Von Liebe und Hoffnung. Raphaela Höfner

Von Liebe und Hoffnung - Raphaela Höfner


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laut hörbar. »Dieser Herr van der Lubbe hat behauptet, dass er Verbindungen zur SPD gehabt hätte. Tim hat seinen Namen aber noch nie gehört. Jetzt können sie die Sozis auch noch zum Sündenbock machen. Die sozialdemokratische Presse wurde für vierzehn Tage verboten.«

      »Da können wir nur hoffen, dass sich Onkel Tim nichts zuschulden hat kommen lassen.«

      Georg erbleichte. »Denkst du wirklich, dass mein Bruder ein Brandstifter ist?«

      »Ich denke gar nichts. Ich will jetzt in Ruhe frühstücken.« Sie drehte sich um und rief nach Sofia. »Ich würde es sehr begrüßen, wenn du erst einmal etwas Abstand zu Tim nimmst und nicht täglich mit ihm telefonierst.«

      »Er ist mein Bruder!«

      »Ich bin mir dessen schon bewusst, Schorsch. Aber am Ende werden noch die Telefone der Verdächtigen überwacht und ich habe keine Lust darauf, dass die Polizei auf unseren Namen kommt.«

      »Er ist kein Verdächtiger!«, donnerte Georg Sedlmayr.

      »Du widersprichst dir. Gerade eben hast du doch selbst gesagt, dass die Sozialisten auch daran beteiligt gewesen sein sollen. Tim gehört dieser Partei an. Ich zeige dir nur die Fakten auf.« Mit diesen Worten ging Theresa Sedlmayr in die Küche.

      Georg Sedlmayr blickte auf das Telefon, als würde es jede Sekunde erneut klingeln und bessere Nachrichten liefern.

      »Sind nicht bald Wahlen?«, erkundigte sich Hannah vorsichtig. »Es steht in den Zeitungen.«

      Ihr Vater nickte. »Kannst du dir vorstellen, was das für die NSDAP bedeutet? Jeder wird sie wählen. Jeder! Die Partei hat jetzt eine blütenweiße Weste. Sie ist schließlich das Opfer gemeiner Angriffe. Bessere Presse gibt es nicht für sie!«

      »Aber du wählst sie doch nicht, Papa. Mama nicht, und Hans und Sarah Sternlicht auch nicht.«

      Er nickte abwesend. Plötzlich fuhr er zu ihr herum und fasste sie mit beiden Händen an den Oberarmen.

      »Hannah, hör mir zu. Du darfst so etwas niemals außerhalb dieses Hauses sagen. Hörst du mich?!« Er packte so fest zu, dass es langsam schmerzte, doch das Mädchen nickte erschrocken. Was war nur in letzter Zeit mit ihrem Vater los? »Du bist jetzt kein kleines Mädchen mehr. Weißt du noch, was ich nach der Machtübernahme gesagt habe?«

      »Hitler bedeutet Krieg.«

      Ihr Vater küsste sie auf die Haare. »Ganz genau. Man wird große Schwierigkeiten bekommen, wenn man öffentlich etwas gegen ihn oder die Partei sagt. Ich habe schon einmal einen Krieg erlebt. Es ist immer gleich. Erst Euphorie, dann folgt die Katastrophe.« Bisher hatte ihr Vater vor ihr noch nie den Krieg angesprochen und war all ihren Fragen stets ausgewichen.

      Das Telefon schrillte bedrohlich und Georg Sedlmayr riss beim ersten Läuten den Hörer von der Gabel.

      »Sie machen jetzt Hausdurchsuchungen!«, hörte sie Onkel Tim atemlos ins Telefon sagen. Ihr Vater hatte das Gespräch laut gestellt. »Die SA darf jetzt jeden verhaften, ohne auch nur einen Grund zu nennen. Es gibt keinen Rechtsschutz mehr. Von ein paar Mitgliedern der SPD haben sie bereits die Wohnungen durchsucht, alle Briefe herausgekramt und gelesen. Die Wohnung sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Ich habe Angst, dass sie auch uns unter die Lupe nehmen.«

      »Beruhige dich, Tim. Sie werden nicht in deine Wohnung kommen. Dafür bist du ein zu kleiner Fisch im Ozean.«

      »Sag das nicht. Die Wohnungen, die durchsucht wurden, waren jene von so kleinen Fischen. Was noch schlimmer ist: Hitler will für die Brandstiftung rückwirkend die Todesstrafe einführen.«

      »Was! Das kann doch nicht wahr sein. Er weiß doch gar nicht, wer es war.«

      »Das ist offenbar völlig egal. So kann er ein paar Parteigegner umbringen lassen. Als Abschreckung.«

      »Eine Katastrophe. Bleib du nur in deiner Wohnung und versuche nicht weiter aufzufallen. Wie geht es Cilly und den Kindern?« Georg Sedlmayr klang ernsthaft besorgt.

      »Alle sind hier. Wir werden das Haus die nächsten Tage nicht verlassen, bis wieder etwas Ruhe eingekehrt ist. Wir haben genug daheim an Konserven und Trinkwasser.«

      Hannahs Vater stellte das Gespräch wieder auf lautlos.

      »Tim«, sagte er eindringlich, »besitzt du etwas, was ihnen missfallen könnte? Irgendetwas, das dich belastet? Einen Brief? Dokumente?«

      Onkel Tim antwortete, doch Hannah konnte seine Worte nicht mehr verstehen.

      »Wenn sie jetzt jeden Brief öffnen, dann verbrenne alles, was du hast. Alles, was dich irgendwie belasten könnte. Alles!«

      Die Treppe knarzte und Hannah bemerkte, wie Hermann die Stufen herunterkam. Als er sah, dass sein Vater am Hörer war, blieb er wie angewurzelt stehen und hob fragend die Augenbrauen.

      »Onkel Tim aus Berlin. Der Reichstag hat gebrannt«, wisperte Hannah ihrem Bruder zu. Dieser schlug die Hand vor den Mund und eilte zu ihnen ins Wohnzimmer. Georg Sedlmayr hängte auf. Er erzählte seinem Sohn alle Informationen, die er zuvor auch mit Hannah geteilt hatte.

      »Tim meint, dass er bald aus dem Reichstag verbannt wird. Alle anderen Parteien sollen auch raus. Die NSDAP plant, einstimmig gewählt zu werden.«

      »Wie soll das denn möglich sein? Das hat bisher noch keine Partei geschafft.« Hermann klang zuversichtlich.

      »Tim hat noch etwas gesagt«, begann Georg vorsichtig. »Hitler lässt sich permanent über die Juden aus. Alle jüdischen Abgeordneten sind aus dem Reichstag verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Keiner weiß, wo sie hingekommen sind. Er bezeichnet sie als Feinde des Reiches.« Stille.

      Hannah merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, doch sie schluckte tapfer den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, hinunter. Hermann legte tröstend den Arm um ihre Schulter.

      »Keine Angst, Hannah. Wir sind viel zu weit weg. Den Sternlichts passiert schon nichts. Hans ist kein Abgeordneter und schließlich wohnen sie nicht in der Hauptstadt. Die interessieren Hitler doch gar nicht.« Seine Worte taten gut, linderten die Angst, konnten sie aber doch nicht vollständig aus Hannahs Herzen verbannen.

      »Es gibt Millionen von Juden. Die kann man nicht mir nichts dir nichts loswerden. Das ist einfach unmöglich«, meinte Hermann weiter.

      »Wollen wir hoffen, dass sich Hitlers Judenhass legt. Er verspricht der Bevölkerung Arbeitsplätze und behauptet, dass die Juden ihre Arbeit besetzen. Anscheinend gab es schon etliche Ausschreitungen.«

      »Aber das ist in Berlin, Papa. Da sind doch alle ziemlich verrückt dort. Hier auf dem Land ist alles anders.«

      »Hier auf dem Land verspricht Hitler vor den Wahlen, dass die Bauern entschuldet werden sollen. Autobahnen sind geplant. Die Rüstungsindustrie wird angekurbelt. Das verspricht Millionen von Arbeitsplätzen. Auch hier bei uns.«

      Hermann stimmte seinem Vater zu. »Das alles klingt wirklich so, als ob Hitler einen Krieg plant. Du hast recht, Vater.«

      »Was geschieht, wenn Krieg ausbricht?« Hannah wagte kaum diese Frage laut auszusprechen. Ihre Stimme war dünn wie ein Seidenfaden. Hermann wandte sich seiner Schwester zu und beugte sich leicht zu ihr hinunter.

      »Alles ist gut, Hanni. Vielleicht gibt es ja auch gar keinen Krieg. Vielleicht möchte Hitler einfach mehr Arbeitsplätze schaffen, damit jeder Bürger zufrieden ist. Jetzt mach dir keine Gedanken.«

      Hermann meinte es gut mit ihr, doch Hannah wusste, dass er log. Er merkte doch selbst, dass Jacob und Simon Sternlicht in der Schule ausgegrenzt wurden. Dass sie eine einfache Zielscheibe für die Hänseleien der Lehrer waren, dass sie nicht zur Hitlerjugend mitdurften. Auch hier war der Hass auf die Juden angekommen.

      »Fantasiert ihr jetzt immer noch?« Theresa Sedlmayr betrat in gewohnter Perfektion das Wohnzimmer. Inzwischen waren ihre Haare geflochten und aufwändig nach oben gesteckt, die Augen und Lippen geschminkt. »Ihr habt noch nicht einmal gefrühstückt. Wo bleibt überhaupt Karl?«

      »Er kommt gleich«,


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