Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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Rauchnote hatte. Sie mochte die lächelnden, blauen Augen, die Jacob von ihm geerbt hatte. Seine Ruhe. Den scharfen Verstand. Er trug einen langen Bart, in den sich einige graue Haare webten. Hans Sternlicht und Georg Sedlmayr waren eng befreundet. Vertraute. Sie waren Kameraden gewesen und gemeinsam aus dem Krieg heimgekehrt.

      »Ungewöhnlich ist es aber trotzdem. Da gebe ich dir recht«, ergriff Hans erneut das Wort. »Vor ein paar Jahren noch hat die NSDAP bei der Reichstagswahl lediglich ein paar Prozent der Stimmen erhalten.«

      »Genau das ist der springende Punkt! Hitler und seine Anhänger werden übermächtig. Glaub mir, Hans! Hitler bedeutet Krieg!«

      Die Luft im Wohnzimmer schien zum Zerreißen gespannt und plötzlich herrschte Totenstille. Georg Sedlmayr hatte von Krieg gesprochen. Das lange Schweigen, das eintrat, schmerzte Hannah mehr in den Ohren als lautes Gebrüll.

      »Jetzt übertreibst du aber, Schorsch. Rede doch nicht solch einen Blödsinn! Du machst ja noch die Pferde wild und setzt den Kindern Flausen in den Kopf.« Theresa Sedlmayr, Hannahs Mutter, schüttelte erzürnt den Kopf. Sie war eine hochgewachsene Frau schmaler Statur. Auch nach drei Geburten war ihre Taille gertenschlank. Von ihrer französischen Mutter hatte sie die leicht schrägen Augen und die tintenschwarzen Wimpern geerbt. Nach wie vor war sie eine Schönheit.

      »Binnen vier Jahren muss der deutsche Bauer der Verelendung entrissen sein. Binnen vier Jahren muss die Arbeitslosigkeit endgültig überwunden sein«, drang die Stimme aus dem Radio.

      Auch in Rosenheim war die Arbeitslosigkeit ein leidiges Thema. Die Bürgerinnen und Bürger tuschelten am Zaun des Nachbarn darüber. Sie suchten nach Arbeit auf einem der vielen Höfe, die genug Geld abwarf, um die hungrigen Mäuler daheim zu stopfen. War die Lage wirklich so aussichtslos? Im ganzen Land? Ihr Vater arbeitete seit Jahren als Arzt. Hans Sternlicht unterhielt eine Apotheke in der Innenstadt.

      »Hitler ist der Einzige, der die Bevölkerung aus der Not und der sozialen Unterdrückung befreien kann.« Karl, der bisher an der Wand gelehnt hatte, richtete sich nun zu voller Größe auf. Schon jetzt überragte er Hannah um einen halben Kopf. Seine Beine waren lang und dünn wie Stelzen. Die Haare honigfarben.

      »Wie kommst du denn auf diesen Kuhmist?«, blaffte Georg Sedlmayr seinen Sohn an. »Als ob du auch nur einen Funken Ahnung von Politik hast. Befreiung. Befreiung! Hindenburg stürzt uns alle ins Verderben.« Seine Brust hob und senkte sich, als würde ihn das Sprechen anstrengen. »Wir hatten schon einmal einen Krieg. Seitdem bin ich hellhörig. Wie wir wissen, ist dieser verdammte Krieg nicht gut für uns ausgegangen.«

      »Das hier ist doch etwas völlig anderes, Schorsch«, fauchte seine Frau. »Du wirst ja richtig wild mit deinem Kriegsgefasel. Wie immer malst du den Teufel an die Wand!«

      »Denk an meine Worte, Resi!«

      Theresa Sedlmayr verzog den Mund und schüttelte den Kopf.

      »Wir werfen einen Blick ins Arbeitszimmer Adolf Hitlers. Im hellen Licht steht er am Fenster und blickt hinaus auf die vorbeimarschierende SS, auf die ungeheuren Menschenmassen, die ihm zujubeln. Adolf Hitler steht mit todernstem Gesicht am Fenster. Er ist eben aus seiner Arbeit herausgerissen, keine Spur von irgendwelcher Siegesstimmung, die auf seinem Gesicht liegt. Er ist nur unterbrochen worden und doch leuchtet es in seinen Augen über dieses erwachende Deutschland, über die Massen von Menschen aus allen Ständen, aus allen Schichten der Bevölkerung, die hier vorbeimarschieren. Arbeiter der Stirn und der Faust.« Der Sprecher überschlug sich fast vor Begeisterung.

      Wie konnte ihr Vater denn so negativ sein? Alles klang großartig. Vielleicht übertrieb er ja wirklich, wie ihre Mutter es gesagt hatte. Im Radio konnte man doch nicht einfach irgendwelche Lügen erzählen. Schließlich hörten so viele Menschen zu.

      Dr. Sedlmayr polterte zum Wohnzimmer hinaus und warf die Tür ins Schloss, die aber mit einem Knall wieder aufsprang.

      »Ich sehe wohl besser mal nach ihm«, sagte Hans Sternlicht.

      »Er muss jetzt nicht seine ganze Wut an den Türen auslassen«, schimpfte Hannahs Mutter. Mit beiden Händen strich sie sich das Kleid glatt, das vom Sitzen etwas verknittert war.

      In der Küche hörte Hannah Sofia mit dem Geschirr klappern.

      »Schorsch besteht bestimmt darauf, dass ihr zum Abendessen bleibt. Wir haben frisches Bauernbrot gebacken«, sagte Theresa Sedlmayr zu Jacobs Mutter.

      »Warum ist Papa so wütend? Wird es wirklich Krieg geben?«, flüsterte Hannah ihrer Mutter zu.

      »Hannah«, rief sie laut aus, sodass alle sich ihr zuwandten. »Ich hätte wirklich nicht geglaubt, dass auch du so ein dummes Schäfchen bist. Jetzt hör auf vom Krieg zu reden. Genau das habe ich vorhin gemeint. Dein Vater setzt dir Flausen in den Kopf.«

      »Hoffentlich! Hoffentlich wird es Krieg geben. Hitler will doch was gegen die Arbeitslosigkeit machen. Außerdem wurde Deutschland beim Versailler Vertrag über den Tisch gezogen. Ich würde sofort in den Krieg ziehen, wenn es sein muss«, mischte sich Karl ein.

      »Natürlich würdest du das, mein Engel. Aber jetzt will ich kein Wort mehr vom Krieg hören. Verstanden!«

      Im ersten Stock hörte man die beiden Männer noch lautstark diskutieren.

      »Komm, wir decken den Tisch, während Sofia das Essen vorbereitet«, raunte Jacob Hannah zu.

      Georg und Hans kamen mit erhitzten Gesichtern die Treppe herunter. Laut schnaubend ließ sich Hannahs Vater auf einen der Holzstühle fallen.

      Von draußen drangen plötzlich Geräusche herein. Durch die Gassen auf der Rückseite des Hauses hallten Lieder und lautes Gelächter. In der nächsten Sekunde waren alle Kinder am Erkerfenster, das auf die Straße blickte. In nicht allzu weiter Ferne erkannte man einen Zug von Menschen, der sich die Straße entlangschlängelte. Das Licht der Fackeln tanzte über ihnen und erfüllte die Dunkelheit. Hannah drückte sich die Nase an der Scheibe platt. Lachen. Rufe. Was musste es für ein Gefühl sein, da dazuzugehören! Der Wunsch, sich dem Treiben anzuschließen, keimte so schnell in ihr hoch wie eine Knospe in der Frühlingssonne.

      »Seht mal da!«, rief Karl, der auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnzimmers aus dem Fenster geblickt hatte. Zwei Jungen standen vor dem Tor und winkten. »Das ist ja Max!« Karl eilte zur Garderobe und griff nach seinem Mantel.

      »Hiergeblieben!« Georg Sedlmayr lief, so schnell es sein Bein erlaubte, hinter seinem Sohn her. Er packte ihn am Arm, bevor dieser die Haustür aufreißen konnte.

      »Zurück ins Wohnzimmer sag ich dir!« Seine Stimme war scharf wie ein Messer. Hannah erstarrte. Noch nie hatte ihr Vater gegen eines der Kinder so die Stimme erhoben, geschweige denn eines je grob angefasst.

      »Alle meine Freunde sind da draußen. Es ist meine Entscheidung, was ich mache. Ich bin ja kein kleines Kind mehr.« Karl riss sich los und rannte zur Tür hinaus. Die Nacht war klar. Ein samtiges Schwarz mit einem Himmel voller Sterne.

      Georg Sedlmayr warf die Tür ins Schloss und fluchte vor sich hin. Karl war weg. Die Sternlichts warfen sich irritierte Blicke zu. Keiner wollte sich einmischen.

      »Lass den Jungen doch seinen Spaß haben. Schließlich habe ich Max selbst gesehen. Was ist schon dabei.« Theresa schnalzte mit der Zunge.

      »Göring wird gleich im Radio zu hören sein«, brummte Hannahs Vater.

      »Göring ist hier in Rosenheim geboren worden«, erklärte ihr Hans, da er Hannahs fragenden Blick aufgefangen hatte. »Er hat die ersten drei Jahre seines Lebens bei Familie Graf verbracht. Eure Großmutter war damals mit Frau Graf befreundet, und sie sind öfter mit den Jungen spazierengegangen. Göring und dein Vater sind ja beinahe gleich alt.«

      Das Radio wurde wieder laut. »Hunderttausend und Aberhunderttausend SA, SS, Stahlhelm, Volk und immer wieder Volk strömte vorbei, um den geliebten Führer zu sehen. Strömte vorbei, um damit kundzutun, dass heute ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte gekommen ist. Darin sehen wir auch den Zusammenschluss der deutschen Nation. Hunderttausend im ganzen Land, Millionen deutscher Menschen fällt eine Zentnerlast von der Brust herunter, sie glauben


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