Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Wilhelm Heinrich Wackenroder

Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders - Wilhelm Heinrich Wackenroder


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seien, oder wie später die Künstlergestalten in Eichendorffs Erzählungen um das Priesterliche ihrer heiligen Berufung wissen.

      So sieht es Wackenroder: Ist schon der bloße Genuß des Kunstwerks Gebet und Gottesdienst, zu dem der Mensch in innerer Einkehr und Seelenstille sich rüsten muß, um wieviel mehr ist der dieser Gottessprache Mächtige und mit ihr. Begabte, der Künstler, ein priesterlich Geweihter. Auf das heilige Leben dieser Gottgesegneten kommt es an. Das in den „Herzensergießungen“ so stark hervortretende biographische Element ist keine belanglose oder äußerliche Zutat und auch nicht nur durch die Anekdotenfreudigkeit der Quellen bedingt, sondern ergibt sich notwendig aus der innersten Überzeugung des Verfassers, ist Allerwesentlichstes: diese Lebensläufe sollen beweisen, daß der Künstler auch in seiner äußeren Existenz ein Gesalbter des Herrn ist.

      In diesem Sinne schreibt Wackenroder Künstlergeschichte, nicht mit der naiven Stoff- und Sachfreude der alten Chroniken, aus denen er schöpfte, sondern erfüllt von der sentimentalischen Sehnsucht nach der einfältigen Frömmigkeit einer Kunstauffassung, die er in seiner Gegenwart vergebens suchte. Er erzählt das Leben der alten Maler seinen Quellen nach, deren wichtigste die Vitensammlung des Giorgio Vasari (um 1550) ist und von deutschen Gewährsmännern die „Teutsche Akademie der edlen Bau-, Bild- und Malerei-Künste“ des Joachim von Sandrart (1675). Ihnen entnimmt er seinen Stoff, oft wörtlich nacherzählend, häufiger frei bearbeitend. Ein Vergleich mit den Quellen lehrt, daß der Romantiker eben da erweitert und verändert, wo es um die psychologische Vertiefung und das neue Künstlerideal geht, das den alten Berichten notwendig fehlen mußte.

      Die mystische Stille der Seele ist die erste und unerläßliche Voraussetzung nicht nur für das Nacherleben und den Genuß des Kunstwerks, sondern auch für seine Empfängnis im Herzen des Schöpfers. Nicht im Sturmwinde, sondern im sanften Säuseln erscheint der Gott. Das ruhelos brausende Leben des Piero di Cosimo, das Wackenroder dem Vasari nacherzählt, ist nicht gottgesegnet: „seine Seele erfreut sich nie, still auf einem Gedanken oder einem Bilde zu ruhen“, und niemals vermochte er, „sich in einfacher und heiterer Schönheit zu spiegeln“. Er kann für Wackenroder kein „wahrhaft echter Künstlergeist“ sein. So wie die Unio mystica sich nur in der. Stille des einsamen Seelengrundes vollzieht, muß auch die Seele des Künstlers ein reiner Spiegel sein. „In dem tobenden und schäumenden Meere spiegelt sich der Himmel nicht; — der klare Fluß ist es, worin Bäume und Felsen und die ziehenden Wolken und alle Gestirne des Firmaments sich wohlgefällig beschauen.“

      Mit diesem Ideal der in sich ruhenden, spiegelreinen Stille der Künstlerseele steht Wackenroder in einer geistesgeschichtlichen Überlieferung, die in der deutschen Romantik ihren stärksten Ausdruck fand: bei Novalis und Friedrich Schlegel, bei E. T. A. Hoffmann und Eichendorff und am schönsten vielleicht in Jean Paul Friedrich Richters „Vorschule der Aesthetik“, ja weiter im 19. Jahrhundert bei Eduard Mörike, bei Adalbert Stifter und noch bei Gottfried Keller. Wackenroder gibt diesem romantischen Geniebegriff den Sonderakzent einer nazarenisch-frommen Einfalt und ursprünglichen Kindlichkeit, den er aus den reinen Tiefen der eigenen Seele schöpfte. Wenn Goethe einmal zu Riemer sagt, die Menschen seien nur so lange produktiv in Poesie und Kunst, als sie noch religiös seien, — dann würden sie bloß nachahmend und wiederholend, so spricht dies tiefe Wort Wackenrodets innerste Überzeugung aus: nur in der schlichten Frömmigkeit der alten Zeiten, als Religion, Kunst und Leben noch ungeteilt eins waren, entsteht wahre Kunst.

      So stilisieren die „Herzensergießungen“ Leben und Werk der alten Maler; sie geben nicht geschichtliche Wirklichkeit im wissenschaftlichen Sinne, sondern Ideal und frommes Wunschbild, eine sentimentalisch-sehnsüchtige Utopie, projiziert in die romantische Ferne vergangener Jahrhunderte. Am bezeichnendsten sind dafür die Anekdoten der „Malerchronik“, die fast alle von der unbegreiflich hohen Würde der Kunst und von der demütigen Frömmigkeit ihrer Träger berichten: so wenig historische Wahrheit wie Winckelmanns Antikenbild oder Klopstocks Vorstellung von germanischer Frühe, aber wie diese eine große Fiktion, von befruchtender Wirkung auf den Geist der romantischen Kunst.

      Wackenroders Wahl seiner Gegenstände ist durch diese Haltung bestimmt. Seine Welt sind die italienischen Maler der Renaissance, vor allem der Hochrenaissance: Michelangelo, Lionardo und Raffael, ihre Zeitgenossen Piero di Cosimo, Francesco Francia, Albertinelli, spätere wie Carracci, Domenichino und sogar schon der von E. T. A. Hoffmann so geliebte Franzose Jacques Callot. Daneben werden ältere Künstler, Giotto und Fra Angelico da Fiesole, nur flüchtig erwähnt, und von altdeutschen Gestalten erscheint nur Albrecht Dürer.

      Dies ist Wackenroders enges Pantheon, verklärt von jener romantischen Sehnsucht zur Frühe, von der wir sprachen, zurück in ein erträumtes goldenes Zeitalter des ersten Anfangs und Neubeginns, einer ersten, paradiesesnahen Ursprünglichkeit und frommen Einfalt des Lebens. Vor allem ist. es der „göttliche Raffael“, dessen Name mit einer religiösen Weihe und ehrfürchtigen Scheu immer wieder genannt wird, zum erstenmal mit diesem Nachdruck. Wohl hatte schon das 18. Jahrhundert den Meister anerkannt und namentlich die technische Vollendung seiner Gemälde bewundert, und tiefer schürfend preist Winckelmanns Erstlingsschrift über die Nachahmung der griechischen Werke von 1755 die selig ruhende göttliche Stille im Antlitz der eben für Dresden gewonnenen Sixtina. Aber so feierlichen Klang gewinnt Raffaels Name erst jetzt als Inbegriff des romantischen Künstlerideals. Bei Wackenroder beginnt seine Stilisierung in das Nazarenisch-Fromme und Einfältige hinein, das sich in der Spätromantik steigert und in J. D. Passavants großer Lebensbeschreibung (1839 ff.) einen späten Höhepunkt findet.

      In dieser Verherrlichung der italienischen Malerei lebt neben dem Drang zur Frühe als zweites romantisches Herzthema das Südweh des Zeitalters, die Italiensehnsucht aus nordischer Dunkelheit heraus, für die Goethes Hégire nach Rom das größte Beispiel bildet. Auch Wakkenroder hat dieses Fieber gekannt, wenngleich es ihn nicht mit der verzehrenden Stärke packte wie andere Romantiker. Er plante in der Göttinger Zeit eine Italienfahrt zu dritt mit Tieck und dessen Freund Burgsdorff, eine Flucht in den Süden wie Eichendorffs Helden und alle die romantischen Maler: er selbst wollte als Musiker, Tieck als Dichter in Rom leben. Es ist vielleicht kein bloßer Zufall, daß sich der Plan zerschlug und wohl Tieck in späteren Jahren, aber nie Wackenroder den Weg in den italienischen Hörselberg fand. Bezeichnend, daß diejenigen Beiträge in den „Herzensergießungen“, die diesen Gedanken aussprechen („Sehnsucht nach Italien“ und „Brief eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg“), nicht von ihm, sondern von Tieck verfaßt sind; und Tieck ist es auch, dessen Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“ das Thema des nach Rom pilgernden altdeutschen Malerjünglings dichterisch gestaltet.

      Wackenroder ist der Südverzauberung nicht erlegen wie so manche Künstler seiner Zeit. Er hat sich wie Philipp Otto Runge oder Caspar David Friedrich auch hier seine Selbständigkeit bewahrt. Ihm scheint es gut, daß sein Albrecht Dürer nicht den Weg nach Rom und zu Raffael gefunden hat: „Er würde nicht er selber geblieben sein; sein Blut war kein italienisches Blut.“

      So steht in den „Herzehsergießungen“ neben den Malern der italienischen Renaissance die altdeutsche Kunst, neben dem göttlichen Raffael die symbolhafte Gestalt Albrecht Dürers als Inbegriff deutschen Wesens. Auch Wackenroders Dürerverehrung nimmt ein Thema auf, das nach und neben der Verkennung durch den Rationalismus des 18. Jahrhunderts die Sturm- und Drang-Zeit ein Menschenalter vorher zuerst angeschlagen hatte. Was aber in den Briefen und Äußerungen des jungen Goethe etwa oder in einem noch vorsichtig verteidigenden Aufsatz seines Darmstädter Freundes Merck nur zögernd anklingt, das ist in den Bekenntnissen des Klosterbruders voll entwickelt: jener Ton begeisterter Verehrung, der von da an in dem Dürerbild der deutschen Romantik nicht mehr verklingt.

      Zwar ist es durchaus nicht so, als solle nun die altdeutsche Kunst die italienische verdrängen oder auch nur höher gewertet werden als jene. Nur ein einziger Aufsatz ist in der Erstausgabe der „Herzensergießungen“ dem Nürnberger Meister gewidmet (erst später kommt die „Schilderung, wie die alten deutschen Künstler gelebt haben“ hinzu). Und eben in diesem vielberufenen „Ehrengedächtnis“ tritt der altdeutsche Maler zwar völlig gleichberechtigt neben den großen Italiener, aber jede Übersteigerung oder Verabsolutierung liegt dem Frühromantiker fern. Dürer steht neben Raffael, nicht an seiner Stelle, und in dem Traumgesicht, das den Aufsatz beschließt,


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