Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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gehören die allesamt an die Wand gestellt und erschossen.«

      »Schade um die guten Kugeln. Ein einfacher Strick reicht auch.« Holzer lachte, als hätte Winter einen Witz gemacht, doch es war sein voller Ernst.

      »Über kurz oder lang werden wir sie schon los. Ich habe gestern mit Göring telefoniert. Auch er ist guter Hoffnung, dass die Partei noch mehr an Macht gewinnt. Er muss es ja wissen, wo der doch direkt an der Quelle sitzt. In erster Linie müssen wir die führenden Rosenheimer auf unsere Seite ziehen. Bürger, die uns von Nutzen sind. Bürger, die Einfluss haben. Anwälte. Architekten. Selbstständige. Ärzte.«

      Ärzte. Sofort dachte Winter an Dr. Georg Sedlmayr. Er schien eine bekannte Persönlichkeit in der Stadt zu sein. Aber wie ließ er sich ködern? Winter bildete sich das Misstrauen, das er in seiner Praxis gespürt hatte, sicher nicht ein. Sedlmayr hatte seine Frau bestmöglich versorgt, dennoch hatte er sich selbst in seiner Gegenwart wie ein kleiner Schuljunge gefühlt. Unwissend. Neugierig. Unprofessionell. Gut, da wusste Sedlmayr noch nicht, dass er Mitglied der SA war. Sonst hätte er ihm gewiss anderen Respekt gezollt. Aber er gab Holzer recht. Sie mussten die hohen Tiere für ihre Sache gewinnen, dann würden die Schafe schon folgen.

      »Wie steht Göring zu den Entwicklungen? Was hält er von den Juden?«

      »Dasselbe wie wir auch«, bestätigte Holzer. »Sie besetzen unser ganzes Land wie blutsaugende Zecken und treiben es in den Ruin. Die Juden sind elende Ausbeuter, die nur auf ihren Gewinn aus sind und den Hals niemals vollbekommen können. Göring meint, dass sie an der Inflation schuld gewesen sind. Unsere Aufgabe ist es, dem deutschen Volk die Augen zu öffnen. Aufklärung. Berichte in den Zeitungen. Woher sollen sie es auch wissen, wenn wir sie nicht informieren.«

      Winter lauschte aufmerksam, sichtlich zufrieden damit, dass Holzer genau das aussprach, was auch in seinem Kopf vor sich ging. Sie mussten nun als Parteimitglieder die Verantwortung übernehmen, Aufklärung in den Schulen betreiben, Artikel für die Zeitungen schreiben. Am besten machten sie sich sofort an die Arbeit. Alle Geheimnisse entlarven und an die Öffentlichkeit bringen. Die ganze Stadt, das ganze Land, nein, ganz Europa sollte erfahren, wer die Juden wirklich sind.

      »Am 6. Februar findet unsere Siegesfeier zu Ehren Hitlers statt. Wir müssen Stillschweigen bewahren, nicht dass plötzlich Kommunisten auftauchen und einen Aufstand machen.«

      »Das wird wohl durchzuführen sein.«

      »Genauso schlimm wie die Kommunisten sind diese Katholiken. Pfarrer Resch und Chorregent Pfaffenhuber. Ich habe die beiden eingeladen, doch sie wollen nichts davon hören. Machen einen auf unpolitisch. Glaub mir, die machen mir nichts vor. Sie verabscheuen die Partei. Sie verabscheuen Hitler.«

      »Noch«, sagte Winter kalt. Jeder war kleinzukriegen. »Wie geht es deinen beiden Söhnen?«, fragte er, um das Thema zu wechseln, da er spürte, wie die Wut unkontrollierbar in ihm aufkochte.

      »Sehr gut, danke! Alfred ist jetzt Vorstand der Hitlerjugend. Er möchte wie ich Jura studieren. Ein Prachtbursche. Wie die Zeit vergeht, bald ist er achtzehn. Konrad eifert seinem Bruder nach. Er ist einer der sportlichsten Jungen in der Ortsgruppe.« Stolz schwang in Holzers Stimme mit.

      »Das freut mich zu hören. Wenn Kinder von klein auf deutsch aufwachsen, dann werden sie auch anständige Deutsche. Schade, dass nicht jeder so denkt wie du, Erwin!«

      Geschmeichelt fuhr sich der Anwalt durch den Schnauzbart und lächelte.

      »Wie geht es Helene? Hat sie sich schon etwas erholt?«

      »Wir waren gleich in der Nacht noch in der Praxis von Dr. Sedlmayr. Zwei Rippen sind gebrochen. Sonst zahlreiche Prellungen.«

      Holzer schlug sich die Hand vor den Mund und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.

      »Du liebe Zeit! Du weißt hoffentlich, von wem Sedlmayr seine Medikamente bezieht, mit denen er deine Helene behandelt?«

      »Nein«, sagte Winter.

      »Er holt sie bei Hans Sternlicht. Diesem Juden mit der Apotheke in der Innenstadt.«

      Plötzlich war Winters Hals staubtrocken und er hustete laut. Unfassbar. Wenn er das gewusst hätte, hätte er Helene woanders hingebracht. Doch genoss Sedlmayr nicht den besten Ruf?

      Winter nahm sich fest vor, den Doktor direkt damit zu konfrontieren. Er konnte seine Medikamente schließlich auch in arischen Geschäften erwerben. Dafür musste er nicht bei einem Juden einkaufen.

      »Erich, ich muss mich wieder an die Arbeit machen. Lass uns in der Mittagspause weiterreden. Ich habe viele neue Fälle auf den Schreibtisch bekommen.«

      Winter nickte und stand auf. Er glättete seine Uniform, riss den rechten Arm nach oben und verließ Holzers Büro, um in sein eigenes zu gehen. Auch er hatte viel Arbeit vor sich. Besser er fing gleich damit an.

      »Den haust du windelweich!« Simons aufmunternde Worte erreichten Jacob kaum. In seinen Augen lag Ferne. Volle Konzentration. Die Boxhandschuhe umschlossen seine Fäuste, und Schweißtropfen perlten über seine Stirn. Mit dem Unterarm wischte Jacob über seine blutende Nase. Mehr als einmal hatte sein Gegner harte Treffer gelandet. Schmerz pulsierte durch seinen Körper. Simon setzte ihm eine Trinkflasche an die aufgesprungenen Lippen und flößte ihm beinahe gewaltsam ein paar Tropfen Wasser ein. Seine Kehle war rau und trocken, sodass er husten musste.

      »Der ist doch viel zu fett. Schau ihn dir an, der pfeift schon aus dem letzten Loch. Lass ihn noch ein bisschen tanzen und dann hau voll zu.« Simons Zuversicht rührte ihn. Sein Bruder, immer auf seiner Seite. Immer glaubte er an ihn. Noch nie hatte Simon ihn im Stich gelassen. Er war nicht nur der Beste im Armdrücken, sondern auch ein hervorragender Boxer, der ihn noch dazu selbst trainierte.

      »Er ist zwei Jahre älter als ich«, begann Jacob, doch Simon fasste sein Gesicht mit beiden Händen und rüttelte ihn. Dabei blickte ihm sein Bruder tief in die Augen und endlich drangen seine Sätze zu ihm durch.

      »Jeder ist zu schlagen. Denk an David gegen Goliath. Man muss nur wissen wie. Der Junge hat einen Schlag, wenn der dich kalt erwischt, gehst du schlafen. Aber du hast blitzschnelle Beine und eine Lunge wie ein Rennpferd. Mach ihn müde.« Simon hatte recht. Er musste recht haben, wenn er den Kampf gewinnen wollte. Die Glocke ertönte zur nächsten Runde und Simon zog ihn auf die Beine. Zitterten diese etwa schon? Seine Knie schienen aus Gummi, sodass sie jeden Augenblick wegzuknicken drohten.

      Sein Gegner wippte schon in der Mitte des Boxringes umher, die Fäuste schützend vor seinem Gesicht. Herbert Bauer. Das Los hatte angeblich entschieden, dass er gegen ihn kämpfen sollte, doch Jacob bezweifelte dies. Fakt war, dass Herbert zwei Jahre älter war, einen Kopf größer und bestimmt zehn Kilo mehr auf die Waage brachte als er selbst. Ein würdiger Gegner für seinen Bruder. Simon hatte die Wahrheit gesagt. Ein ungleicher Kampf. David gegen Goliath. Jude gegen Vorzeigedeutschen. Ein ausgeklügelter Plan, damit Herbert stolz die Schärpe über den Kopf ziehen und die Fäuste nach oben reißen konnte, während er selbst mit dem Gesicht auf dem Boden lag und den Schweißgeruch, der sich dort festgesetzt hatte, einatmen musste.

      Mach ihn müde. Wie ein Echo hallten Simons Worte durch seinen Kopf. Beinarbeit. Technik. Geschwindigkeit. Der Schiedsrichter gab den Kampf frei und Herbert stürzte wie ein hungriger Wolf nach vorne. Keuchend bleckte er die Zähne. Sein nackter Oberkörper glänzte vom Schweiß. Die ersten Schläge wirbelten durch die Luft, ohne ein Ziel zu treffen, da sich Jacob unter seinen Fäusten pfeilschnell wegduckte. Rechts. Links. Runter. Ein paar Schritte zurück. Ein paar Schritte nach vorn. Herbert war Linkshänder. Das wusste Jacob von der Schule, doch auch spätestens, nachdem er ihn hart im Gesicht erwischt hatte. Mit der rechten Hand schlug Herbert viel langsamer zu. Als der Riesenkerl ausholte und ins Leere taumelte, machte Jacob einen Satz nach vorne und rammte ihm seine Faust mit voller Wucht leicht seitlich in den Bauch. Volltreffer. Er hatte den Schlag unterhalb von Herberts Brust platziert. Direkt in die Leber. Herbert jaulte laut auf und ließ sich zu Boden sinken. War der Kampf schon vorbei? Der Riese krümmte sich unter Schmerzen und der Schiedsrichter begann laut anzuzählen. Simon jubelte aus den Rängen. Dann war Herbert plötzlich wieder auf den Beinen. Ein harter


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