Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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der Partei. Er hat wohl Tomaten auf den Augen. Ich habe ihm zwar versichert, dass wir in Notwehr handeln mussten, aber wir lassen uns sicher nicht von den Kommunisten angreifen. Der Bürgermeister sollte mal deinen Arm sehen.«

      Winter nickte zustimmend. »Angeblich wurden auch Schaulustige und Passanten verletzt.«

      »Das kann ich mir nicht vorstellen. Es wird schon die Richtigen mit dem Knüppel erwischt haben.« Er schnippte ein paar lästige Flocken von seiner Uniform.

      »Dieser Herr Bürgermeister klang ja nicht unbedingt begeistert.«

      Holzer schüttelte energisch den Kopf. »Nein, es hat sich fast so angehört, als wäre er ein Gegner der Nationalsozialisten.«

      »Den müssen wir loswerden.« Winters Stimme war leise, beinahe sanft wie der Schneefall. Holzer schien ganz Ohr.

      »Wir brauchen noch mehr Stimmen. Es muss so aussehen, als wären die Kommunisten an allem schuld.«

      »Waren sie doch auch. Sie haben den Aufstand angezettelt. Sie haben mir ein Messer in den Arm gerammt. Hätten wir uns nicht gewehrt, wäre ich vermutlich nicht mehr hier.«

      »Ich werde mich sofort an die Pressestelle wenden. Die Bürger müssen schließlich erfahren, dass wir sie vor den Kommunisten beschützen wollten. Sie haben sich heute mehr denn je als Feinde des Reiches ausgesprochen.«

      »Das spricht der Jurist, Erwin. Erstaunlich wie schnell du weiterdenkst. Wirklich beeindruckend. Wir müssen die Presse für uns gewinnen. Jeder idiotische Bauer, jeder Maurer und jeder Kanalarbeiter glaubt doch den Zeitungen, als würde das Wort Gottes gepredigt. Wenn wir die Presse auf unsere Seite ziehen, dann gewinnen wir die ganze Stadt.«

      Holzer klopfte ihm väterlich auf die Schulter. »Genau so machen wir es. Ich wende mich sofort an die Pressemitarbeiter, damit sie von den heutigen Angriffen der Kommunisten berichten. Nicht, dass die am Ende schneller auf der Matte stehen als wir.«

      Die beiden Männer verabschiedeten sich. Holzer machte sich auf den Weg zur Pressestelle, während Winter nach Hause wollte, zu Helene. Ihre Augen würden aufleuchten, wenn er ihr die Verletzung zeigte. Er hatte schließlich eine Messerattacke überlebt. Winter konnte es kaum erwarten, von seiner Heldentat zu berichten. Er musste wieder zu Kräften kommen. Nicht nur sein Arm war getroffen worden, sondern auch sein Selbstbewusstsein. Zu Hause konnte er seine Wunden lecken und sich von Helene bestaunen lassen.

      Erschrocken fuhr Hannah aus dem Schlaf, als sie im Wohnzimmer das Telefon klingeln hörte. Ihre langen Haare klebten im Nacken und sie strich sich eine Strähne von den Augen. Das Mädchen schlug die Federdecke weg und tapste barfuß über den kalten Boden. Auf Zehenspitzen schlich sie in ihrem Nachthemd die Treppe nach unten.

      Ihr Vater musste schon beim ersten oder zweiten Klingeln aufgesprungen sein, da er trotz des verletzten Beines schneller unten war als sie. Eine noch nie gesehene Sorgenfalte zog sich quer über seine Stirn, während er sich den Hörer ans Ohr presste. »Und dir ist auch sicher nichts passiert?«

      Hannahs Herz hämmerte hart gegen ihre Brust. Was konnte passiert sein? Wer war am Telefon? Vorsichtig schlich sie zu einem der grünen Samtsessel und ließ sich auf das Polster sinken.

      »Das ist nicht dein Ernst!«, fuhr ihr Vater fort. »Brandstiftung! Sind sie sich absolut sicher?«

      Hannah setzte sich alarmiert auf. Plötzlich erschien ihre Mutter im Wohnzimmer. Sie bemerkte ihre Tochter sofort auf dem Stuhl. »Was machst du denn hier unten? Belauschst du etwa deinen Vater?«

      Georg Sedlmayr fuhr herum, legte dann die Hand über die Sprechmuschel und wandte sich seiner Frau und seiner Tochter zu.

      »Der Berliner Reichstag hat gebrannt! Onkel Tim ist am Apparat«, meinte er aufgelöst. Obwohl Theresa gerade erst aufgestanden war, hatte sie sich bereits das Haar glatt gekämmt und einen Seidenmantel über das Nachthemd geworfen.

      »Wie bitte? Frag ihn, wie das passieren konnte.«

      Georg war wieder in das Gespräch vertieft, doch Theresa ließ nicht locker.

      »Jetzt frag ihn doch endlich, wie das passieren konnte. War er vor Ort? Wie viel ist abgebrannt?« Fragen über Fragen. Als ihr Mann nicht antwortete, ging Theresa auf ihn zu und wollte ihm das Telefon aus der Hand nehmen.

      »Einen Augenblick bitte, Tim.« Georg drehte sich zu seiner Frau um. »Resi, was soll das. Ich bin gerade am Telefon. Wenn ich fertig bin, erzähle ich alles.« Theresa warf ihr schulterlanges Haar zurück und verschränkte mit wütender Miene die Arme vor der Brust. Onkel Tims Stimme am anderen Ende der Leitung konnte man leider nicht verstehen, aber er redete offenbar wie ein Wasserfall. Endlich verabschiedete sich Georg und hängte auf.

      »Was ist nun?«, fuhr ihn Theresa an.

      »Brandstiftung«, erwiderte er knapp, und Theresa schlug sich theatralisch die Hände vor den Mund.

      »Wie ist das möglich? Wer zündet denn den Reichstag an?«

      Tim Sedlmayr war Georgs älterer Bruder und Abgeordneter der Sozialisten im Berliner Reichstag. Seit etlichen Jahren lebte er nun schon mit seiner Frau und den beiden Kindern in der Hauptstadt. Er bekam alle politischen Auswirkungen sofort aus erster Hand mit.

      »Bereits in der Nacht wurde die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat verfasst. Direkt nach dem Brand! Die Öffentlichkeit weiß noch gar nichts davon. Tim hat es nur im Vorfeld erfahren, da er Abgeordneter ist und es die Runde gemacht hat. Unfassbar! Mit diesem Gesetz sind praktisch alle Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt. Tim meint, dass dieser Schritt den Weg zur Verfolgung aller politischen Gegner legalisiert. Er muss aufpassen.«

      »War er dabei, als der Reichstag in Flammen aufging?«, wollte Theresa wissen, ohne auf die Aussage ihres Mannes einzugehen.

      »Nein. Er hat einen Anruf erhalten und ist sofort losgefahren. Ein gigantisches Feuer hat ganz Berlin erhellt. Die Kuppel ist von den Flammen fast vollständig verschlungen worden.« Theresa zog lautstark Luft durch die Schneidezähne. »Auch der Sitzungssaal ist abgebrannt. Tim meint, dass die Polizei verschiedene Brandnester entdeckt hat. Alles deutet auf Brandstiftung hin.«

      »Wer könnte das Feuer gelegt haben?«, schaltete sich Hannah nun ein und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Theresa schenkte ihr einen überraschten Blick.

      »Sie haben einen Maurer festgenommen. Einen Marinus van der Lubbe.«

      »Nie gehört den Namen«, meinte Hannahs Mutter. »Wahrscheinlich waren es wieder die Kommunisten. Selbst hier in unserer kleinen Stadt treiben sie ihr Unwesen.«

      »Die Nazis wollen doch nur, dass wir das alle glauben. Tim meinte auch, dass sie das Feuer womöglich selbst gelegt haben und jetzt einen Schuldigen suchen, den sie der Presse zum Fraß vorwerfen können. Das klingt für mich plausibel. So schnell wie sie ihr neues Gesetz verfasst haben. So etwas schreibt sich doch nicht in einer halben Stunde, noch dazu mitten in der Nacht. Wahrscheinlich haben sie nur darauf gewartet, es schnellstmöglich aus der Tasche zu ziehen. Das alles ist doch bis ins kleinste Detail geplant worden! So können sie den Schwarzen Peter schön den Kommunisten zuschieben.«

      »Was redest du da für einen Blödsinn? Und das vor Hannah. Morgen rennt sie in der Schule rum und erzählt den Lehrern davon. Solche Lügen kommen bestimmt gut an. Das fällt dann bloß auf uns zurück.«

      Hannah schluckte ihre Wut hinunter. Ihre Mutter redete über sie, als wäre sie ein kleines, dummes Mädchen, das herumlief und jedem unter die Nase rieb, was in der Familie gesprochen wurde. Doch sie biss sich auf die Zunge. Es machte keinen Sinn, etwas zu erwidern.

      »Mit deinen Hirngespinsten bringst du noch unsere komplette Familie in Gefahr. Was bedeutet es schon für uns hier unten in Bayern, wer das Feuer letztendlich gelegt hat? Es liegen mehrere hundert Kilometer zwischen uns und Berlin.«

      »Tim hat mir noch erzählt, dass Hitler außer sich war. Er hat getobt, dass er alle Kommunisten aufhängen lässt, und noch in der Nacht hat Göring die kommunistische Presse verboten. Alle


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