Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou
Betrieben, die es ermögliche, »zu einer freiwilligen Arbeitsleistung der ausländischen Arbeiter zu gelangen, ohne daß strenge Kontrolle und Überwachung erforderlich« seien. Deutsche und Ausländer arbeiteten in »kameradschaftlicher Weise« nebeneinander. Die deutschen Arbeiter seien dabei für die Ausländer das Vorbild. Die Anwerbung erfolge nicht durch Privatunternehmen, sondern durch
Beamte des Reiches, denen die Parteiorganisationen zur verantwortlichen Betreuung der Angeworbenen helfend zur Seite stehen. »Nationalsozialistische Grundsätze, das heißt menschliche Grundsätze, sind herrschend«.
Während der deutsche Soldat mit den Verbündeten »an den Fronten der europäischen Kampfgemeinschaft« agiere, »steht in der deutschen Heimat die Front der europäischen Arbeitskameradschaft und verwirklicht hier schon praktisch das Europa«.1
Angesichts der Tatsache, dass Fritz Sauckels Wirken als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz seit 1942 darin bestand, die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften zentral zu organisieren, und in Anbetracht der unvorstellbaren Grausamkeiten der Zwangsarbeit wirkt dieser Artikel wie reiner Hohn. Denn der überwiegende Teil aller Arbeitsmigrant*innen wurde zwangsrekrutiert, auch weil die Zahl derjenigen, die vor allem im Westen und Süden, aber auch im Osten Europas angeworben worden waren und die ab und an als ›Gastarbeiter‹ tituliert wurden, relativ niedrig blieb. Die polnischen Arbeiter*innen waren dagegen schon seit dem Beginn des Krieges 1939 durchgängig Zwangsarbeiter*innen.
Neben der Verklärung einer »europäischen Arbeitskameradschaft« mag an diesem Zeitungsbericht überraschen, dass er sich ebenso wie zahllose weitere positive – und völlig unwahre – Beschreibungen der Situation für ausländische Arbeiter*innen in Deutschland mit seiner Propaganda primär an die deutsche Bevölkerung richtete. Denn diese war, das wusste der Innennachrichtendienst des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, gegenüber den ausländischen Arbeiter*innen äußerst feindselig eingestellt. Das NS-Regime war also paradoxerweise gezwungen, die »Fremdvölkischen« vor den »Volksgenossen« zumindest im medialen Diskurs in Schutz zu nehmen.
Nicht, dass man nicht selbst genug an ihnen auszusetzen hatte – selbst an den »volkstumsmäßig für das Deutschtum wichtigen Arbeitskräften [orig. kursiv]«.2 Die Arbeitsmoral und die Arbeitsdisziplin sowohl der Arbeiter »germanischer Volksstämme (Holländer, Dänen, Norweger, Flamen)« als auch der Arbeiter »nicht-germanischer Herkunft (Italiener, Serben usw.)« biete »das gleiche unerfreuliche Bild«, hieß es noch am 20. Oktober 1941 in einem Bericht des SD. Damals wurden noch relativ wenige Arbeiter*innen aus Polen und Russland, die als »slawische Untermenschen« fast ganz unten in der Hierarchie der Herkünfte standen, innerhalb des Reichs eingesetzt. Die Defizite bei der Arbeit der Ausländer*innen sah man schon darin, dass ihnen ein »Begriff der Ethik der Arbeit« und die »Verantwortungsfreudigkeit« fehle. Außerdem würden sie die Maschinen unverhältnismäßig stark verschleißen, hätten zu hohe Ansprüche und schreckten auch nicht vor Streiks zurück.
Als großes Problem wurden dabei die Proteste der Italiener gegen das Essen wahrgenommen. Aus Leipzig wurde berichtet, dass sie »sehr anspruchsvoll« und »in dieser Beziehung hemmungslos« seien. Beispielsweise hätten sie »nachweislich gute Wurst zum Fenster hinausgeworfen«. In Oppeln sollen sie »Schwarzbrot auf die Erde geworfen haben, mit der Bemerkung, sie seien keine Schweine«. In München hätten sie in Bäckereien Marken und Weißbrot gewaltsam an sich genommen, und in einer Gastwirtschaft in Mannheim, in der sie als Arbeiter der Firma Lanz verpflegt wurden, sollen sie »beim Auftragen eines recht guten Abendessens, bestehend aus neuen Kartoffeln, Sauerkraut und Wurst, derart randaliert« haben, dass die Polizei gerufen werden musste.3
Oftmals umgingen die anfangs noch angeworbenen Arbeiter*innen, die in den ersten Jahren oft mit unrealistischen Versprechungen nach Deutschland gelockt worden waren, durch Krankmeldungen die Arbeit oder verließen ihre Arbeitsstelle einfach.4 Beim SD kam man jedenfalls früh zu dem Schluss, dass die ausländischen Arbeitskräfte in geschlossenen Lagern kaserniert und stärker kontrollieren werden müssten. Zudem müssten »bei ungebührlichem Verhalten« strengere Strafen erfolgen.5 Auch dabei standen zunächst junge italienische Männer im Fokus.
Italiener*innen wurden angeworben, seit 1938 das erste bilaterale Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und dem befreundeten faschistischen Italien geschlossen worden war. 1942 waren etwa eine halbe Million Arbeiter*innen vermittelt.6 Kleinere italienische Gemeinden gab es ohnehin schon. So titelte die Neue Mannheimer Zeitung im Januar 1938: »Faschistische Weihnachten in Mannheim«. Die Feier, bei der 200 italienische Familien anwesend gewesen sein sollen, fand bereits im dritten Jahr in Folge in der Casa d’Italia statt, »dem Haus der hiesigen faschistischen Kolonie«. Der Vertreter der Kreisleitung der faschistischen Auslandsorganisation Spinieli bezeichnete Letzteres als ein »Stück Vaterland, wo man die Sprache der Heimat und der Väter wieder hören könne«.7 Nachdem Italien die Achsenmächte 1943 verlassen hatte, wurden aus den Arbeiter*innen der befreundeten Nation allerdings Zwangsarbeiter*innen, an deren Seite deutschlandweit auch ca. 600 000 italienische Kriegsgefangene schuften mussten.8
Der vermehrte Einsatz »ausländischer Arbeitskräfte« erregte insgesamt »lebhafte Mißstimmung« und »[h]eftigsten Unwillen« in der deutschen Bevölkerung, sogar von »Arbeitsunlust« bei der deutschen Arbeiterschaft war in einer »Meldung aus dem Reich« vom Mai 1942 die Rede. Man störte sich nicht nur am »freche[n] und anmaßende[n] Benehmen« der Ausländer, auch das »unsaubere, ungepflegte und teilweise verwahrloste Äußere« der Arbeiter*innen wurde moniert. Man fühlte sich in der eigenen »Bewegungsfreiheit beeinträchtigt«, da man mit ihnen auf der »Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Lichtspieltheatern, Läden usw.« konfrontiert werde. Zudem würden vor allem die Italiener die deutschen Frauen wie »Freiwild« behandeln. Der häufig festgestellte Geschlechtsverkehr zwischen polnischen Kriegsgefangenen oder »Zivilarbeitern« – so der Terminus für die meist zwangsweise Angeworbenen – und deutschen Frauen wurde inzwischen mit der Todesstrafe geahndet, nachdem für die Arbeiter*innen aus Polen und später auch für jene aus der Sowjetunion jeweils ein Sonderrecht erlassen worden war. Jene Maßnahmen wurden von der »volksbewußten deutschen Bevölkerung freudig und mit Genugtuung begrüßt«; Letztere forderte allerdings, dass auch die beteiligten Frauen bestraft werden sollten.
Die »Volksgenossen« störte auch, dass sie nun gezwungen seien, mit »unsauberen Elementen« in Wartezimmern bei Ärzten sitzen zu müssen, was ja eine »Gefahr für den Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung« darstelle. In Graz habe gar eine deutsche Frau auf dem Korridor des Krankenhauses ihr Kind gebären müssen, da »die Anstalt von Fremdvölkischen überfüllt war [orig. kursiv]«. Ebenso große Empörung löste das Gerücht aus, dass die ausländischen Arbeiter eine bessere Lebensmittelversorgung genossen. Die Ausländer würden außerdem vor den Deutschen prahlen, dass man auf ihre Arbeit angewiesen sei, und dafür nicht nur Dankbarkeit fordern, sondern auch glauben, im Gegenzug straffrei alles tun und lassen zu können, was sie wollten. Gerade derartiges Verhalten verursache eine ungute »Stimmungsbeeinträchtigung« des deutschen Arbeiters, der dadurch seine Leistungsfähigkeit verliere.9 Auf den Straßen wurden »West- und Ostarbeiter« derweil als »schmutzige Ausländer« oder »Ausländerpack« beschimpft.10
Angesichts des Unmuts sah sich das NS-Regime gezwungen, in ganz Deutschland Schulungen zur Kriegswichtigkeit des Arbeitseinsatzes der Ausländer durchzuführen, und forderte die Bevölkerung auf, diese anständig zu behandeln. Doch wie sehr das im Widerspruch zur herrschenden Staatsideologie stand, war den Akteur*innen mehr als bewusst, wie einem SD-Bericht vom 12. November 1942 zu entnehmen ist. Bei der Betonung, wie wichtig die Anwesenheit der Ausländer sei, habe man die »mit dem Einsatz Fremdvölkischer verbundenen völkischen Gefahren [sic]« aus dem Blick verloren, was sich wiederum auf das Verhalten eines Teils der deutschen Bevölkerung auf unerwünschte Art auswirkte. Denn immer mehr Deutschen fiel nun auf, dass die »Ostarbeiter« eben doch nicht dem »Typen verkommenen tierischen Menschentums« entsprachen, als den man sie bislang dargestellt hatte. Ebenso nahm vor allem die Landbevölkerung wahr, dass etwa die russischen Frauen Kruzifixe um den Hals trugen und also genauso christlich sein mussten wie sie selbst. Der Leistung der »Ostarbeiter« bezeugten viele im ländlichen Raum Respekt und verzichteten gern auf Lebensmittel, um die schmalen Essensrationen der Zwangsarbeiter*innen aufzubessern. Die Propaganda