Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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von meinen Freundinnen gehen schon zur Hitlerjugend oder zum Bund Deutscher Mädel. Allesamt sind sie begeistert. Allesamt«, betonte sie noch einmal. »Ich finde, ihr solltet euch auch da sehen lassen. Damit ihr wieder auf andere Gedanken kommt. Da wird so viel Sport getrieben, dass ihr todmüde ins Bett fallt.«

      Irritiert sah Hannah zu ihrem Vater.

      »Ja, wahrscheinlich ist das keine schlechte Idee. Eure Mutter hat recht.« Wie bitte? Hannah verstand die Welt nicht mehr. Erst kritisierte er alles und lehnte energisch alle Veränderungen ab, und jetzt auf einmal wollte er, dass sie zu den Treffen gingen? Theresa nickte zufrieden.

      »Geht Elsa nicht auch dorthin? Das wäre doch schön, wenn ihr beide zusammen teilnehmt. Früher hast du dich viel öfter mit ihr getroffen.«

      Hannah nickte nur stumm. Die Sache war ohnehin schon entschieden. Entschieden, ohne auf Hannahs Antwort zu warten oder ihre Meinung zu hören. Wie immer.

      »Karl ist doch auch schon angemeldet.« Stolz schwang in Theresas Stimme mit. Hannah bemerkte, wie ihr Vater überrascht den Kopf zu seiner Frau drehte. Er hatte davon nichts gewusst. Oben im ersten Stock erwachte Leben. Karl stolzierte die Treppe herunter und als er ins Wohnzimmer trat und sich zu ihnen gesellte, bemerkte Hannah, dass auf seiner Brust das Hakenkreuz prangte. Theresa begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange. Georg Sedlmayrs Augen verengten sich bei dem Anblick, doch er sagte nichts.

      »Jetzt, wo alle endlich wach sind, können wir ja zusammen frühstücken. Sofia hat schon den Tisch vorbereitet.«

      Beim Gedanken an ein gemeinsames Frühstück schlug Hannahs Magen Saltos. Doch keiner protestierte. Alles schien wie immer zu sein, obwohl doch alles anders war.

      Winter stand am offenen Fenster und blickte auf den Park hinaus. Die ersten Schneeglöckchen sprossen auf dem verblichenen Wintergras. Seitlich neben der Grasfläche erhoben sich Bäume. Einige prächtige Kastanien und ein paar ortstypische Obstbäume, deren Kronen jedoch noch völlig kahl waren. Die Sonne stand deutlich höher als noch die Wochen zuvor und viele Menschen spazierten durch den Park, um die ersten wärmenden Sonnenstrahlen zu tanken. Sie lachten, Kinder tobten.

      Winter war aber alles andere als zum Lachen zumute. In der einen Hand hielt er seine halbleere Kaffeetasse, während er mit der anderen den ein paar Tage alten Rosenheimer Anzeiger zusammengeknüllt hatte. Die Wahlergebnisse standen dort schwarz auf weiß. Die NSDAP hatte nur 36,2 Prozent der Wählerstimmen erhalten, während sich selbst die KPD über 7,8 Prozent freuen konnte. Ein Desaster. Wieder und wieder musste er sich diese Schmach ansehen, doch nach wie vor konnte er es einfach nicht glauben. Die Gleichschaltung Bayerns, an die sie so lange hingearbeitet hatten, war zwar ein kleiner Erfolg, doch Winter wollte mehr. Viel mehr.

      Vorgestern Abend waren sie mit vierhundert Mann vor das Rathaus marschiert. Obwohl der Bürgermeister protestierte, konnten sie sich am Ende durchsetzen und ihre Flagge hissen. An diesem Abend wehte vor dem Rathaus zum ersten Mal das Hakenkreuz.

      Winter vernahm ein Geräusch und bemerkte, dass ein Wagen zu ihnen in die Einfahrt einbog. Kies knirschte. Er spürte eine leichte Gereiztheit, da er nicht gestört werden wollte, doch dann sah er, dass es sich um Erwin Holzer handelte. Selbst von hier oben konnte Winter sehen, dass er sein schütteres Haar pomadisiert hatte. Ein feierliches Auftreten, eine Unechtheit im Angesicht der schrecklichen Ergebnisse.

      Die Glocke schrillte und Winter hörte Stimmen im Flur. Helene hatte die Tür aufgemacht und den Gast ins Haus gebeten. Vorsichtig steckte seine Frau den Kopf zur Tür herein.

      »Erwin Holzer ist hier«, sagte sie.

      »Ich habe es schon mitbekommen.« Sie blickte betreten drein und verschwand. Nur einen Augenblick später trat Erwin ein.

      Winter sah ein letztes Mal aus dem Fenster und bemerkte, dass der Motor von Holzers Wagen noch leicht rauchte, dann drehte er sich zu ihm um.

      »Erwin!«, rief er freudig aus.

      »Ich habe gute Neuigkeiten«, begann sein Gegenüber sofort und trat zu Winter ans Fenster. »Wir haben heute ganz in der Früh mit einer Verhaftungswelle gegen KPD-Mitglieder begonnen. SS, SA und Stahlhelme haben um fünf Uhr morgens Wohnungen gestürmt, sie durchsucht und einige inhaftiert. Stell dir vor, wir haben sogar den Kommunistenführer am Schloßberg erwischt.«

      »Das sind wahrhaftig gute Neuigkeiten.« Winter nahm einen großen Schluck Kaffee.

      »In Bad Aibling platzt das Amtsgerichtsgefängnis bereits aus allen Nähten. Gerade eben haben meine Männer das sozialdemokratische Gewerkschaftshaus in der Salinstraße durchsucht und unsere Flagge gehisst. Die gefundenen Schriften und das Bargeld sowie das Vermögen der Organisationen fallen der Staatskasse zu.«

      Das wurde ja immer besser. Winter knallte die alte Zeitung aufs Fensterbrett und Holzers Blick fiel darauf.

      »Reg dich nicht zu sehr über die Ergebnisse auf, Erich.« Winter schnaubte auf. »Bei der nächsten Wahl schaut es schon ganz anders aus, vertrau mir!«

      »Ich kann einfach nicht glauben, dass die Bürger hier im Süden so dumm sind! Sie haben neue Arbeitsplätze bekommen. Schon jetzt. Hitler ist noch gar nicht lange im Amt.«

      Die Bäume warfen dunkle Schatten und die ersten Spaziergänger machten sich schon auf den Nachhauseweg. Ein paar Krähen pickten ihre Hinterlassenschaften auf. Zwei Vögel stritten sich um ein Stück Brot. Ihr verärgertes Krächzen war selbst bei geschlossenem Fenster zu hören.

      »Es kommt noch besser.« Holzer legte erst jetzt die Trümpfe auf den Tisch. Dem Anschein nach hatte er Winters Anspannung bemerkt. »Weißt du noch, als du gesagt hast, dass alle Kommunisten erschossen gehören?«

      »Aufgehängt«, verbesserte Winter trocken. Jetzt hatte Holzer seine volle Aufmerksamkeit.

      »Georg Bell. Sagt dir der Name etwas?«

      Winter schüttelte den Kopf. Worauf wollte er hinaus?

      »Er ist Ingenieur und ein ehemaliger Vertrauter von Ernst Röhm.«

      »Und weiter?«

      »Er ist Mitglied einer Gruppe, die Hitler töten will. Unsere Truppe ist ihm auf der Spur. Seine Verlobte haben wir bereits in ihrem Haus am Simssee festgenommen, damit wir ein Druckmittel gegen ihn haben. Bell hat sich ins Ausland abgesetzt.«

      Winter wusste immer noch nicht, worauf Holzer hinauswollte.

      »Wenn wir ihn erwischen, können wir ihn exekutieren.«

      Exekution. Das war das Wort, auf das Winter gewartet hatte. Endlich war es so weit und sie durften die Maßnahmen ergreifen, die man ergreifen musste. Was nützte Zuckerbrot, wenn es die Peitsche gab. Gewalt lehrte die Menschen Gehorsam, nicht gutes Zureden oder Belohnungen. Er hatte es doch selbst am eigenen Leibe erfahren. Winter war ein weiches Kind gewesen. Kränklich. Erst durch die harte Erziehung und den Rohrstock des Vaters war er zu dem geworden, der er heute war. Auch Erwachsene brauchten Richtlinien. Grenzen. Angst war der beste Lehrmeister.

      »Das klingt großartig«, lobte er Holzers Arbeit. »Endlich kommen wir unserem Ziel ein Stück näher.«

      »Du kannst dabei sein, wenn du willst. Bei seiner Festnahme.«

      Damit hatte Winter nicht gerechnet. Holzer übertrug ihm eine große Verantwortung. Es klang verlockend.

      »Gerne«, sagte er mit einem Lächeln. In ihm lag die Wärme eines Sommertages.

      Die Zeiger der großen Uhr im Wohnzimmer standen fast auf zehn Uhr. Um Punkt zehn sollte Hannah abgeholt werden. Für einen Tag im März war es draußen recht warm. Heller Sonnenschein strömte durch die beigen Gardinen der Wohnzimmerfenster. Der Holztisch schimmerte und der Fußboden spiegelte wie Glas, wo er nicht mit den teuren Teppichen belegt war. Sofia hatte wieder ganze Arbeit geleistet.

      Hannah öffnete eines der Wohnzimmerfenster und der schwere Duft von Blüten und taunasser Erde wehte herein. Das Mädchen streckte den Kopf hinaus und erblickte die farbenprächtigen


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