Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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sondern neue Wege zu führen, um zum Erfolg zu kommen.«

      »Ich kann den Blödsinn nicht mehr mit anhören.« Georg Sedlmayr drehte das Radio ab.

      »Es ist schon spät geworden, Schorsch. Wir wollen euch keine Umstände machen und machen uns am besten gleich auf den Heimweg«, sagte Hans.

      »Das kommt ja überhaupt nicht in Frage. Der ganze Pöbel ist auf den Straßen unterwegs. Ich lasse nicht zu, dass ihr auch nur einen Fuß nach draußen setzt. Ausgeschlossen! Sofia wird euch die Betten im Gästezimmer herrichten. Hermann schläft bei Karl, und deine Jungen können dann sein Zimmer haben. Jacob kann von mir aus zu Hannah.«

      Theresa zog laut die Luft durch die Zähne, doch ihr Mann ignorierte sie. Georg Sedlmayr duldete keinen Widerspruch, sodass die Sternlichts doch am gedeckten Tisch Platz nahmen. Das Essen verlief schweigend. Es war genug gesagt worden. Nachdem das Abendbrot beendet war, nutzten Hannah und Jacob sofort ihre Chance, um sich schnellstmöglich abzuseilen. Karl war weg, und keiner wusste, wann er wiederkommen würde.

      Als sie aus dem Badezimmer kam, lag Jacob schon auf der Gästematratze auf dem Fußboden. Hannah löschte das Licht und hörte Jacob in der Dunkelheit laut atmen.

      »Papa hat mir heute Angst gemacht. Glaubst du auch, dass es Krieg geben wird?« Keine Antwort. »Jetzt sag schon endlich. Glaubst du es auch?«

      »Ich glaube nicht, dass es so schlimm wird, wie dein Vater gemeint hat. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus.« Die Bettdecke raschelte. »Schlaf jetzt, Hannah. Mach dir nicht zu viele Gedanken.«

      Hannah drückte ihr Gesicht ins weiche Federbett mit dem frisch gewaschenen Bezug, doch heute konnte sie den Duft nach Frühling einfach nicht riechen.

      Als Hannah und Jacob am Morgen zum Frühstück heruntertapsten, saß nur Theresa Sedlmayr am Eichentisch. Jacobs Eltern schliefen noch und die älteren Jungen waren dabei, sich anzuziehen und für die Schule fertigzumachen. Hannah hatte die lautstarke Diskussion, wer zuerst ins Badezimmer durfte, von der Treppe aus mitverfolgt. Ihre Lippen formten sich zu einem Lächeln, als Karls Stimme an ihre Ohren drang. Er war nach Hause gekommen und es ging ihm gut. Ob er ein Donnerwetter zu erwarten hatte?

      Theresa blätterte durch die Zeitung und stieß hin und wieder einen lauten Seufzer aus. Hannah erkannte, dass ein großes Bild von Hitler auf der Titelseite prangte und die Seiten mit Informationen zur Machtergreifung gefüllt waren. Fragend blickte sie ihre Mutter an und hoffte, dass sie ihnen etwas sagen würde, Stellung beziehen, sie beruhigen, doch Theresas Lippen blieben stumm. Ihre Anspannung sprang sofort auf Hannah über, die sich steif auf ihren Stammplatz am Tisch setzte.

      Wortlos faltete Theresa die Zeitung zusammen, stand auf und legte sie auf die Ofenbank. Hannahs Finger juckten vor Neugierde. Wie gern wäre sie aufgestanden und hätte die Zeitung genommen, Seite für Seite gelesen, die Nachrichten verschlungen, doch sie saß wie versteinert da und blickte voller Sehnsucht auf das große Stück Papier. Vielleicht konnte sie später einen Blick hineinwerfen.

      »Ist Papa schon in der Praxis?«, wollte sie von ihrer Mutter wissen und griff über den Tisch nach einer Scheibe Brot. Jacob kaute bereits genüsslich und häufte wieder ein paar Löffel der Erdbeermarmelade auf, die Sofia im Sommer selbst gemacht hatte.

      »Er ist bei einem Notfall. In der Nacht hat jemand angerufen. Anscheinend gab es gestern ein paar Zwischenfälle.« Theresa betonte das letzte Wort merkwürdig, so als hätte sie kurz überlegen müssen, wie sie es ausdrücken sollte.

      »Was für Zwischenfälle?«

      »Was weiß ich! Er hat mir auch nichts gesagt und ist gleich losgefahren.« Theresas Stimme klang zornig, und Hannah hatte das Gefühl, als hätte sie etwas falsch gemacht. »Iss nicht zu viel von der Marmelade. Sofia hat sie mit Unmengen Zucker gesüßt. Ungenießbar!«

      Hannah blickte auf ihre Brotscheibe, die mit der leuchtend roten Masse bedeckt war, und legte sie halb angebissen zurück auf ihren Teller. Jacob zuckte nur mit den Schultern und schob sich bereits die vierte Scheibe in den Mund. Junge müsste man sein!

      Vom ersten Stock polterten ihre Brüder zusammen mit Simon und Levi die Treppe herunter. Sie alle trugen Lederhosen und Strümpfe, die über die Waden gezogen waren. Hannah bemerkte, wie die Augen ihrer Mutter vor Stolz glühten, als ihre Söhne neben ihr Platz nahmen. Obwohl sie es nicht wollte, keimte Eifersucht in ihr auf. Warum konnte die Mutter sie nicht einmal so ansehen? Nur ein einziges Mal!

      Auch Levi schlurfte auf den Tisch zu, seine Augenlider schwer wie Gardinen. Die Nacht war für ihn zu kurz gewesen. Gähnend griff er nach einem Glas Milch, stützte den Kopf auf und nippte immer wieder. Als er aufsah, säumte seine Oberlippe ein Milchbart. Hannah musste schmunzeln.

      Simon wünschte Jacob einen guten Morgen und wuschelte durch seine dunkelblonden Haare. Karl erblickte die Zeitung auf der Ofenbank, hastete durchs Wohnzimmer und riss das Papier an sich.

      »Es sind Bilder von uns drin«, raunte er stolz und zeigte die Aufnahmen in die Runde. Hannah erkannte Menschenmengen und einzelne, die Fackeln in die Höhe hielten, ihre Gesichter wirkten glücklich. In ihren Augen Euphorie und Begeisterung.

      »Sieht man dich auch, Karl?«, wollte Hermann wissen.

      »Ich hoffe nicht! Euer Vater würde völlig den Verstand verlieren, wenn sein Sohn auf den Bildern dieses – wie hat er es genannt – Narrenzuges zu erkennen wäre. Das hat Papa wirklich nicht verdient. Du hast ihm gestern den ganzen Schlaf geraubt, Karl. Er war krank vor Sorge!«, richtete sie nun das Wort an ihren jüngeren Sohn. Karls Wangen färbten sich etwas rot, doch er zuckte nur mit den Schultern und blätterte weiter in der Zeitung. Auch Hermann und Simon rückten näher zusammen, um alles genau sehen zu können.

      »Ihr seid ja bis zum Max-Josefs-Platz marschiert«, staunte Hannah. »Wie bist du denn nach Hause gekommen? Etwa wieder gelaufen?«

      »Max’ Vater hat mich mitgenommen. Er ist in der Partei.« Karl reckte das Kinn nach oben und der Stolz, den er empfand, ließ sich nicht verbergen.

      »Du solltest lieber etwas essen, bevor Sofia den Tisch abräumt«, mahnte Theresa. Sie holte eine Haarbürste und begann, Hannahs lange, goldblonde Haare zu kämmen. Theresa flocht seitlich zwei Zöpfe, schlug sie einmal um und band sie jeweils mit einer hellblauen Schleife, die farblich genau zu Hannahs Dirndlkleid passte, gekonnt zu großen Affenschaukeln zusammen. Sie fasste Hannah am Kinn und drehte ihren Kopf nach rechts und links, um ihr Kunstwerk zu betrachten. Theresa strich ihrer Tochter noch eine Strähne hinter das Ohr und befestigte diese mit einer Klammer. Zufrieden nickte sie. Die Kopfhaut spannte, da die Zöpfe sehr streng geflochten waren, doch Hannah schluckte ihren Protest hinunter. Sie würde die Schaukeln später in der Schule etwas lockern.

      »Guten Morgen.« Sofia betrat mit einem Lächeln das Esszimmer und legte jedem eine Brotzeittüte auf den großen Tisch. Hannah spähte hinein und grinste. Brot mit Marmelade und ein rot leuchtender Apfel. Sofia wusste stets, was die Kinder am liebsten aßen. Manchmal steckte sie heimlich eine Süßigkeit dazu, damit Theresa es nicht bemerkte. Diese war nämlich der Auffassung, dass sofort alle Zähne ausfielen, wenn sie mit Zucker in Kontakt kämen.

      Nachdem alle mit dem Frühstück fertig waren, begleitete sie Sofia zur Tür, damit sie nicht zu spät zur Schule kamen. Levi hatte es nicht weit in die nahegelegene Volksschule, während sich die Älteren denselben Schulweg teilten. Sie alle besuchten das Humanistische Gymnasium in der Stadt. Jacob und Hannah die dritte Klasse, Karl und Simon die fünfte, und Hermann war bereits in der Oberstufe.

      Als sie nach draußen traten, empfing sie wieder die gewohnte Kälte. Wann würde es endlich etwas wärmer werden? Am Tor verabschiedeten sie sich von Levi, der in die andere Richtung bog. Die Straßen wirkten wie ausgestorben. Hannah vermisste das sonst übliche Treiben, wenn die Menschen in die Arbeit und in die Schule strömten. Hatte es etwas mit der gestrigen Nacht zu tun?

      An der Schule angekommen, schlugen Hannah und Jacob den Weg zu ihrem Klassenzimmer ein. Hintereinander marschierten sie durch die Tür und Hannah staunte, als sie bemerkte, dass viele Klassenkameraden bereits das Hakenkreuz


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