Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou

Deutschland und die Migration - Maria Alexopoulou


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der Kriegswichtigkeit [orig. kursiv]« mit den »volkspolitischen Gefahren des Fremdvolkeinsatzes« in Einklang zu bringen und beide Botschaften zu vermitteln.11

      Doch aus diesem inneren Widerspruch des massenhaften Arbeitseinsatzes von »Fremdvölkischen« inmitten der »deutschen Volksgemeinschaft«, der der Bevölkerung durchaus bewusst war und auch offen beanstandet wurde, schaffte es das NS-Regime nicht mehr heraus, wie aus einem weiteren Bericht des SD vom Januar 1944 ersichtlich wird: Demnach äußerten zahlreiche Leser*innen Unmut über die »gefühlmäßig betonten Darstellungen« , die immer wieder in Reportagen über »Ostarbeiterinnen« in der Presse erschienen. Sie kritisierten, dass die wohlwollenden Berichte eine positive Sichtweise von »Volksgenossen« auf die »Fremdvölkischen« begünstigen würden; andere plädierten dafür, sich insgesamt nicht so stark mit den Ausländern und ihren Bedürfnissen zu befassen.12

      Inwiefern das Regime jedoch alle Meldungen, auch in den Lokalblättern, kontrollieren konnte, sei dahingestellt. Denn selbst im Hakenkreuzbanner Mannheim erschienen Bemerkungen, die als Kritik an der vermeintlichen Besserstellung der Ausländer verstanden werden können. In einem Artikel vom 25. April 1944 hieß es:

      So muß der deutsche Arbeiter für seine Verpflegung und Unterkunft und auch für die Verpflegung und Unterkunft seiner Familie durchweg mehr Zeit und Kosten aufwenden als der im Lager untergebrachte, der Sorge um Unterkunft und Verpflegung und um seine Familie enthobene Ostarbeiter.13

      In der Realität der Arbeitslager und Werkskantinen waren vor allem die »Ostarbeiter« und die polnischen Arbeiter*innen, nach 1943 auch zunehmend die ehemaligen Verbündeten aus Italien, der Willkür ihrer deutschen Aufseher*innen ausgeliefert. Das Kantinenpersonal unterschlug immer wieder Teile der kargen Essensrationen der Zwangsarbeiter*innen, auch Gewalt und weitere Grausamkeiten der »Volksgenossen« blieben straffrei. Die Unterdrückten konnten keinerlei Rechtsmittel gegen diese Alltagsdiskriminierungen einlegen, die selbst das NS-Regime zu unterbinden suchte, um ihre Arbeitsleistung so hoch wie möglich zu halten. Wie der Historiker Mark Spoerer nachweist, versuchten die Arbeiter*innen daher, mit anderen Mitteln ihre Situation zu verbessern oder sich zumindest zu wehren, etwa durch »›Bummelei‹, Krankmeldung, Absentismus, offene Arbeitsverweigerung und Streiks, selten auch Sabotage«.14

      Wie wichtig die Zwangsarbeiter*innen für die Kriegswirtschaft tatsächlich waren, zeigt der Umstand, dass gegen Ende des Krieges etwa ein Viertel der Arbeiterschaft in Deutschland aus ihnen bestand. Wie ausgesprochen schlecht ernährt sie aber kurz vor der Niederlage waren, welche massiven gesundheitlichen Folgen sie davontrugen und welches seelische Leid sie erlebt hatten, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Als Träger*innen des »P«- und des »O«-Abzeichens durften sie die Luftschutzbunker nicht betreten, und nach den Luftangriffen, bei denen zahlreiche Menschen verbrannten, mussten sie die geschmolzenen Leichen einsammeln.

      Zu den mehr als acht Millionen Zwangsarbeiter*innen und vier Millionen arbeitenden Kriegsgefangenen sind auch fast zwei Millionen KZ-Internierte zu rechnen, Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma, die in sogenannten Außenlagern zur Sklavenarbeit eingesetzt wurden. So befand sich in Mannheim-Sandhofen auf dem Gelände einer Schule, die mitten im Wohngebiet lag, das KZ-Außenlager Natzweiler. Von dort zogen die polnisch-jüdischen Insassen unter den Augen der Nachbarschaft jeden Tag in Kolonnen zu Fuß zum einige Kilometer entfernten Benz-Werk zwecks ihrer »Vernichtung durch Arbeit«. Die Anwohner waren froh, als diese Männer kurz vor der amerikanischen Besetzung Mannheims noch »evakuiert« – also auf einen sogenannten Todesmarsch geschickt – wurden, so sehr fürchtete man ihre Rache nach ihrer Befreiung.15

      Ähnliche Befürchtungen hatte man auch auf dem Land: Ein Bericht der Kreisleitung NSDAP Buchen/Odenwald vom 15. Juli 1944 ist mit Beispielen dafür gespickt, welche Ängste die deutsche Bevölkerung davor hatte, wenn sich das Machtverhältnis zwischen Unterdrückern und Unterdrückten umkehren würde. Es wurde etwa berichtet, dass ein Pole eine Bäuerin zum Sex als Gegenleistung dafür gezwungen habe, dass er überhaupt noch arbeite.16 Dabei waren zahllose Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten Europas, auch wenn sie in den Bauernhöfen arbeiteten, ihrerseits immer wieder Opfer sexueller Gewalt geworden.17

      Ost- als auch Westarbeiter, aber auch alle ausl. Zivilarbeiter benehmen sich immer mehr, als ob sie Herren im Hause seien. Sie geben offen zu verstehen, daß nun bald sie an der Reihe wären und das Regime im Dorf in die Hand nehmen würden,

      berichtete man aus dem Odenwald im Sommer 1944 weiter.18 Auch der SD sammelte Meldungen über Ängste aus ganz Deutschland, vor allem vor den befreiten »Ostarbeitern«, die mit dem Herannahen der sowjetischen Armee seit dem Frühjahr 1944 immer aufsässiger und deutschenfeindlicher würden. Das entnahm man nicht nur ihren Äußerungen und ihrem Auftreten, sondern auch ihren Briefen an ihre Angehörigen, die durch die Zensur des SD gingen.19 Für die Zwangsarbeiter*innen bedeutete diese Angst der Deutschen allerdings auch, dass sie nun vermehrt Opfer von Gewalt oder gar Massenhinrichtungen wurden.20

      Wie heißbegehrt der Arbeitseinsatz der »fremdvölkischen Zivilarbeiter« jedoch bis dahin tatsächlich gewesen war, lässt sich bei der Lektüre der Akten der Mannheimer Stadtverwaltung erahnen. Kontinuierlich forderten verschiedene Ämter ausländische Arbeiter*innen für alle möglichen Bereiche an, vor allem dann, wenn neue Transporte mit Zwangsarbeiter*innen oder Kriegsgefangenen erwartet wurden. Es oblag den örtlichen Arbeitsämtern, den Bedarf an Arbeitskräften zu ermitteln und sie entsprechend zu verteilen. Die anfordernde Stadtverwaltung und die Betriebe mussten dann in Zusammenarbeit mit der lokalen Kreisverwaltung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Unterkünfte bereitstellen, was neben der Sicherung der Arbeitskraft zunehmend zum Problem wurde. Zum einen stand durch das Luftbombardement der Alliierten immer weniger Wohnraum zur Verfügung, zum anderen ging man recht bald dazu über, die Menschen in Sammelunterkünften »nach Volkstum« geordnet unterzubringen, um sie besser zu kontrollieren und ihnen je nach Stufe in der Herkunftshierarchie entsprechend einheitliche Wohn-, Lebensmittel-, medizinische und sonstige Standards zu »bieten«.

      Die DAF sah sich für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte zuständig. Vor allem angesichts »des gegenwärtig starken Einsatzes von russischen Arbeitskräften«, teilte sie in einem Schreiben vom Juli 1942 mit, sei es erforderlich, dass die Betriebe sofort mit der DAF Kontakt aufnehmen, um sich »über die Art der Behandlung, der Unterkunft, Verpflegung beraten zu lassen«. Besonders die »Russenlager« müssten einem »geeigneten Lagerleiter« unterstellt werden, der vom Betrieb gestellt werde. Er solle ein »energischer, möglichst soldatisch geschulter Mann« sein.21 Die ein Jahr später weiterhin deutschlandweit übliche »Unterbringung zahlreicher Fremdvölkischer in Einzelquartieren« führe dagegen dazu, dass »de[r] erforderliche[…] Abstand zu deutschen Volksgenossen« nicht gewährleistet werden könne, stellte der SD fest.22

      Insbesondere »Ostarbeiter« sollten »möglichst nicht im Weichbild der Stadt untergebracht werden«. Ihre Arbeitsstätten sollten sich ebenfalls nicht im »geschlossenen Ortsbereich« befinden, lautete ein Schreiben des Arbeitsamtes Mannheim vom 2. Juli 1942. Der Anfrage der Stadtwerke Mannheim, die 100 »Ostarbeiter« als Gleisarbeiter an den Straßenbahnschienen einsetzen wollten, wurde aus diesem Grund nicht entsprochen. Auch die vorgesehene Wohnstätte für diese Arbeiter, die Turnhalle einer Schule in der Mannheimer Innenstadt, wurde vom Arbeitsamt nicht genehmigt, obwohl sie die örtliche DAF abgenommen hatte. Stattdessen bekamen die Stadtwerke französische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene; Erstere kamen in der Turnhalle, Letztere in einem entlegeneren Stadtteil in einem Tanzsaal unter.23

      Polen und »Ostarbeiter« sollten dagegen in der Stadt bevorzugt in Betrieben eingesetzt werden und auf deren Firmengelände wohnen. So beschäftigte die Firma Lanz 1942 u. a. »einige Tausend« Russen, keine Kriegsgefangenen, sondern »internierte rassische […] Staatsangehörige«, die unter strenger Überwachung standen. Es war ihnen untersagt, einzeln und ohne Aufsicht das Lager zu verlassen, ihre Kost war grundsätzlich spärlicher sowie von schlechterer Qualität, und falls sie erkrankten, wurden sie nicht in Krankenhäuser, sondern in einen speziellen Raum für Arbeitsunfähige verlegt.24 Sie erhielten zwar einen Lohn, mussten aber die karge Verpflegung und die schlechte Unterbringung selbst bezahlen.

      Gegen Ende des Krieges beschäftigten 600 Betriebe in Mannheim etwa 16 000 Zwangsarbeiter*innen, die in mehr als hundert Lagern lebten, die überall im Stadtgebiet,


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