Vom klugen Umgang mit Gefühlen. Heinz-Peter Röhr

Vom klugen Umgang mit Gefühlen - Heinz-Peter Röhr


Скачать книгу
zuständigen Areal des Gehirns: dem emotionalen Gehirn. Immer wenn in diesem Zusammenhang von »Herz« oder »Bauch« die Rede ist, ist das emotionale Gehirn gemeint. Geht es um eine durchdachte Entscheidung, ist der Neokortex zuständig, das rationale Gehirn.

      Das Gehirn lässt sich also in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen gibt es das emotionale Gehirn, bestehend aus dem Limbischen System und vor allem der Amygdala. Hier entstehen unsere Gefühle. Der zweite Bereich ist das rationale Gehirn, es besteht in erster Linie aus dem Neokortex, dem Hauptteil der Großhirnrinde. Hier findet logisches Denken statt. Während das emotionale Gehirn sich tief im Innern des Kopfes befindet, bildet der Neokortex die äußere Rinde mit den typischen Windungen und Furchen.

      Das Intuitive, das Schöpferische kommt aus tieferen Schichten der Seele. Kreative Menschen vertrauen ihrem Gespür, nicht ausschließlich ihrem Verstand. Eine gute Entscheidung ist meist die, die sich »richtig anfühlt«. Bei der Partnerwahl wird dies oft dann besonders deutlich, wenn die Beziehung scheitert: Ich wusste schon immer, dass ich ihn/sie nicht hätte heiraten dürfen … Wahrscheinlich war es der Verstand, der sagte, dass man keinen Rückzieher machen sollte. Besser wäre es gewesen, auf den »Bauch« zu hören! Selbstverständlich sollte der Verstand bei Entscheidungen beteiligt sein. Wer beispielsweise beim Shoppen nur dem momentanen Gefühl folgt, könnte in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Frage Kann ich mir das leisten und brauche ich das wirklich? kann nur der nüchterne Verstand beantworten. Der Ärger über unsinnige Käufe ist besonders bei kaufsüchtigen Menschen extrem, da sie beim Shoppen einem Kontrollverlust ausgeliefert sind und lauter Dinge kaufen, die sie nicht benötigen. Daher bereuen sie anschließend den Kauf. Gute Entscheidungen leben davon, dass Verstand und Gefühl in angemessener Weise beteiligt sind. Bei vielen Entscheidungen sollte klar der Verstand dominieren, andere dürfen eher gefühlsbestimmt sein. Mit bestimmten Einrichtungsgegenständen in meiner Wohnung will ich mich beispielsweise in erster Linie wohlfühlen. Welche Autoversicherung für mich die richtige ist, entscheide ich dagegen nicht nach Gefühl, auch wenn manche Werbung in diese Richtung arbeitet.

      Viele Gefühle kommen aus dem emotionalen Gedächtnis, in dem vor allem in unseren ersten Lebensjahren Erfahrungen gespeichert werden, an die wir noch keine bewusste Erinnerung haben. Das emotionale Gedächtnis erinnert sich aber an die zugehörigen Gefühle und kann diese in vergleichbaren Situationen reaktivieren. Es handelt sich um eine Ahnung, vielleicht eine tiefe Befürchtung, eventuell um alte Ängste. Wenn man diesen Vorgang im Computertomografen sichtbar machte, würde man sehen, wie fast ausschließlich das Limbische System, das emotionale Gedächtnis in Verbindung mit der Amygdala aktiv ist. Im Unterschied dazu sind Gefühle oft auch Produkte von Denkvorgängen, Überlegungen und Bewertungen.

      !

      Der Satz: So, wie ich denke, so fühle ich auch, ist richtig und eine uralte Erkenntnis.

      Im Computertomografen würde man erkennen, dass Bereiche des Neokortex aktiv sind. Verstand und Gefühl sind keine Gegensätze. Ununterbrochen löst der Verstand mithilfe von Gedanken Gefühle in uns allen aus, ohne dass wir dies immer bewusst beobachten. Jeder spricht in Gedanken unablässig mit sich selbst, und so wie man mit sich selbst redet, gestalten sich Gefühle. Wer sich in einem depressiven Gedankenkarussell bewegt, hat unweigerlich Gefühle, die ihn herunterziehen. Seine Gefühle, seine Stimmung hellt sich allmählich auf, wenn er intensiv an ein freudiges Ereignis denkt. Im Vorfeld einer depressiven Erkrankung beschäftigen Betroffene extrem negative Gedanken – das Gedankenkarussell lässt sich nicht mehr stoppen. Es ist auch hier wieder der Kontrollverlust, der darauf aufmerksam macht, dass etwas verkehrt läuft.

      Wie sehr Bewertungen unsere Gefühle beeinflussen, lässt sich an folgendem (etwas makabren) Beispiel zeigen:

      Herr Meier ist gestorben:

      »Das ist ja furchtbar, ich bin doch auf ihn angewiesen, er war immer so freundlich und mein bester Kunde; wenn ich ihn verliere, werde ich mein Geschäft schließen müssen …«

      Herr Meier ist gestorben:

      »Das ist keine schlechte Nachricht, endlich bin ich diesen direkten Konkurrenten los. Jetzt werden viel mehr Kunden bei mir kaufen müssen. Meier habe ich nie gemocht, er war immer so herablassend zu mir …«

      Der Umstand, dass Herr Meier gestorben ist, kann unterschiedliche Gefühle – von Sorge bis Erleichterung wie im obigen Beispiel – hervorrufen. Wie jemand sich nach solch einer Nachricht fühlt, hängt von der jeweiligen Bewertung ab, der Blickwinkel ist entscheidend. Gefühle lassen sich nur verändern, wenn der Blickwinkel verändert wird. Dies ist der Kern der Kognitiven Psychotherapie.

      Selbstverständlich ist auch der Körper beteiligt, denn er ist der Ort, in dem Gefühle empfunden werden.

      !

      Gefühle sind minimale bioelektrische Impulse, die den gesamten Körper durchströmen.

      Starke Gefühle, so sagt man, spürt man bis in die Haarwurzeln. So kann Angst beispielsweise tatsächlich eine Gänsehaut erzeugen oder buchstäblich »die Haare zu Berge stehen lassen«.

      Eine einfache Übung kann jeder leicht selbst machen:

      Lachen Sie, ein richtig breites Grinsen! Wenn Ihnen dies gelingt, werden sich gleichzeitig keinerlei negative Gedanken bilden können. Erst wenn Sie sich wieder im »Normalzustand« befinden oder gleichgültig sind, haben negative Gedanken wieder eine Chance.

      Die Konsequenz aus dieser Tatsache sollte sein, dass Sie sich so oft wie möglich ein Lächeln auf das Gesicht zaubern. Dies führt unweigerlich zu einer Stimmungsaufhellung, Sie werden optimistischer, weniger negativ und insgesamt zufriedener sein. Wenn das Grinsen eine längere Zeit aufrechterhalten bleibt, produziert das Gehirn Endorphine, Glückshormone. Erinnern Sie sich immer wieder daran und helfen Sie dem emotionalen Gehirn, positive Mechanismen zu erlernen. Dieses Training ist lohnend, weil es systematisch zu einem besseren Lebensgefühl führt. Dieses Beispiel zeigt, dass man auch über den Körper zu besseren Gefühlen gelangen kann. Sicher ist, dass Menschen, die häufig lachen, glück­licher sind.

      Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Gefühle flüchtig sind und maximal 20 bis 40 Sekunden andauern, dies wurde in neurowissenschaftlichen Experimenten nachgewiesen. Spontaner Ärger z. B. setzt chemische Botenstoffe (Neurotransmitter etc.) in Bewegung und baut eine minimale elektrische Spannung (Millivolt) auf. Der Körper kann dies jedoch nur kurze Zeit aufrechterhalten. Nur bei weiterer »Befeuerung« bleibt der Ärger erhalten: Dies geschieht in Form von Gedanken, etwa: Das lasse ich mir nicht bieten; unmöglich, wie ich hier behandelt werde …

      Aus diesen Vorgängen kann man ableiten, dass wir Ärger mit unseren Gedanken selbst erzeugen. Fast jeder erlebt dies zunächst anders. Man glaubt, dass die Umstände oder andere Personen den Ärger verursachen: »Diese Sache/Person hat mich so wütend gemacht!« Dabei kann solch ein Gefühl Tage und Wochen anhalten, nämlich dann, wenn es durch entsprechende Gedanken immer weiter befeuert wird.

      Wenn Gefühle sich verändern, verändert sich gleichzeitig auch die Chemie im Körper. Körper und Seele bilden eine Einheit. Alles, was in der Psyche passiert, bewirkt Reaktionen im Körper. Neurotransmitter verändern sich und Botenstoffe werden ausgeschüttet. Positive Gefühle werden durch Serotonin und Dopamin ausgelöst, negative Gefühle durch Stresshormone.

      Umgekehrt geht es auch darum, die Chemie im Körper aktiv zu beeinflussen, wenn man zu anderen Gefühlen gelangen will. Hier können körperliche Aktivitäten helfen. Beim Joggen wird die Chemie im Körper verändert, ebenso, wenn man auf einen Punchingball schlägt oder Holz hackt. Wer seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht, wird in den allermeisten Fällen nach kurzer Zeit spüren, dass sich die Chemie im Körper positiv organisiert und sich Wohlbefinden einstellt.

      Auch an folgender Stelle kann man getrost dem Volksmund vertrauen: Wenn es heißt, dass zwischen Menschen die »Chemie« stimmt, dann ist gemeint, dass sie auf einer ähnlichen Wellenlänge liegen und ihre Ansichten in vielen Bereichen übereinstimmen, sie verstehen sich eben.

      Die Amygdala, der Mandelkern

      Die Amygdala


Скачать книгу