Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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maulte Simon. »Das hat der mit Absicht gemacht, damit er sich erholen kann. Ein richtig guter Schlag!«, lobte er und klopfte seinem Bruder anerkennend auf den Rücken.

      »Ich hab ihn richtig erwischt. Man konnte es regelrecht spüren. Wie du es mir beim Training gesagt hast.«

      »Schau ihn dir an! Er ist schon ganz bleich und kann kaum aufrecht sitzen. Sein Kreislauf verabschiedet sich bald. Ein Leberhaken ist tückisch.«

      Simon war ein sehr guter Trainer. Er war in der Lage, die Körpersprache seines Gegenübers zu lesen und hatte sein Wissen an seinen kleinen Bruder weitergegeben. Als Kinder hatten sie viel gerauft und ihre Kräfte gemessen, doch einen ernsten Boxkampf würde es zwischen ihnen niemals geben.

      Die Glocke schrillte erneut und Jacob stand auf einmal leichtfüßig auf. Ein Treffer, und jetzt schien auch sein Kopf wieder voll bei der Sache zu sein. Er glaubte wieder ans Gewinnen.

      Herberts Augen flackerten verdächtig, so als würde er Mühe haben, wach zu bleiben, doch mechanisch holte er immer wieder zum Schlag aus. Sein Trainer rief wie wild Ratschläge in den Ring. Jacob täuschte mit links an und ließ seine rechte Faust gegen Herberts Kiefer prallen. Dieser zog seinen Gegner jetzt kräftig an sich heran und klammerte sich fest. Jacob versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien, doch plötzlich durchzuckte ihn ein alles betäubender Schmerz. Herberts Faust hatte ihn mit voller Wucht unterhalb der Gürtellinie getroffen. Jacob zog die Luft ein wie ein Karpfen auf dem Trockenen, krümmte sich am Boden und wollte den Schmerz herausschreien. In Wellen pulsierte er durch seinen Körper und er hatte das Gefühl, sich sofort übergeben zu müssen.

      »Er hat ihn unter der Gürtellinie getroffen! Das ist ein Foul!«, schrie Simon zornig, doch der Schiedsrichter reagierte nicht.

      »Steh auf, du dreckiger, kleiner Jude und kämpfe anständig!«

      Herberts Worte prasselten wie Nägel auf ihn herab. Verletzend. Zerstörend. Er war ihnen schutzlos ausgeliefert und sie taten mehr weh als alle Schläge zuvor. Jude. Das Wort schmeckte bitter auf seiner Zunge, als er es wisperte.

      Das Publikum brach in Beifall aus und Herbert riss die Hände in Siegerpose nach oben. Nein. So einfach konnte er es ihm nicht machen. David gegen Goliath. David gegen Goliath.

      Jacob biss die Zähne zusammen und rappelte sich unter den Zurufen seines Bruders auf. Nach Anzahl der Treffer konnte er nicht mehr gewinnen. Außerdem war das Ganze ein ausgemachtes Spiel, wenn der Schiedsrichter nicht einmal bei einem Tiefschlag einschritt. Ein K.O. war alles, was zählte. Jacob wollte seine Fäuste in Herberts grinsender Fratze versenken. Er wollte, dass sein arrogantes Lachen verstummte. Er wollte respektiert werden. Beweisen, dass auch ein Jude kämpfen konnte. Jacob nickte dem Schiedsrichter zu, der überrascht die Augenbrauen hob.

      »Brechen Sie den Kampf ab. Sehen Sie nicht, dass der kleine Jude schon völlig am Ende ist«, rief Herberts Trainer hinein, doch der Schiedsrichter gab die neue Runde frei.

      Der Riese hatte Kraft getankt, während er selbst am Boden wie ein Wurm herumgekrochen war. Jacob spürte aber, dass Herbert nicht mehr Herr seiner Emotionen war. Blanker Hass sprang aus seinen Augen. Er drosch blind vor Wut drauflos, ohne auf seine Technik zu achten. Da. Keine Deckung. Mit der Rechten holte Jacob aus und erwischte Herbert hart an der Schläfe. Wie ein Mehlsack fiel er um. Unkontrolliert. Bewusstlos.

      »Eins. Zwei. Drei …«, begann der Schiedsrichter, und Simon sprang bei Zehn in den Ring und hob Jacob vor Freude schreiend nach oben. Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht und erst da wurde Jacob bewusst, dass er gewonnen hatte. Der Kampf war zu Ende. Herbert hatte das Bewusstsein zurückerlangt und rappelte sich benommen auf.

      »Das ist ungerecht«, beschwerte sich sein Trainer und rannte wild gestikulierend auf den Schiedsrichter zu. »Der war doch schon am Boden, der Kampf war schon längst zu Ende.« Mit seinem Wurstfinger deutete er auf Jacob, das Gesicht feuerrot.

      Der Schiedsrichter schüttelte aber entschlossen den Kopf, ging auf Jacob zu und riss dessen Hand nach oben. Ein K.O. war schließlich ein K.O. Daran gab es nichts zu rütteln.

      Glücksgefühle strömten wie Quellwasser durch Jacobs Körper. Er hatte tatsächlich Herbert Bauer besiegt. Dieser stampfte wie ein Kleinkind auf und schimpfte vor sich hin. Sein Trainer versuchte ihn zu beruhigen. Endlich trat er einen Schritt auf Jacob zu, der dachte, dass Herbert ihm gratulieren wollte. Stattdessen starrte er ihn hasserfüllt an.

      »Das wirst du bereuen, du verdammter Jude! Du hast gerade dein Todesurteil unterschrieben. Ich mache dich fertig.« Im Vorbeigehen funkelte er Simon an, der spöttisch grinsend die Arme vor der Brust verschränkte und Herbert frech in die Augen sah.

      »Dann viel Glück. Du musst es wohl gegen uns beide aufnehmen, aber jetzt hast du schon einmal gegen meinen kleinen Bruder verloren.«

      Herbert schnaubte wie ein Rhinozeros und war kurz davor, Simon zu schlagen. Er hatte bereits die Boxhandschuhe achtlos auf den Boden geworfen und knackte mit den Fingerknöcheln. Die Fäuste geballt, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander getrennt.

      Auf einmal entschied sich Herbert aber gegen einen Kampf und verließ zornig den Boxring. Als sein Trainer ihn berühren wollte, schlug er dessen Hand von seiner Schulter. Simon hob Jacob in die Luft und setzte ihn auf seine Schultern.

      »Du hast gewonnen. Du hast gewonnen!«

      Mit einem Mal war die Euphorie, die eben noch vollständig von ihm Besitz ergriffen hatte, wie weggeblasen. Herbert hatte seine Worte ernst gemeint. Eine schreckliche Wahrheit. Er würde alles daransetzen, ihm ab sofort das Leben zur Hölle zu machen. In der Schule. Im Schulhof. Auf dem Heimweg. Überall. Jacob wusste, dass Herbert nicht alleine war, er hatte Rückendeckung. Jacobs Herz rutschte ihm in die Hose. Er fühlte sich nicht wie ein Gewinner. Er fühlte sich klein und schwach. Wie ein ängstliches Rehkitz, das dem Rudel Wölfe schutzlos ausgeliefert ist. Während der Schiedsrichter ihm die Siegesschärpe über den Kopf zog, fühlte er sich wie der größte Verlierer aller Zeiten.

      Winter beäugte sich im Spiegel, als er sich für die Siegesfeier der Nationalsozialisten ankleidete. Seine hellbraunen Haare klebten ihm aus unerfindlichen Gründen an der Stirn und ließen sich nicht bezähmen. Langsam verlor er die Geduld. Unter den Fransen blickten ihn hellgrüne Augen an. Winter war nicht besonders groß gewachsen und seine Beine formten sich zu einem leichten O. Obwohl er seinen schmalen, schmächtigen Körperbau verabscheute, liebte er nichts mehr als seinen Anblick in der SS-Uniform. Wenn sein Vater ihn doch nur so sehen könnte. Sobald sich die Uniform an seinen Körper schmiegte, fühlte er sich viel größer, stärker und mächtiger. Er war jemand. Eine Persönlichkeit. Das Hakenkreuz zierte seinen linken Oberarm. Winters Frau Helene tauchte im Spiegelbild auf, und ihr Atem kitzelte ihn im Nacken.

      »Du weißt, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn du dich so anschleichst.«

      »Du siehst einfach fabelhaft aus, Erich. Beeindruckend!«, raunte sie voller Ehrfurcht und er nickte ihr zu. Seit gestern schien es mit ihr wieder etwas bergauf zu gehen. Endlich war sie wieder in der Lage Treppen zu steigen, denn das ewige Rauf und Runter, wenn sie etwas benötigte, ging ihm gehörig auf die Nerven.

      »Diese Uniform«, schwärmte sie weiter, »sie macht dich zu einem Helden.« Lächelnd küsste sie ihn auf die Wange. Ihre Lippen kratzten leicht über seine Haut.

      »Ich muss los, Helene. Überanstrenge dich bitte nicht.« Er küsste sie flüchtig, befestigte dann noch seinen Schlagstock am Gürtel und verließ das Haus. Er fuhr mit dem Auto zur Kanzlei und stellte es auf dem Parkplatz davor ab. Erwin Holzer erwartete ihn bereits, auch er trug seine SS-Uniform.

      Zu Fuß machten sich die beiden Männer auf den Weg zur Wirtschaft. Vor dem Gasthaus blähte sich die nationalsozialistische Flagge im Wind. Winter und Holzer salutierten zackig und betraten dann den Keller. Die anderen Parteimitglieder, die bereits anwesend waren, begrüßten sie mit einem lauten »Heil Hitler«. Winter und Holzer nahmen am Stammtisch Platz und der Wirt reichte ihnen sofort einen vollen Bierkrug.

      »Die Sozis und die Kommunisten haben ihre Reichsbanner auf dem Max-Josefs-Platz aufgestellt. Genau da geht unser Siegeszug durch«, rief einer der Männer und Winter knallte


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