Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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– Deutsche Waren« des landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins besuchen würde, doch er hatte sich nicht blicken lassen.

      Holzer hatte im Stadtrat, aus dem die KPD mittlerweile völlig verbannt war, durchsetzen können, dass die Innstraße, die der Führer auf seiner Durchreise benutzt hatte, nach Hitler benannt wurde. Auch einige andere Straßen erhielten neue Namen. Die Münchner Straße ehrte Hindenburg und die Hubertusstraße trug nun den Namen von General Epp. Winter selbst schlug vor, die Straße, die an Görings Geburtshaus vorbeiführte, Göringstraße zu nennen, was Begeisterung auslöste.

      Ein Dorn im Auge waren aber nach wie vor die Sozialisten. Winter hatte über Sedlmayr recherchiert und herausgefunden, dass er einen Bruder hatte, der als Abgeordneter der SPD im Reichstag in Berlin saß. Ob der Doktor auch ein heimlicher Sozialist war?

      »Wir sind schon auf dem richtigen Weg, Erich. Wir brauchen einfach noch ein wenig Zeit.«

      »Zeit? Es geht hier nicht schnell genug!«

      »Mit dem neuen zweiten Bürgermeister haben wir den richtigen Mann an der Spitze. Er hat schon dafür gesorgt, dass einige Lehrer, die sich regimefeindlich geäußert hatten, ausgestellt wurden. Völkl hat alles richtig gemacht. Wir sollten lieber den Direktor im Auge behalten.« Und Sedlmayr, fügte Winter in Gedanken dazu.

      »Schritt für Schritt. Wir können nicht alles auf einmal schaffen. Die KPD ist schon so gut wie besiegt, auch die SPD haben wir im Griff. Die Gebäude und Büros jeglicher Vereine, Organisationen und Verbände, die im Verdacht stehen, der sozialdemokratischen Bewegung anzugehören, wurden von unseren Leuten auf verdächtiges Material durchsucht. Schon bald sind alle auf unserer Seite, glaub mir.«

      »Besser, wir kümmern uns so schnell wie möglich um diese Angelegenheiten«, zischte Winter grimmig.

      »Ein Brief ist vorhin für dich gekommen, Erich«, meinte Holzer und reichte ihm den versiegelten Umschlag.

      »Er ist aus München. Vom Parlament«, sagte dieser überrascht. Gierig riss Winter den Umschlag auf, zog den Brief heraus und verschlang die Sätze. Bei jedem Wort wurde sein Lächeln breiter.

      »Ich wurde zum Ortsgruppenleiter befördert«, japste Winter atemlos.

      Holzer sprang freudig auf.

      »Gratuliere, Erich! Das sind ja hervorragende Neuigkeiten. Den großen Fischen scheint deine Arbeit zu gefallen.«

      Winter wusste nicht, was er sagen sollte. Glück. Zufriedenheit. Stolz. Ein buntes Gefühlskaleidoskop.

      »Du musst eine Feier geben, Erich. Einen großen Empfang im Rathaus! Wir laden alle wichtigen Leute ein. Alles, was Rang und Namen hat. Die ganze Stadt wird dich feiern!«

      Holzer hatte Recht. Winter sah sich in Gedanken vor Hitler persönlich stehen. Er schüttelte ihm die Hand und wurde zum Ehrenbürger ernannt. Vielleicht hatte sein Vater doch das Richtige getan. Diese kleine Stadt konnte für ihn ein Sprungbrett sein. Straßen würden nach ihm benannt werden, Schulen. Winter grinste von einem Ohr zum anderen. So gut hatte er sich seit Wochen nicht gefühlt.

      »Ich mache mich gleich an die Einladungen«, sagte er zu Holzer und verschwand freudestrahlend in seinem Büro. Der beste Tag für solch eine Feierlichkeit erschien ihm der Samstag nach Hitlers Geburtstag.

      Kuchenduft durchströmte die Küche und das Esszimmer der Sedlmayrs, drang durch alle Türen und erreichte sogar den zweiten Stock. Sofia bereitete seit den frühen Morgenstunden das Frühstück vor. Erdbeerkuchen, Nusszopf, Rührei mit Speck, frisches Brot, Butter, Wurst und Käse. Sie hatte sogar einen Haferbrei angerührt, indischen Tee aufgekocht, Honig und verschiedenste Konfitüren aufgetischt. Die Fruchtschale quoll über vor Nektarinen, Orangen, Äpfeln, Trauben und den ersten Erdbeeren. Mit geübten Fingern putzte sie zum wiederholten Mal das Silberservice, das sonst in einer Vitrine schlummerte, und platzierte es anschließend auf den großen Eichentisch. In der Mitte thronte eine Vase, gegen deren durchsichtige Wände die grünen Stängel der Narzissen drängten, während ihre Köpfe sonnengelb strahlten. Wie schön es heute war. Auf Hermanns Stammplatz stapelten sich einige Pakete, die in buntes Papier gewickelt waren. Sein sechzehnter Geburtstag.

      Theresa Sedlmayr eilte als Erste die Treppe herunter. Sie steckte in einem dunkelroten Dirndlkleid, das ihre gertenschlanke Taille betonte, die Lippen unterstrich sie im selben Farbton. Die Haare waren zu einem lockeren Knoten zusammengebunden.

      »Ist schon alles fertig? Alles bereit für das Geburtstagskind?« Kritisch ließ sie den Blick über den gedeckten Tisch schweifen und blieb kurz am Silberservice hängen. Nachdem sie keine rußigen Ränder feststellen konnte, zündete sie noch zwei Kerzen an und drapierte die Geschenke um.

      »Georg? Hermann? Karl? Hannah? Wo seid ihr denn alle?«, rief sie ungeduldig nach oben. Die Stufen stöhnten auf und der Reihe nach kamen alle nach unten. Auch die Männer des Hauses hatten sich in Schale geworfen und trugen festliche Lederhosen. Als Theresa Hannah erblickte, zog sie die Augenbrauen nach oben und kräuselte säuerlich den Mund.

      »Wieso hast du denn dein weinrotes Dirndl nicht angezogen? Das blaue trägst du seit Wochen immer wieder. Heute sollte doch ein besonderer Anlass sein.«

      Hannah sah an sich herunter und biss sich ertappt auf die Unterlippe. Sie schirmte mit den Händen ihren Körper ab, so, als könnte sie damit das Kleid verdecken.

      »Lass gut sein, Resi. Wir freuen uns schon alle auf das Geburtstagsfrühstück«, kam Georg Sedlmayr ihr zu Hilfe und klopfte seinem ältesten Sohn auf die Schultern.

      »Das sieht ja toll aus, danke Sofia!«, meinte Hermann an die russische Haushälterin gewandt, die zu ihm eilte, um ihm zu gratulieren.

      »Wir haben das wahrhaftig gut hinbekommen!«, sagte Theresa mit einem stolzen Lächeln und küsste ihren Sohn auf beide Wangen. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Wie schnell nur die Zeit vergangen ist. Ich erinnere mich noch an den Tag deiner Geburt. Über zwanzig Stunden bin ich in den Wehen gelegen, bis du dich endlich entschieden hast, dich auf den Weg zu machen!«

      Hermann lachte herzlich. Dabei legte er den Kopf leicht in den Nacken. »Ach Mama. Kommst du wieder mit diesen alten Kamellen.«

      »Jetzt mach schon deine Geschenke auf, sonst reiß ich noch das Papier ab«, neckte ihn Karl, klaute eines der Pakete vom Tisch und versteckte es hinter seinem Rücken. Dann warf er es seinem Bruder zu, der es mit einem breiten Grinsen sicher auffing.

      »Ein Notizbuch«, freute sich Hermann, als er den schwarzen Lederband aus dem Papier wickelte.

      »Für deine Aufzeichnungen. Ich dachte, du kannst das brauchen«, sagte Hannah. Hermann drückte seine kleine Schwester fest an sich. Der Duft ihrer frisch gewaschenen Haare stieg ihm dabei in die Nase.

      Von Karl bekam er einen passenden Federkiel, von seinen Eltern eine neue Trachtenjacke mit auffälligen Holzknöpfen und Geld für seine Spardose. Mit leuchtenden Augen sah sich Hermann die neuen Bücher an, die sein Vater für ihn ausgesucht hatte. Lesen war seine große Leidenschaft.

      »Sind diese Bücher nicht verboten?«, fragte Karl plötzlich und durchbrach damit die fröhliche Stimmung.

      »Zeig mal!« Er wollte nach einem der Werke greifen, doch Hermann drehte sich weg, damit er die Titel nicht lesen konnte.

      »Ein medizinischer Atlas«, erklärte Georg Sedlmayr ernst. »›Im Westen nichts Neues‹, ausgewählte Werke von Schiller und Goethe. Was soll daran verboten sein, du neunmalkluger Bengel!«

      »Dieses Buch da.« Karl deutete auf Remarques Roman ›Im Westen nichts Neues‹. »Ich dachte, das ist ein Buch über den Krieg. Angeblich ist es verboten.«

      »Ich bestimme, was in meinen eigenen vier Wänden verboten ist und was nicht!«, donnerte Georg Sedlmayr los und schlug bekräftigend mit der Faust auf den Tisch.

      »Kein Streit an Hermanns Geburtstag!«, warf Theresa ein und schnitt den Kuchen auf. »Heute ist ein ganz besonderer Tag. Am Nachmittag beginnt die Feierlichkeit zur Beförderung von Ortsgruppenleiter Erich Winter. Wir sind alle eingeladen.«


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