Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou

Deutschland und die Migration - Maria Alexopoulou


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ihren Lehrer wie folgt:

      Der […] hat mich dauernd getriezt. Der hat nur: ›Du kleiner Pollack! Du Zwerg! […] also so ungefähr, daß ich ›degeneriert‹ wär. Den Ausdruck kannte ich damals nicht. Aber ich habe kapiert, was er damals meinte. Ich war eine minderwertige Rasse.3

      Zur gleichen Zeit wurden die masurischen Ruhrpolen Ernst Kuzorra und Fritz Szepan deutsche Fußballidole und der in den Anfängen als »Polacken- und Proletenverein« geltende FC Schalke 04 zum Inbegriff des Reviers. Szepan und Kuzorra traten als Masuren, die als ›deutschstämmig‹ galten, später sogar der NSDAP bei, während politisch oder kulturpolitisch aktive »polnische« Ruhrpolen im »Dritten Reich« verhaftet, interniert und vielfach ermordet wurden. Dank ihrer jahrzehntelangen Anwesenheit war diese Einwanderer*innengruppe, die freilich recht heterogen war und sich im Laufe ihrer Existenz auch stetig transformierte, schon längst zu einem integralen Bestandteil des Ruhrgebiets geworden. Gleichwohl schützte sie das, solange sie noch als Pol*innen erkennbar blieben, weder vor Diskriminierungen noch vor Verfolgung.

      Die polnischen Jüdinnen und Juden, von denen 1925 etwa 90 000 in Deutschland lebten, bildeten gewissermaßen eine Randgruppe in der polnischen Einwanderer*innen-Gemeinde. Erst während des Ersten Weltkrieges wurden sie unter der Bezeichnung »Ostjude« zum Inbegriff des Ausländers. Dass man besonderes Augenmerk auf diese Gruppe legte, hatte viele Ursachen: die deutsche Besatzung Polens im Krieg, den massenhaften Einsatz von osteuropäischen Jüdinnen und Juden als Zwangsarbeiter*innen während dieser Zeit und die Tatsache, dass viele sozialistische Revolutionär*innen in Deutschland wie Rosa Luxemburg als »Ostjüdinnen« dargestellt wurden.4 Die meisten osteuropäischen Juden und Jüdinnen hielten sich als unerwünschte Flüchtlinge oder Einwanderer*innen auf einer »gestoppten Durchwanderung« in Berlin auf und trugen dort zum modernen, transkulturellen Flair der Stadt bei, das bis heute als Atmosphäre der »Goldenen Zwanziger« bisweilen überhöht wird.5

      Unter dem Deckmantel der Feindschaft gegen »Ostjuden« ließ sich auch der gegen deutsche Jüdinnen und Juden gerichtete Antisemitismus gut verbergen. Die Frühphase der Weimarer Republik hatte »eine Verstärkung des Antisemitismus in nicht gekanntem Ausmaß« gebracht, der letztlich alle Jüdinnen und Juden traf.6 Das Ende der Weimarer Republik war dann vollends von Hass und Ausgrenzung geprägt.

      Gerade Jüdinnen und Juden hatten nur noch sehr geringe Chancen, sich naturalisieren zu lassen. In Mannheim wurden zwar noch Menschen jüdischer Religion eingebürgert, doch der überwiegende Teil der Anträge wurde abgelehnt. Eingebürgert wurden in jenen Jahren in Mannheim wie im gesamten Reich neben den ›Deutschstämmigen‹ aus der alten Habsburgermonarchie ohnehin zumeist nur »Volksdeutsche«, selbst wenn deren Einwanderung nicht gern gesehen war. Angesichts der ökonomischen und wirtschaftlichen Verwerfungen nach den Verlusten des Krieges stellte die soziale Integration größerer Einwanderer*innengruppen eine Herausforderung dar.

      Schwerer wog allerdings, dass die Abwanderung der »Volksdeutschen« aus dem Osten und Südosten der deutschen Außenpolitik ein Druckmittel nahm. Ihre Anwesenheit vor Ort war notwendig, um den Forderungen nach einer Revision des Versailler Vertrags, insbesondere nach der Rückgabe ehemals zum Kaiserreich gehörender Gebiete im Osten, Gewicht zu verleihen. Statt der Einwanderung wurde eine »Deutschtumspolitik« gefördert, die den Minderheitenschutz sichern und damit die eigenen Ansprüche auf das Territorium lebendig halten sollte. Anders als im »Dritten Reich« formulierte man während der Weimarer Republik keine »Heim-ins-Reich«-Politik; Deutschland holte erst unter den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg den Raum und die »Volksdeutschen« heim, während man die Anderen vertrieb oder genozidal ermordete.

      Dennoch hatten jene »Volksdeutschen« und ›Deutschstämmigen‹, die nach dem Ersten Weltkrieg ins Reich migrierten, Anspruch darauf, als deutsche Staatsbürger*innen anerkannt zu werden. Die Einbürgerungspraxis richtete sich somit hauptsächlich auf sie aus. Im Zuge dessen wurden in den entsprechenden Institutionen – den Innenministerien und den lokalen Polizeibehörden, die die Einbürgerungen bearbeiteten – auch immer konkretere Wissensbestände über das »Deutsche« sowie über den vermeintlichen Wert anderer Herkünfte produziert. Die ›Deutschstämmigkeit‹ und »Volkszugehörigkeit« wurden immer mehr zur Folie, vor der auch Anträge anderer Staatsangehöriger betrachtet wurden, wobei sich deren Chancen auf eine Einbürgerung stetig verschlechterten. Was man unter einem Deutschen zunehmend verstand, fasst eine Verordnung des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt 1927 treffend zusammen:

      Unter dem Wort ›deutschstämmig‹ sind Personen deutscher Nationalität und deutschen Geblüts [sic], also Personen, die politisch dem deutschen Reich und stammesmäßig dem deutschen Volkstum zugehören, zu verstehen.7

      Es war also nicht einfach damit getan, von einem Vater (eine deutsche Mutter genügte ohnehin nicht) abzustammen, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, sondern er musste die vermeintlich biologische Eigenschaft »Deutschsein« in seinem Blut haben, das »stammesmäßig« dem deutschen Volk entsprang. Diese völkisch-biologistischen Wissensbestände gewannen einen immer stärkeren Einfluss innerhalb der Behörden und Institutionen, die sich mit der Thematik befassten. Aber auch im ›Volk‹ selbst verbreiteten sie sich.

      Wie ein Brandbeschleuniger für vollends ideologisierte und radikale Rassist*innen wirkte die Existenz der »Rheinlandbastarde« als extremes Gegenteil zu diesem »Deutschsein«. So wurden jene Kinder genannt, die während der Besatzung des Rheinlandes durch französische Kolonialtruppen gezeugt worden waren, bei Vergewaltigungen oder auch Liebesaffären von nord- bzw. westafrikanischen Soldaten und deutschen Frauen – eine »Schmach«, die Frankreich dem »Erbfeind« Deutschland nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg antat. Das Geschehen, das Karikaturen über Affenmenschen in französischen Uniformen auch visuell zu einem Akt der höchsten Bestialität stilisierten, empörte jahrelang die deutsche Politik und Öffentlichkeit zutiefst.

      Adolf Hitler stellte in Mein Kampf (1925/26) anhand der Ereignisse um diese »Negerhorden« eine phantasmagorische Verbindung zwischen kolonialem Rassismus und Antisemitismus her: Die Juden, die Frankreich in Wahrheit regierten, hätten diese Bastardisierung der Deutschen als bewusste Strategie eingesetzt, um die weiße Rasse zu zerstören.8 Diese Kinder Schwarzer Väter und weißer Mütter sollten später unter seiner Herrschaft zwangssterilisiert werden. Sie gefährdeten neben den jüdischen Deutschen, den Sinti und Roma sowie den »Fremdvölkischen« ebenso wie Homosexuelle, psychisch Kranke, Menschen mit einer angeborenen Beeinträchtigung sowie politisch und sozial Unangepasste die deutsche »Volksgemeinschaft«.

      Bereits bei Kriegsausbruch hatte Kaiser Wilhelm im August 1913 das Ideal der »Volksgemeinschaft« beschworen. Lang und breit waren zuvor die Konzepte, die der Soziologe Ferdinand Tönnies in seinem Grundlagenwerk Gemeinschaft und Gesellschaft 1887 ausdifferenziert hatte, in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit besprochen und gegenübergestellt worden: Tönnies unterschied die individualistische, utilitaristische, westliche »Gesellschaft« von der authentischen, organischen, emotional verbundenen »Gemeinschaft«. Nach dem Krieg führten dann alle Parteien außer der radikalen Linken und den Kommunisten das Wort »Volksgemeinschaft« im Mund. Schließlich wurde dieses Konzept zur Modelliermasse für Radikalnationale, Völkische und militante Rassisten. Gemeinsam kreierten sie ein schier undurchdringliches Gemenge an Theoremen und Ideologemen, mittels derer sie alle Menschen taxierten und in rassische bzw. Volks-Hierarchien kategorisierten. Der Traum einer von »fremdvölkischen« und »-rassischen« sowie »artfremden« und »entarteten« Elementen befreiten deutschen »Volksgemeinschaft« schälte sich dabei als Utopie heraus, die die Nationalsozialistische Partei Deutschlands nach dem Willen einer Mehrheit des deutschen Wahlvolkes ab 1933 verwirklichen wollte.9

      Ausländer im »Dritten Reich«

      Am 14. Januar 1943 titelte der Hakenkreuzbanner für Mannheim und Nordbaden: »Gauleiter Sauckel über die Arbeitsschlacht. ›Die europäische Arbeitskameradschaft ist erreicht‹. Das erfolgreiche ›Wagnis‹ des Ausländereinsatzes.« Der Artikel beschrieb, »wie kühn der Entschluß des Führers« gewesen sei, »Europa in die innere Front einzusetzen«. Die »Millionen Sowjetrussen«, diese »russischen Menschen«, die zwanzig Jahre lang »auf die Vernichtung der europäischen Zivilisation dressiert worden waren«, würden jetzt


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