Vom klugen Umgang mit Gefühlen. Heinz-Peter Röhr

Vom klugen Umgang mit Gefühlen - Heinz-Peter Röhr


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Rückenschmerzen, innere Unruhe und Unsicherheit. Seine Gedanken kreisen um immer neue Ängste. Sein Grübeln kann er nicht abstellen.

      Frau C. hat eine Spinnenphobie. Jedes Mal, wenn sie eine Spinne sieht, verfällt sie in Panik. Dabei gerät ihre Angst außer Kontrolle. Obwohl sie weiß, dass Spinnen in unseren Breitengraden völlig harmlos sind, fühlt sie sich diesen Ängsten sowie auch ihrem Ekel gegenüber machtlos.

      Frau P. ist eine geschätzte Mitarbeiterin im Unternehmen. Sie erledigt ihre Arbeit mit größter Sorgfalt. Das Problem ist, dass sie Fehler unbedingt vermeiden will und sich deshalb in ständiger Anspannung befindet. Es ist ihr nicht möglich, darauf zu verzichten, bestimmte Vorgänge immer wieder auf Fehlerfreiheit zu prüfen. Um die Arbeit zu schaffen, leistet sie freiwillig viele Überstunden.

      Bei Herrn K. dominiert Ärger das Grundgefühl. Ständig findet er Umstände, Schwierigkeiten oder Vorfälle, die seinen Ärger weiter befeuern. Für seine Mitmenschen ist dies nicht selten anstrengend und schwierig, da er wenig Positives ausstrahlt und niemand ihm genügen kann.

      Herr S. ist liebenswert, meist gut gelaunt, zugewandt, freundlich und hilfsbereit. Immer wieder gerät er jedoch in schwierige Situationen; wenn er sich ärgert, gehen förmlich die Pferde mit ihm durch. Seine Frustrationstoleranz wird bei bestimmten Auslösern schnell überschritten, sodass er sich in Wutgefühle hineinsteigert. Bei solchen Ausfällen wird er durchaus ungerecht und verletzend. Die starke Erregung hält mitunter Stunden an. Danach fühlt er sich völlig erschöpft und labilisiert, sein Selbstwertgefühl ist am Boden.

      Einleitung: Kontrollverlust gehört zum Menschen

      Es gibt Dinge im Menschen,

      die stärker sind als er selbst.

      Die Kontrolle über das eigene Leben und über seine Gefühle zu haben gehört zu den Urbedürfnissen des Menschen, nur so kann er sich sicher fühlen. Die Selbststeuerung ist für unseren Erfolg im Leben sehr wichtig. Mitunter suchen Menschen gerade in riskanten Aktionen einen gewissen Nervenkitzel: beim Bungee-Sprung, Paragliding, Autorennen … Hierbei handelt es sich fast immer um einen »kontrollierten Kontrollverlust«: einmal alles loslassen, Angst genießen, um danach wieder auf festem Boden zu stehen. Grundsätzlich ist das Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit jedoch groß.

      Die Kontrolle über Gefühle oder Verhaltensweisen zu verlieren ist meist mit negativen Begleiterscheinungen verbunden und »passiert« bestimmten Menschen häufiger als anderen. Das Ziel dieses Buches ist, den Umgang mit Kontrollverlusten zu erleichtern, diese besser zu verstehen und wirksame Strategien aufzuzeigen, um sie zu vermeiden bzw. besser zu bewältigen. Der intelligente Umgang mit Gefühlen ist für unser Lebensglück wichtiger als ein hoher IQ. Darüber besteht bei führenden Forschern und Wissenschaftlerinnen Einigkeit. Mithilfe der emotionalen Intelligenz gelingt es, den eigenen Gefühlszustand zu erkennen und richtig damit umzugehen. Auch die Fähigkeit, die Gefühle anderer zu erkennen, wahrzunehmen, empathisch zu reagieren, ist wesentlich für die eigene Selbstbeherrschung und bildet die Grundlage für gesellschaftlichen Erfolg.

      Kontrollverluste haben für das menschliche Leben einen tieferen Sinn, diesen gilt es in den Fokus zu nehmen. Auch wenn sie mitunter dramatische und selbstzerstörerische Folgen haben, sind sie nicht überflüssig. So paradox es klingt: Ein Kontrollverlust hat die Aufgabe, das Leben in der Balance zu halten. Er zeigt, dass man sich auf einem Irrweg befindet. Der Kontrollverlust ist ein intelligentes Instrument der Seele, das uns korrigieren will, wenn wir uns auf dem Holzweg befinden.

      Wenn jemand immer wieder die Kontrolle über Verhaltensweisen verliert, sei es über Gefühle wie Ärger oder Angst, oder über Verhaltensweisen wie Kaufen oder Spielen, dann ist es richtig, nach den tieferen Ursachen zu forschen. In solchen Fällen weist der Kontrollverlust auf ein Defizit hin, das man als das eigentliche Problem bezeichnen sollte. Der Kontrollverlust ist also der Hinweis auf eine tiefer liegende Störung. Die Seele entwickelt nie ohne Grund ein Symptom. Selbst wenn es gelingt, den Kontrollverlust zu beseitigen, bleibt eine innere Not, die mit großer Wahrscheinlichkeit neue Ausdrucksformen sucht, also zu neuem Leid führt. Der Kontrollverlust über Gefühle ist ein häufiges Problem und wird vorwiegend in drei Gefühlsbereichen erlebt:

       über Gedanken in Form von Grübeln, bis hin zu sogenannten Grübelzwängen und depressiven Erkrankungen;

       über Angst, bis hin zu Angststörungen;

       über Wut und Ärger.

      Wie kommt es zum Kontrollverlust über Gefühle? Welche Auslöser, Verhaltensweisen sind verantwortlich? Welche Strategien können helfen, unliebsame Kontrollverluste zu vermeiden bzw. zu stoppen?

      Wir werden versuchen, einen liebevollen Blick auf Kontrollverluste zu lenken. Denn alles, was verteufelt wird, erlebt automatisch eine Verstärkung. Vielleicht kann es gelingen, sich »anzufreunden« mit etwas, das mitunter störend und eventuell sogar quälend ist. Eine Veränderung erzwingen zu wollen, führt unweigerlich zu einer Verschlimmerung.

      Die Auseinandersetzung mit der Thematik der Kontrollverluste wird uns tief in die menschliche Seele führen und nach Antworten suchen lassen. Nur wenn Symptome verstanden werden, kann es gelingen, Leid zu überwinden und Lebensglück zu finden.

      Hirnforscher erkennen und beschreiben immer besser, wie unser Gehirn funktioniert. Amygdala-Klärung ist eine Methode, die im Alltag bei der Bewältigung unangenehmer Gefühle und Kontrollverluste helfen kann. Sie kann von jedem leicht angewendet werden. Wie wird man abstinent von unrealistischen Ängsten?

      Es gibt Menschen, die selten oder nie die Kontrolle verlieren, ohne gleich langweilig zu sein. Die Frage ist, was machen sie anders, kann man von ihnen lernen?

      Fast jeder kennt das typische sich in etwas Hineinsteigern, wahrscheinlich auch von sich selbst. Das gehört, wenn es nicht zu häufig passiert, zum menschlichen Leben. Man darf sich aufregen und auch mal unsachlich werden. Das sollte jedem erlaubt sein, niemand ist perfekt. Wenn aber Kontrollverluste über Gefühle das persönliche Leben belasten, psychische und körperliche Symptome verursachen, Beziehungen schwer beeinträchtigen oder gar zerstören, das Gefühl von Freiheit verschwindet und die Angst vor dem nächsten »Ausrutscher« dominant ist, dann besteht Handlungsbedarf. Dieses Buch ist auch für Angehörige geeignet, die unter den Kontrollverlusten, etwa des Partners, der Partnerin, leiden.

      Herzlich danken möchte ich meiner lieben Frau Annemie für ihr Zuhören und ihre Geduld, für die gründliche Bearbeitung des Manuskripts und die vielen Anregungen. In gleicher Weise gilt mein Dank meinem Sohn Frank für die wertvollen Anmerkungen und Anregungen bei der Durchsicht des Manuskripts.

      Bad Fredeburg, im Juli 2020

      Heinz-Peter Röhr

      1. Was man über Gefühle wissen sollte

      Was sind Gefühle und woher kommen sie?

      »Den kann ich nicht riechen!« – Das sagt jemand, der an dieser Person noch nie wirklich gerochen hat. Hier wird Archaisches angesprochen. Der Geruchssinn hat seine Bedeutung verloren, aber in unserer Sprache findet er noch Verwendung. Korrekter wäre der Ausspruch: »Derjenige ist mir unsympathisch, mit dem möchte ich nichts zu tun haben …« Forscher sind sicher, dass Deos, Parfüms und Rasierwasser während der ersten Phase des Kennenlernens von Paaren hinderlich sind. Ob Menschen zusammenpassen, spüren sie auch darüber, ob sie den Geruch des potenziellen Partners als angenehm oder weniger angenehm wahrnehmen. Liebe geht nicht nur »durch den Magen«, sondern vor allem auch »durch die Nase«. Für den Urmenschen stand Riechen für die Lebensbewältigung mit im Vordergrund. Der moderne Mensch lebt rational, mithilfe seiner intellektuellen Fähigkeiten; er kalkuliert, überlegt und entscheidet. Leitend ist hier der für das Rationale zuständige Teil des Gehirns, das rationale Gehirn, der sogenannte Neokortex.

      Nur wer sich dafür öffnet, bemerkt, dass das Instinktive nicht verschwunden ist. Man sagt beispielsweise, dass jemand eine »gute Nase« für Aktien hat, für moderne


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