Nachspielzeit. Dana Müller-Braun

Nachspielzeit - Dana Müller-Braun


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wie die, eine Frau zu belästigen?“ Ihre Stimme bricht.

      Schwer atmend schüttle ich den Kopf und verfluche Lyd innerlich dafür, dass sie mich hierher gebracht hat.

      Etwas in mir entscheidet sich, den Abstand zu minimieren. Ohne weiter nachzudenken, gehe ich auf sie zu und setze mich neben sie. Lyd hält hörbar die Luft an.

      „Hör zu, …?“ Ich sehe sie fragend an.

      „Vera“, presst sie hervor.

      „Ich benehme mich oft wie ein blöder Trottel. Da kannst du die beiden fragen.“

      Lyds Augen sind weit aufgerissen, während Tim nickt, bis ich ihm einen vernichtenden Blick zuwerfe.

      „Dieser kleine Wichser hat keine App erwähnt?“, hake ich noch einmal nach. Lydia keucht. Sie kann sich auch nicht einmal ruhig verhalten. Alles muss eine Reaktion bei ihr auslösen.

      „Nein“, gibt diese Vera knapp zurück.

      Ich versuche mich zu konzentrieren. Was daran könnte für die App sprechen? Natürlich kann man da auch um Tore wetten. Aber die eigentlichen Wetten schließen die großen Tiere ab. Eine Ebene höher als die Spieler gibt es nämlich die reichen Säcke, die auf die Spieler wetten.

      Auch gestern Nacht gab es Menschen, die darauf gewettet haben, ob der Junge die Lösung seines Rätsels vom Fenster aus hinab schreit. Wahrscheinlich war sein Freund dabei, um das alles live zu filmen.

      Ich atme schwer. Könnte der Mann eine Aufgabe gestellt bekommen haben? Aber dann hätte er die Lösung präsentieren müssen.

      „Hat er irgendetwas ohne Zusammenhang gesagt?“

      Sie schüttelt den Kopf.

      „Ich sollte Jules anrufen“, raune ich Lydia zu.

      Sie rümpft ihre Nase und sieht mich ernst an. „Die Mordkommission? Spinnst du?“

      „Wer ist Jules?“, fragt die junge Frau panisch, ich fahre mir genervt durch meine Haare und stehe auf.

      „Eine Freundin von der Polizei. Sie kann helfen, den Kerl zu finden.“

      „Habt ihr eigentlich eine Ahnung, wie Frauen wie ich in solchen Situationen behandelt werden? Als was wir von den Männern bezeichnet werden? Saftschubse oder Ginhure sind noch die netten Worte.“ Tränen platzen aus ihren Augen.

      „Ein Grapscher hier, ein tiefer Blick ins Dekolleté oder ein Zwicken in den Hintern sind auch an der Tagesordnung. Und hier …“ Sie deutet um sich herum. „Hier in dieser beschissenen, glitzernden Fußball-Welt ist es noch schlimmer!“ Sie steht auf, stellt das Wasserglas zur Seite und richtet sich noch einmal an Lydia. „Und du bist eine verdammte Frau in dieser Männerdomäne und machst nichts! Dabei könntest du mit einem Blick auf die Videos alles klarstellen.“

      „Ich …“, setzt Lyd an.

      „Na dann ruft halt die Bullen. Ich werde ihnen erzählen, was hier los war“, schreit Vera plötzlich und rennt zur Tür. „Nun macht schon! Die werden sich eh wundern, warum wir so lange gewartet haben.“

      „Das war ja erfolgreich“, brumme ich, wofür ich einen hasserfüllten Blick von Lyd ernte. Ich mache einen Schritt auf sie zu. „Es hat nichts mit der App zu tun, Lyd. Ich kann mir das jedenfalls nicht vorstellen.“

      „Ja, ja, aber du weißt es eben nicht zu hundert Prozent!“, spuckt sie mir förmlich entgegen und schlägt die Hände vors Gesicht. „Wie sicher bist du dir?“

      „Wie kamst du überhaupt darauf?“

      „Weil“, beginnt sie und sieht mich dann nachdenklich an. „Weil …“

      „Wolltest du mich vielleicht einfach nur wiedersehen?“, frage ich und zwinkere ihr zu. Ihr Mund öffnet sich.

      „Genau, Severin. Ich wollte nicht helfen. Ich wollte auch nicht einfach nur deine Hilfe. Ich wollte natürlich ausschließlich den großen, tollen Severin Klemm sehen.“ Sie prustet. Aber irgendetwas an ihr ist zu aufgebracht. Vielleicht wollte sie mich nicht einfach nur sehen. Aber sie wollte das hier nicht allein durchstehen müssen. Nicht ohne mich.

      „Sie hat recht. Wenn ich jetzt die Polizei informiere, werden die wissen wollen, warum wir zwei Stunden damit gewartet haben und die Toilette wahrscheinlich längst gereinigt wurde. So eine verdammte Scheiße. Ich hab’s versaut. Ich muss den Präsi suchen oder Max. Wir brauchen eine Entscheidung, wie wir pressemäßig damit umgehen sollen“, quillen Wortfetzen aus ihrem Mund hervor.

      „Darüber machst du dir Sorgen?“ Ich schnaube herablassend.

      „Leck mich, Sev. Manche von uns haben einen Job, den sie nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen wollen!“, flucht sie und deutet auf die Tür. „Und jetzt lass dich nicht länger aufhalten!“

      „Euer Wunsch sei mir Befehl, Eisprinzessin.“

      Sie flucht hinter mir, aber ich höre nicht hin, während ich die Gänge zurücklaufe. Wut kocht in mir hoch. Unbändige Wut, weil sie mich angerufen hat. Sie wollte meine Hilfe. Sie wollte, dass ich nachforsche, ob es was mit der beschissenen App zu tun hat. Und jetzt kostet mich das Wissen darüber schon wieder meine Nerven und meinen verdammten Verstand. So wie schon vor Monaten.

      KAPITEL 3

      SAMSTAG, 2. NOVEMBER 2019, 19.45 UHR

      LYDIA

      Jahrelang habe ich mir sehnsüchtig gewünscht, Papa und Eric würden das Kriegsbeil begraben. Jetzt wäre mir ein anderer Moment als das Spiel gegen die Bayern wahrlich lieber gewesen. Ich brauche Eric, aber die Herren sind offenbar gnadenlos versackt.

      „Die beiden haben sich gegen halb sechs Richtung Tiefgarage verabschiedet. Waren offenkundig bester Laune. Alles okay. Also mach dir keine Sorgen, Lydia“, hat mir Max vor einer guten Stunde erzählt, sich mit dem Satz „Wäre gern dabei“ herumgedreht und ist wieder in der Eintracht-Loge verschwunden. Er war nicht sehr angetan davon, dass ich ihn mit einem „Ich brauche dich kurz. Jetzt!“ von seinen Gesprächspartnern weggezogen habe. Der halbe Bayern-Vorstand war dabei. Was weiß ich, was die wieder gemeinsam ausgeheckt haben. Seit dem Katastrophen-Deal mit Nico war ja eigentlich Funkstille zwischen Frankfurt und München. Aber wer weiß, vielleicht ging es ja wieder um den Coach. Ein kleiner Plausch auf höchster Ebene. Wirklich fest im Sattel hat er schon vor der 1:5-Pleite nicht gesessen und es gab nicht wenige, die hinter vorgehaltener Hand schon in der Pause getuschelt haben, dass da wohl eine ganze Mannschaft gegen den Trainer spielt.

      Aber selbst, wenn der Papst dabei gestanden hätte … und Max sein „Bin ich das Kindermädchen der beiden?“ noch lauter hinausposaunt hätte, ich musste ihn stören. Veras Aussage bei der Polizei wird mit Sicherheit dazu führen, dass morgen früh eine ganze Hundertschaft vorm Stadion steht und alles auf den Kopf stellt. Aber was hätte ich tun sollen? Als Vera klar wurde, dass ich ihr die Videos nicht aushändigen kann, und Severin auch eine Sackgasse war, hat sie ziemlich heftig umgeschwenkt. Sie stürmte wütend aus meinem Büro und ich war ja schon froh, dass sie mir angeboten hat, selbst zum Polizeirevier in Niederrad zu gehen und so zu verhindern, dass jemand fragt, warum wir nicht gleich die Polizei geholt haben. „Ich sag dann, ich wäre völlig durcheinander weggelaufen und herumgeirrt. Das glauben die Bullen gerne“, hat sie mit einem hämischen Gesichtsausdruck von sich gegeben.

      Mir war es recht. So ließ sich vielleicht verhindern, dass die Pressekollegen die Geschichte über Gebühr ausschlachten. „Vergewaltigung im VIP-Bereich!“ Diese Schlagzeile braucht wirklich niemand. Weil zwischen den Zeilen die Frage stehen würde: Schlamperei im Sicherheitsdienst. Sind Frauen ihren Peinigern schutzlos ausgeliefert? Und keiner wird wissen wollen, was wirklich passiert ist. Dass es sich nicht immer verhindern lässt, wenn Einzelne so etwas machen. Von keinem Sicherheitsdienst. Ich habe ihr noch meine Handynummer gegeben und sie zum Ausgang gebracht.

      „Sorry, dass ich dich gestört habe“, rufe ich Max mit einem Blick auf die Uhr nach. „Ich werde die beiden schon irgendwo auftreiben.“

      Aber wo? Frankfurt bietet eine


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