Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou

Deutschland und die Migration - Maria Alexopoulou


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deren Arbeitseinsatz unterstanden dem internationalen Völkerrecht. Die Deportation von belgischen Arbeiter*innen aus den besetzten Gebieten löste dagegen internationale Proteste aus und wurde im Versailler Friedensvertrag auch entsprechend sanktioniert.

      Was die polnisch-russischen Arbeiter*innen erdulden mussten, wurde hingegen weder während des Krieges noch danach skandalisiert oder in irgendeiner Weise entschädigt. Russisch-polnische Arbeiter*innen, die bereits in Deutschland erwerbstätig waren, wurden bei Ausbruch des Krieges an der Rückkehr gehindert; andere wurden später teils mit brutaler Gewalt von der deutschen Besatzung zwangsrekrutiert. Manche waren auch freiwillig gekommen – wobei die Forschung rückblickend keine klare Grenze zwischen Zwang und Freiwilligkeit ziehen kann.

      Einer der Gründe, warum die Behandlung dieser Zwangsarbeiter*innen, unter denen auch zahlreiche jüdische Pol*innen waren, kaum von den Zeitgenoss*innen kritisiert wurde, war wohl, dass die Diskriminierung dieser Herkunftsgruppe bereits vorher existiert hatte und nun lediglich verschärft wurde. Polnisch-russische Arbeitskräfte unterlagen erneut einem restriktiven Sonderrecht, das ihre teilweise Internierung, die Zuteilung einer Arbeitsstelle und das Verbot, diese, den Wohnort oder gar die eigene Behausung etwa zum Kirchgang ohne polizeiliche Genehmigung zu verlassen, umfasste. Ihr Leben war derart unfrei, dass sie auch ihrem Umfeld klar als Zwangsarbeiter*innen erkennbar gewesen sein müssen. International war diese Art, Zwangsarbeit unter Kriegsbedingungen durchzusetzen, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt neu und einmalig.2

      Dieses Kapitel von Zwangsarbeitsmigration ist noch nicht vollständig durchleuchtet und insbesondere der breiteren Bevölkerung heute wenig bekannt. Ebenso ist in der Forschung die Frage noch nicht klar beantwortet, inwiefern diese erste Erfahrung mit Zwangsarbeit in einem Weltkrieg die Nationalsozialisten inspirierte, ob es also direkte Kontinuitätslinien gab. Auch ist noch nicht geklärt, inwiefern die vorherigen Erfahrungen mit Zwangsarbeitslagern in den Kolonien für beide Fälle als Vorbild dienten.

      Die deutsche »Volksgemeinschaft« formiert sich – Die Weimarer Republik

      Dem Wegfall großer Gebiete des ehemaligen Kaiserreichs nach dem Ersten Weltkrieg folgten große Migrationsbewegungen, die die Nachkriegszeit und die Anfänge der Weimarer Republik stark mitprägten.1 Unter den Neuankömmlingen waren die sogenannten »Grenzlandvertriebenen«, also Reichsbürger*innen, die aus Elsass-Lothringen ins Rheinland und nach Baden kamen, sowie preußische Staatsbürger*innen, die aus den Ostgebieten ins nun geschrumpfte Preußen einwanderten.

      Hinzu kamen weitere ›Deutschstämmige‹ aus dem ehemaligen Habsburgerreich oder deutsche Kolonist*innen aus polnischen und russischen Gebieten. Letztere, die »Russlanddeutschen«, waren schon Jahre zuvor als mögliche Rücksiedler ins Visier der Politik gerückt. Man hatte erwogen, sie an den östlichsten Grenzen des Reichs anzusiedeln, um die auslandspolnischen Arbeitsmigrant*innen in der Landwirtschaft zu ersetzen, wie es auch Max Weber empfohlen hatte.

      Für die Russlanddeutschen sowie all jene ›Deutschstämmigen‹, die nach der Neuordnung Europas automatisch oder auf Wunsch Staatsbürger*innen anderer Staaten wurden, kam in jener Zeit der Begriff des »Volksdeutschen fremder Staatsangehörigkeit« auf. Mit dem »Volksdeutschen« betrat eine wirkmächtige Figur die migrationshistorische Bühne, die noch bis in die 1990er Jahre bedeutsam bleiben sollte.

      Neben etwa einer Million Einwanderer*innen, die als deutsch galten, hielten sich zahllose Migrant*innen oder Transmigrant*innen damals in Deutschland länger oder auch nur kurzzeitig auf. Das waren ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen, Menschen, die nach der Russischen Revolution 1917 ins Exil gegangen waren, und zahlreiche osteuropäische Jüdinnen und Juden, die vor Pogromen in ihren Heimatorten flohen. Zudem kamen weiterhin Arbeitsmigrant*innen aus dem Osten und dem Süden Europas nach Deutschland, auch wenn ihre Zahl die Viertelmillion wegen der Nachkriegswirren und der späteren Weltwirtschaftskrise nie überschritt und sie größtenteils nur in der Landwirtschaft tätig waren.

      1927 wurde dennoch das erste Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und dem neuen polnischen Staat geschlossen, das die saisonale Arbeitswanderung aus Polen regelte. Bilaterale Anwerbeabkommen lagen ganz im Trend der Zeit, zumal in Europa unter der Federführung Frankreichs seit 1919 zahlreiche derartige Abkommen geschlossen wurden und Institutionen wie die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, entstanden.

      In Deutschland traten parallel dazu die nunmehr erstarkten Gewerkschaften auf den Plan und setzten mit dem »Inländervorrang« ein Arbeitsmarktinstrument durch, das das Arbeitsmigrationsregime bis in die Gegenwart hinein prägt: Zwar sicherte es den ausländischen Arbeitsmigrant*innen eine tarif- und arbeitsrechtliche Gleichstellung, die ihnen selbst zugutekam, doch primär sollte es die deutschen Arbeiter*innen vor billigerer Konkurrenz schützen. Deutsche hatten als Bewerber*innen stets Vorrang, und eine Stelle konnte erst dann mit einem Ausländer besetzt werden, wenn keine Deutschen dafür zur Verfügung standen.

      1922 übernahm das Reichsarbeitsministerium die Steuerung der Arbeitsmigration, und seitdem wurde die Ausländerpolitik noch effizienter an der konjunkturellen Lage der Volkswirtschaft ausgerichtet. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse wurden an den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen oder den aktuellen politischen Vorgaben orientiert und grundsätzlich nur für ein Jahr erteilt, vor Ort oblag den Polizeibehörden die Umsetzung und Überwachung der Vorgaben. Die Arbeitsmigrant*innen wurden somit zu einer berechenbaren ökonomischen Größe, die je nach Interessenlage gezielt eingesetzt und deren Anzahl nach Belieben vergrößert oder verkleinert werden konnte, eine Variable in einem Verwertungskalkül, das ganz auf die Bedarfe der deutschen Volkswirtschaft und des deutschen Arbeitsmarktes samt ›seiner‹ Arbeiterschaft – die auch die deutsche Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie am meisten interessierte – ausgerichtet werden konnte. Die Verzahnung von prekärem Aufenthaltsrecht mit nur auf den ersten Blick egalitäreren arbeitsrechtlichen Bestimmungen schrieb die Rolle von Arbeitsmigrant*innen institutionell fest: eine stets verfügbare, zweitklassige Arbeiter*innenschicht.

      Während der Weimarer Republik ermöglichten diese Steuerungsinstrumente dem Reichsarbeitsministerium, die Beschäftigung bestimmter Ausländergruppen aus »wirtschaftlichen, kulturellen und bevölkerungspolitischen Gründen« abzubauen. Beispielsweise wurden feste Kontingente für Landwirtschaftsarbeiter*innen aus Polen – ca. 100 000 pro Jahr – auch gegen die Wünsche einiger Bundesländer und des Reichsernährungsministeriums eingeführt. Der Plan, der teilweise verwirklicht wurde, war, sie mit ›deutschstämmigen‹ Landarbeiter*innen (auch solchen, die nur saisonal aus dem Ausland kamen) zu ersetzen und, so der zuständige Abteilungsleiter im Reichsarbeitsministerium im Jahr 1928, »die gesamte Öffentlichkeit dahin« zu erziehen, »die Beschäftigung von Ausländern in solch hoher Zahl als etwas Unerträgliches zu betrachten«.2 Im Zuge der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren schloss sich der Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitsmigrant*innen ohnehin weitgehend. Damals lebten in Deutschland verstreut nur noch einige tausend ausländische Facharbeiter*innen, die schon länger dort ansässig gewesen waren, meist Österreicher*innen oder Niederländer*innen sowie kleinere Kolonien von Italiener*innen.

      Es gab freilich auch noch die alte polnisch-deutsche Gemeinde. Nach dem Krieg war allerdings ein beträchtlicher Teil der Ruhrpolen in den neuen Staat Polen migriert, woraufhin auch die nationalpolnischen Aktivitäten zurückgegangen waren. Andere hatten während des Ersten Weltkrieges, in dem sie als »feindliche Ausländer« gegolten hatten, schlechte Erfahrungen gemacht und waren dann nach Frankreich ausgewandert. Diejenigen, die blieben, standen zwar in den nächsten Jahren nicht mehr so stark im Fokus der Behörden. Dass sie als Gruppe aber weiterhin diskriminiert wurden, legen beispielsweise die Berichte ruhrpolnischer Schulkinder aus jener Zeit nahe.

      Die Eltern hätten ihre Kinder trotz guter Leistungen nicht aufs Gymnasium geschickt, da sie sie nicht den Schikanen und dem Hass der Mitschüler*innen und der Lehrkräfte aussetzen wollten. Der Grad der Diskriminierung sei mit dem Grad des schulischen Aufstiegs gewachsen, berichteten Zeitzeug*innen in lebensgeschichtlichen Interviews Ende der 1980er Jahre. Aber auch auf der Volksschule erlebten die Kinder, die oft nur noch am Namen als polnischstämmig zu erkennen waren, Ungleichbehandlung und systematische Herabwürdigungen.

      So erzählte eine Frau, im Unterricht sei gelehrt worden, dass die Polen minderwertig und die Deutschen überlegen


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