. Februar 1937 äußerte er sich zu den Jahren 1930/31 nicht. Er erwähnte allerdings auch mit keiner Silbe, dass er irgendwann einmal arbeitslos gewesen sei. In seinem ersten ausgefüllten Entnazifizierungsbogen aus dem September 1945 gab es ebenfalls keinen Hinweis auf eine Phase als Erwerbsloser. Allerdings waren Janes’ Angaben zur Berufsbiografie in jenem Bogen nachweislich fehlerhaft, so dass sie in dieser Hinsicht mit Vorsicht zu betrachten sind.41 In einem weiteren Dokument, dem Entnazifizierungsbogen im Zusammenhang mit seiner Bewerbung zum Trainerstudium an der Deutschen Sporthochschule in Köln (DSHS) vom 3. Oktober 1947, erwähnte Janes, dass er 1931 und teilweise noch 1932 arbeitslos gewesen sei.42 In seinem in diesem Zusammenhang abgegebenen handschriftlichen Lebenslauf war wiederum von Arbeitslosigkeit keine Rede. Führt man all diese Informationen mit seinen jeweiligen Meldeadressen zusammen – zwischen dem 30. September 1931 und dem 15. Dezember 1933 war Janes nicht in Düsseldorf, sondern erneut in Leverkusen-Küppersteg gemeldet –, so ist davon auszugehen, dass er während dieser Zeit weder in Düsseldorf noch in Leverkusen eine feste Anstellung hatte und zumindest vorübergehend arbeitslos war.
ERSTE REPRÄSENTATIVEINSÄTZE UND AUSLANDSREISEN
Zurück zum sportlichen Werdegang: Nach eigener Aussage wurden Janes’ „spielerisches Können“ und seine Form von Tag zu Tag besser. Er führte dies zurück auf sein „scharfes, intensives und sich immer steigerndes Training“.43 So kam er bereits im Frühjahr 1931 zu seinem ersten Einsatz in der Düsseldorfer Stadtauswahl, und am 26. April machte er sich zur wahrscheinlich ersten Auslandsreise seines Lebens auf. Parallel zum regulären Länderspiel Holland – Deutschland fand an jenem Tag die Partie Luxemburg – Westdeutschland statt. Hierfür wurde laut „FuL“ eine „Verlegenheits-Elf“ aufgestellt, die als Elf der „Namenlosen“ bezeichnet wurde. Den als Läufer eingesetzten Janes dürfte diese Bezeichnung nicht gestört haben. Immerhin besaßen seinerzeit Regionalauswahlen wie „Westdeutschland“ oder „Süddeutschland“ durchaus eine relevante sportliche Bedeutung und spielten zuweilen vor großer Kulisse. Zudem stand eine Stadtrundfahrt durch Luxemburg auf dem Programm, und Prinzgemahl Felix von Luxemburg gehörte bei strömendem Regen zu den Gästen des Spiels. In der „FuL“-Kritik hieß es, dass die westdeutsche Elf taktisch und technisch gut agiert habe, sogar überlegen war, dass sie aber einerseits zu wenige Tore erzielte und andererseits der westdeutsche Torwart nicht seinen besten Tag erwischt hatte, so dass Luxemburg mit 4:3 siegte. Zu Janes’ Leistung gab es nichts zu lesen. Der ebenfalls eingesetzte Kobierski galt als aussichtsreichster Kandidat der Namenlosen für künftige Einsätze in der A-Nationalmannschaft.44
Entspannung im Dampfbad.
Anscheinend hatte Paul Janes diesen Einsatz in Luxemburg verdrängt, denn laut seiner Biografie durfte er erstmals am 31. Mai 1931 die deutschen (B-)Farben vertreten. In Arnheim kam es zur Partie Ostholland – Westdeutschland. Es war die erste Begegnung der beiden Verbände nach dem Ersten Weltkrieg und wurde von den deutschen Sportfunktionären dementsprechend ausgeschlachtet. Der damalige „FuL“-Schriftleiter und spätere DFB-Pressewart Guido von Mengden ließ es sich nicht nehmen, selbst die weihevolle Nachberichterstattung zu übernehmen, was sich unter anderem so las: „Auf den Schlachtfeldern der halben Erde verblutete sich die Jugend des Westdeutschen Spielverbandes, und alles, was an Freundschaften und Wertschätzung jenseits unserer Grenzen aufgekeimt war, wurde zertreten von dem ätzenden Gift der feindlichen Propaganda.“ Mit dieser Begegnung war die Wertschätzung also wiederhergestellt, wenn die Partie selbst auch keinen „Leckerbissen“ darstellte. Paul Janes wurde als Läufer eingesetzt und überzeugte von Mengden beim 3:0-Erfolg der Deutschen: „Janes begann zu ganz großer Form aufzulaufen und spielte nach der Schwierigkeit einen so sauberen Fußball, dass wir bei diesem jungen, ruhigen und doch so fleißigen Spieler noch eine Zukunft prophezeien, sofern er sich wacker dabei hält.“45
Im Rahmen seiner Biografie gab Janes selten Einblick in sein Gefühlsleben. Eine Ausnahme machte er im Zusammenhang mit seinem ersten Auslandseinsatz. Dabei dürfte es aus heutiger Sicht irrelevant sein, um welches der beiden Repräsentativspiele es sich tatsächlich handelte: „Ich vermochte vor diesem Start gegen die Holländer in Arnheim vor Lampenfieber abends nicht einzuschlafen. War aufgeregt wie ein kleines Kind. Man bedenke auch: Zum ersten Male in einer Repräsentativmannschaft gegen einen ausländischen Gegner. Hinzu noch zum ersten Male eine Reise über die Reichsgrenzen.“ Trotz aller Aufregung agierte er nach eigener Aussage „ruhig, überlegt, durchdacht, gegnerverwirrend, mannschaftsdienlich-zweckmäßig“. Er war „ständig in Bewegung, bluffte den Gegner“. „Ich hatte gefallen“, stellte Paul Janes fest.
ERSTE LÄNDERSPIELNOMINIERUNGEN UND ERSTER FRUST
Er gefiel nicht nur sich selbst, nein, Paul Janes machte auch Eindruck auf den Nationaltrainer Otto Nerz. So kam der inzwischen 19-jährige Janes im September 1931 zu seiner ersten Nominierung für die deutsche A-Elf. Als Ersatzmann sollte er die Reise nach Wien zur Partie am 13. September mitmachen. Doch beinahe machten ihm seine besorgten Eltern einen Strich durch die Rechnung, denn „die Mutter war dagegen. Als ich meinen Eltern von dieser ehrenvollen Berufung berichtete, hieß es kategorisch: Du fährst nicht! Kaum zu glauben, aber wahr. Der Grund (bitte, nicht lachen): Man hatte zu Hause Angst, dass mir unterwegs etwas passieren würde.“ Dieses Mal war es in der Tat Fortunas Coach Heinz Körner, dem es gelang, die Eltern umzustimmen. Er musste sich dafür bereit erklären, ihren Jüngsten auf der Fahrt zu begleiten. Diese Zusage dürfte dem gebürtigen Wiener nicht schwergefallen sein.
Gemeinsam mit dem Schalker Ernst Kuzorra ging es an einem Freitagabend mit dem Zug Richtung Österreich. Es war ein Ereignis,