Nachspielzeit. Dana Müller-Braun

Nachspielzeit - Dana Müller-Braun


Скачать книгу
also gewesen sein?“

      „Stellt ihr die App endlich ab?“

      „Du weißt, dass sowas nicht so einfach ist. Wir löschen sie heute und morgen gibt es dieselbe App unter einem anderen Namen. Aber wir haben die Presse über den Fall unterrichtet. Vielleicht schreckt das einige ab, die App überhaupt zu benutzen.“

      „Sicher“, brumme ich, stehe dann auf und hole mir eine Gabel.

      „Ich …“, beginnt Jules unsicher und wirft einen verstohlenen Blick auf ihre Handtasche, „habe einen Film mitgebracht.“

      Ich verschlucke mich und greife zu meiner letzten Rettung. Dem Bier. In jeglicher Hinsicht.

      „Klar und danach spielen wir ’ne Runde Uno.“

      Sie verzieht den Mund, beugt sich dann aber zu mir. So nah, dass ich ihren Atem an meinem Nacken spüren kann. Er streicht mein Ohr und lässt meine Haut prickeln. „Ich wäre für Strip-Poker“, raunt sie so leise und rau, dass sich jedes verdammte Haar an meinem Körper aufstellt.

      „Was für ein Film?“, gebe ich mich geschlagen und räuspere mich, um wieder klar zu denken.

      „Wie ein einziger Tag.“

      „Jules“, maule ich und weite meine Augen.

      „Das war ein Witz“, sagt sie kopfschüttelnd und zieht eine DVD aus der Tasche. Noch so etwas. Woher weiß sie, dass ich keinen Blu-ray-Player besitze? Berufskrankheit?

      „Star Wars?“, frage ich ungläubig. Was zum Teufel wird das hier?

      „Ich dachte, wir fangen heute an und sehen, wie es uns gefällt.“

      „Wie uns Star Wars gefällt?“, frage ich entrüstet und auch ein wenig schockiert.

      Sie lacht und steht dann auf, um meinen Oma-Fernseher einzuschalten.

      „Wie es uns gefällt, zusammen einen Film zu schauen und dabei zu essen.“

      „Schön“, nuschle ich und sehe ihr dabei zu, wie sie mit dem DVD-Player kämpft. Irgendwann erhebe ich mich, stelle alles ein und befehle ihr, sich von allem Technischen fernzuhalten. Sie lacht und brummt etwas von Technik von vor hundert Jahren.

      Bis zur Hälfte des Films bekomme ich kaum etwas mit, weil ich so verdammt angespannt bin. Und dann bringe ich es endlich fertig, sie zu mir in den Arm zu ziehen.

      Als der Film vorbei ist und der Abspann läuft, mustere ich ihr schönes Gesicht. Ihre Augen sind geschlossen und ihr Mund ganz leicht geöffnet.

      Nie zuvor habe ich sie so intensiv angesehen. Aber warum? Sie ist hübsch. Ihre sonst so skeptisch auf mich gerichteten blauen Augen bilden einen außergewöhnlichen Kontrast zu ihren dunklen Haaren. Ihre Lippen sind perfekt geschwungen, ihre Wangenknochen stehen ganz leicht vor. Ein anderer Mann hätte wahrscheinlich keine zwei Monate gebraucht, um zu begreifen, was für eine großartige Frau sie ist. Verdammt schön, aber vor allem clever, schlagfertig, selbstbewusst. Sie ist liebevoll und gleichzeitig eine echte Raubkatze. All das würde ich ihr gerne sagen. Und auch, dass ich nicht der Richtige bin und sie verletzen werde. Aber Jules hat ihren eigenen Kopf und wird sich sowieso niemals etwas von einem Mann sagen lassen.

      Ich erhebe mich und überlege kurz, eine Decke über sie zu legen. Aber sie hat mich darum gebeten, mit ihr in einem Bett zu schlafen. Und das ist ihr sicher nicht leichtgefallen. Nicht ihr. Nicht einer so starken Frau wie ihr. Also nehme ich ihren schmächtigen Körper hoch, trage sie in mein Bett und decke sie sorgsam zu. Ich werde es probieren. Mir Mühe geben. Für sie und vielleicht auch für mich.

      Der Geruch von Kaffee weckt mich. Irritiert öffne ich meine Augen und mustere die leere Bettseite neben mir. Hat sie wirklich das Bett gemacht? Auf einer Seite?

      Frauen sind verwirrend. Ich strecke mich, erhebe mich und werfe kurz einen Blick in meine Küche. Jules steht da. Angelehnt an der Theke, eine Tasse Kaffee in ihrer Hand und in der anderen ihr Handy.

      „Guten Morgen“, sage ich und zeige auf das Bad, wo ich mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht spritze, mir durch die Haare fahre, Zähne putze und wieder zu ihr gehe.

      „Morgen“, sagt sie und deutet auf den frisch aufgebrühten Kaffee in der Kanne.

      „Wir haben einen Fall reinbekommen, ich muss gleich los.“

      Ich werfe einen Blick auf die Uhr und nicke. „Ja, ich auch.“

      „Hör zu, Severin. Es tut mir leid. Du hättest …“

      „Dich wecken können?“, frage ich schmunzelnd und küsse sie auf die Wange, bevor ich leicht mit meinem Daumen ihre Unterlippe berühre. „Du warst das erste Mal an dem Abend still. Das hätte ich für keinen Sex der Welt aufgegeben.“

      „Arsch!“, schimpft sie und boxt mir gegen die Brust.

      „Es war nicht so schlimm wie gedacht, einfach nur neben dir zu schlafen“, raune ich und küsse sie erneut. Ihre Wangen erröten ein wenig.

      „Wieso musst du so früh los? Fährst du in den Verlag?“

      Ich sehe zu Boden und greife dann schnell nach einer Tasse.

      „Nein.“ Es ist der 6. November.“

      „Oh“, macht sie und verzieht entschuldigend den Mund.

      „Ich werde Helena und die Jungs besuchen und Kevin, wenn er mich reinlässt.“

      Sie nickt nur und legt mir eine Hand auf die Schulter. Der Schmerz in ihren Augen ist echt. Nicht, weil sie Mic kannte. Nein, weil sie es war, die seine Leiche im Stadion gefunden hat, nachdem er sich selbst hinuntergestürzt hat. Sie weiß, was er mir bedeutet hat. Eine der wenigen Sachen, die sie wirklich über mich weiß.

      „Falls du nachher jemanden brauchst, ich bin nur eine WhatsApp entfernt“, flüstert sie, stellt ihre Tasse ab und küsst mich, bevor sie geht. Und als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, hinterlässt sie eine Leere, die vorher schon da war, ich aber nie wirklich wahrgenommen habe.

      Ich warte nicht lange, bevor ich mir meine Jacke schnappe, meine Stiefel anziehe und ebenfalls losgehe. Blinzelnd stocke ich, als ich Nastis Wagen vor meiner Haustür entdecke. Sie sitzt hinterm Steuer und redet mit ihrer Freisprechanlage, die ich bis hier draußen hören kann. Als ich nähertrete und an die Scheibe klopfe, beendet sie das Gespräch und öffnet mir die Tür.

      „Wie geht es dir?“

      „Was machst du denn hier, Schwesterchen?“, entgegne ich verwundert.

      „Na ja. Ich dachte, du brauchst Beistand. Oder jemanden der dich fährt. Wohin du willst.“

      „Wo ist Leonard?“, frage ich, um nicht auf ihre Fürsorge einzugehen. Ehrlich gesagt habe ich nicht einmal damit gerechnet, dass sie weiß, welcher Tag heute ist. Vielleicht unterschätze ich Nasti manchmal. Das habe ich schon damals getan, als sie mir den Arsch gerettet hat.

      „Bei Richard“, schnaubt sie. Ihre Stimme nimmt seit einem halben Jahr immer diesen bissigen Ton an, wenn sie seinen Namen sagt. Kein Wunder. Sie hat ihm nach seiner Affäre noch eine Chance gegeben, er ist ein halbes Jahr bei ihr geblieben und hat sich dann getrennt, weil er die andere liebt und sie schwanger von ihm ist. Nicht gerade die Vorzeigefamilie, die Nasti immer wollte und die beide gespielt haben.

      „Woher weißt du, dass heute …“ Ich rede nicht weiter, weshalb Nasti mir ihre Hand auf mein Bein legt. Eine seltsam ungewohnte Geste von ihr.

      „Was denkst du denn? Du bist mein Bruder und dieser Tag war schrecklich für dich. Das vergesse ich nicht einfach.“

      Ich nicke und presse meine Lippen aufeinander.

      „Würdest du mich zu Hel bringen?“, frage ich dann kleinlaut. „Du weißt schon. In Niederrad. Da, wo die Trauerfeier war.“

      Als wir ankommen, bedanke ich mich und schicke sie zurück. So wie ich Nasti kenne, würde sie sonst den ganzen Tag in ihrem Auto warten und die Mandanten am Telefon abfertigen. Zumindest kenne ich sie


Скачать книгу