Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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erstrahlte das Rathaus im Lichterglanz. Hermann pfiff bewundernd aus. Wohin auch das Auge blickte, überall hingen Hakenkreuzflaggen. Trotz seiner anfänglichen Skepsis über die Einladung, war Hermann aufgeregt, als er all die Leute in Uniformen sah. Stadtratsmitglieder. Männer der SA und SS. Und umringt von Bewunderern der neue Ortsgruppenleiter Erich Winter.

      Hannah und Theresa ließen ihre Mäntel an der Garderobe, dann schritten sie langsam, von Georg Sedlmayr eskortiert, durch die Halle an den Säulen mit ihren großen Vasen vorbei, die mit weißen und roten Rosen gefüllt waren. Stimmengewirr. Lautes Lachen. Der Geruch von gebratenem Fleisch. Jubelrufe. All das begleitete Hermann, als sie sich in die Schlange reihten, um Winter persönlich zu begrüßen. Er stand am Ende der Halle, schüttelte Hände, nahm Glückwünsche entgegen. Er wirkte ausgelassen und heiter. Trotzdem schien er immer wieder abgelenkt zu sein und ließ seinen Blick über die Leute wandern. Wie ein hungriger Wolf. Ein Schauer lief Hermann über den Rücken. Er konnte nicht sagen, was es war, doch irgendwie ging etwas Bedrohliches von Winter aus. Obwohl er etwa zehn Jahre älter war als er selbst, schien sein Gesicht vollkommen glatt. Frei von Lachfalten. Frei von Bartstoppeln. Hatte er überhaupt Bartwuchs?

      »Dr. Sedlmayr. Wie schön, dass Sie kommen konnten. Ich freue mich ganz außerordentlich«, sagte Winter mit einem schmalen Lächeln und schüttelte seinem Vater die Hand. »Ihre Familie ist auch dabei. Großartig.« Sein Blick wanderte von einem zum anderen. Anstelle einer anständigen Begrüßung brummte sein Vater nur auf.

      »Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?« Georg rückte etwas zur Seite, damit Theresa Winter die Hand reichen konnte. »Theresa Sedlmayr.«

      Winter hob anerkennend die Augenbrauen, sein Lächeln wurde breiter. Strahlender.

      »Du liebe Zeit. Eine so schöne Frau«, schwärmte er und küsste Theresa die Hand. Sie errötete.

      »Vielen Dank für die Einladung. Wir sind Ihnen sehr dankbar. Und das am Geburtstag meines Sohnes.« Sie zerrte Hermann nach vorne ins Rampenlicht, und Winters grüne Augen tasteten ihn ab wie Scheinwerfer.

      »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte er freundlich und reichte Hermann die Hand. Die Finger waren trotz der Wärme im Rathaus eiskalt. »Wie alt bist du denn geworden?«

      »Sechzehn«, antwortete Hermann.

      »Ein zäher, junger Bursche. Das muss wohl der Bruder sein.« Karl trat vor und begrüßte Winter. Stolz erzählte er, dass auch er schon Mitglied der Hitlerjugend sei, was der Ortsgruppenleiter mit einem Lächeln quittierte.

      »Eine arische Schönheit, Ihre Tochter, Herr Doktor!«, sagte Winter. Diesmal klang er nicht mehr schmierig. Seine Worte hörten sich ernst gemeint an. »Gewitterblaue Augen«, raunte er bewundernd und besah sich Hannah, als wäre sie ein Ausstellungsstück in einer Kunstgalerie. Diese schlug die Lider nieder. »Wir sind auf der Suche nach einem Gesicht für die Werbeplakate des BDM. Wir suchen ein typisches deutsches Mädel. Blond. Blauäugig. Ich glaube, wir haben das perfekte Gesicht gefunden. Mit Ihrer Erlaubnis natürlich.« Er blickte zu Theresa, die Hannah die Hand auf den Rücken legte und für sie antwortete.

      »Es wäre uns eine große Ehre, Herr Ortsgruppenleiter. Nicht wahr, Hannah?« Diese nickte.

      Theresas Gesicht war von innen erleuchtet, als sie sich wieder unter die Menge mischten.

      »Meine Tochter wird für kein dämliches Foto posieren«, knurrte Georg Sedlmayr, sodass nur seine Familie ihn hören konnte. »Ein Werbeplakat für den BDM. Damit sie in der ganzen Stadt aushängt. Was für eine Schnapsidee!«

      »Natürlich wird sie das. Ihr Bild wird überall zu sehen sein. Mach ihr nicht die Zukunft kaputt, Schorsch!« Theresa zischte bedrohlich, und es kam Hermann vor, als würden ihre Augen Funken sprühen.

      »Macht, was ihr wollt«, sagte Georg wütend und gesellte sich zu einigen Männern, die ihn zu sich in die Runde winkten.

      Hannah und Theresa blieben bei den anderen Frauen und Mädchen stehen, während Hermann und Karl sich aufs Buffet stürzten. Mit vollgeladenen Tellern bahnten sie sich einen Weg zu einem der Stehtische, als eine laute Stimme das fröhliche, ausgelassene Geplapper der Gäste übertönte.

      »Hitler treibt uns alle in den Krieg. Macht doch eure Augen auf, ihr Narren!« Ein Mann mit schneeweißen Haaren stand in der Mitte der Halle und schrie aus Leibeskräften. »Dieser Kerl hier ist sein Handlanger. Der Handlanger des Teufels.« Mit seinem krummen Zeigefinger deutete er auf Winter, der erbleicht war und sich nervös und hilfesuchend umsah. »Habt ihr nicht ›Mein Kampf‹ gelesen? Da steht doch alles schwarz auf weiß. Hitler ist unser Untergang«, tobte er weiter. Das Gerede verstummte augenblicklich. Alle Augenpaare richteten sich auf den Mann.

      »Hitler ist …«, begann er wieder, bevor er von zwei Uniformierten zu Boden gedrückt und aus dem Saal getragen wurde. »Erinnert euch an meine Worte«, kreischte er, während er zwischen den Türen verschwand. Ein Kommunist? Ein Verrückter? Auf jeden Fall gehörte Mut dazu, einen solchen Auftritt hinzulegen.

      »Wir haben alles unter Kontrolle«, rief der Mann an Winters Seite. Erwin Holzer. Auch sein Gesicht kannte Hermann aus der Zeitung.

      Obwohl alle wieder plauderten und lachten, merkte Hermann, dass die Stimmung gekippt war. Winters Lachen wirkte versteinert. Wie sah es wohl hinter seiner Maske aus?

      Strahlend und hell wie ein Komet fuhr Hermann ein Gedanke durch den Sinn. Was, wenn der Mann recht behielt? Einen langen, atemlosen Moment stockten seine Überlegungen, dann rasten sie weiter. Hitler treibt uns alle in den Krieg. Das waren seine Worte gewesen. Auch sein Vater hatte am Tag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler einen Krieg prophezeit. Steckte doch Wahrheit dahinter? Hermann fühlte sich auf einmal fehl am Platz. Er wünschte sich nach Hause in sein Zimmer. Er wollte zwischen die Seiten eines Buches fliehen, an den Abenteuern und Geschichten seiner Romanfiguren teilnehmen, doch je öfter er sich den Ausdruck von Verzweiflung im Blick des Mannes ins Gedächtnis rief, desto mehr fühlte er, dass er selbst inmitten einer Geschichte steckte. Wie würde diese weitergehen? Konnte er die Handlung mitbestimmen? Hermann war sich mit einem Mal sicher, dass Hitler genau wusste, wie seine Geschichte aussehen sollte. Welche Schauplätze es gab, wo sie hinführte. Nach und nach deckte er eine Seite auf, doch welche Seiten würden bis zum Ende folgen? Wusste er letztendlich schon, wie das Ende aussehen würde?

      Die Anzahl der in Rosenheim lebenden Juden war im Vergleich zu den im Umkreis liegenden Städten hoch. Viele jüdische Familien waren Ende des 19. Jahrhunderts in die Stadt gezogen, da die Wirtschaft lebendig war und sie hier vom Einzelhandel leben konnten. Hans Sternlicht war mit seinen Eltern als Junge von Polen nach Deutschland gekommen und hatte später die Apotheke seines Vaters übernommen. Obwohl er noch Polnisch beherrschte, fühlte er sich hier zu Hause.

      Jacob schlenderte nach Schulschluss durch die Straßen. Vorsichtig wie ein Fuchs spitzte er die Ohren, um dem Gerede der anderen Kinder zu lauschen. Er hatte gelernt zu warten, bevor er ihnen in die Falle tappte. Als Boxer kannte er natürlich einige Tricks und war in der Lage sich zu verteidigen, doch schon zweimal hatte ihn Herbert mit seinen Freunden von der Hitlerjugend in eine Sackgasse getrieben und auf ihn eingeschlagen. Wie immer benötigte er seine Eskorte, da er allein nicht den Mumm aufbringen konnte, um gegen Jacob zu kämpfen. Die Schmach bei der Niederlage im Boxen war noch allgegenwärtig. Deshalb mussten immer zwei Jungen Jacobs Arme auf den Rücken drehen und ihn festhalten, wenn Herbert ihm ins Gesicht schlug. Zweimal war er schon mit einem blauen Auge nach Hause gekommen. Simon war jedes Mal ausgerastet, doch als er seinen Bruder rächen wollte, war er selbst mit einer blutigen Lippe nach Hause gekommen. Es waren einfach zu viele Gegner.

      Etwas leichter hatte es noch ihr jüngster Bruder Levi. In der Grundschule verstanden die Kinder den Unterschied zwischen einem Juden und einem Deutschen noch nicht richtig und spielten ausgelassen miteinander. Es gab Tage, da beneidete Jacob ihn. Um seine Sorglosigkeit. Um seine Freunde. Um sein Lachen.

      In den letzten Monaten war Jacob vorsichtig geworden. Er wechselte täglich seine Route, nahm Straßen, die zunächst in die falsche Richtung führten, nur um Herberts Bande aus dem Weg zu gehen. Nicht weil er die Schläge nicht einstecken konnte. Die


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