Nachspielzeit. Dana Müller-Braun

Nachspielzeit - Dana Müller-Braun


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im Stadion erlebt hast. Seltsame Wetten eben. Vielleicht kann er helfen. Ist das okay für dich?“

      Sie nickt.

      KAPITEL 2

      SAMSTAG, 2. NOVEMBER 2019, 17.40 UHR

      SEVERIN

      Severin?“

      Blinzelnd sehe ich über meinen Monitor hinüber zu Achim, der vor seinem Gesicht herumschnipst, als würde er sich selbst aufwecken wollen. Ich hebe meine Brauen und fahre mir durch die Haare.

      „Was, Achim?“

      „Hast du das gelesen?“

      Ich verziehe den Mund und atme tief durch.

      „Was, Achim?“, wiederhole ich meine Frage und werfe einen Blick aus dem Fenster.

      „Bei deinem scheiß Zockerspiel ist einer draufgegangen. Ist gerade als Agenturmeldung reingekommen.“

      Wie elektrisiert erhebe ich mich und gehe um den Tisch zu ihm hinüber. Mein Blick fixiert den Bildschirm und die Worte, die da groß und fett stehen. Mir mit jedem einzelnen Buchstaben Panik und Schuld in die Glieder rammen.

      War es nur eine dumme Wette? 19-Jähriger stirbt nach Fenstersturz.

      „Ich muss da hin“, murmle ich völlig in Gedanken, greife mir meine Jacke und gehe, ohne auf Achims Rufe zu hören.

      Dieses verdammte Spiel. Diese verdammte App. Ich verdammter Idiot. Warum habe ich es nicht geschafft, sie abstellen zu lassen?

      Kurz bevor ich am Aufzug bin, fingere ich mein Handy aus der Tasche und wähle Tims Nummer.

      „Bist du schon raus aus dem Stadion? Du musst mich abholen.“

      „Hast du ’nen Knall?“

      „Tim!“, knurre ich zurück, nehme das Handy kurz von meinem Ohr, um mich zu beruhigen, und rede dann weiter. „Ein Spieler ist gestorben.“

      Mit einem „Bin unterwegs“ beendet Tim das Telefonat. Ich starre verwirrt auf mein Handy, rufe den wenigen Kollegen am Newsdesk „Außentermin!“ zu und trete in den Aufzug. Die Erinnerungen überrennen mich. Lassen mich taumeln, bis ich mich schwer atmend gegen die kühle Fahrstuhlwand lehne.

      Der Tote könnte ich sein. Ich, weil ich über diese blöde App recherchieren wollte, aber immer weiter in den Sumpf hineingeraten bin.

      Unten angekommen, muss ich nicht lange warten, bis Tim in seinem schwarzen BMW vorfährt. Von Sachsenhausen ist es nur ein Katzensprung hierher. Jedenfalls an einem Samstagnachmittag. Selbst dann, wenn die Eintracht gespielt hat.

      „Wo müssen wir hin?“, fragt er, als ich einsteige, und mustert mich. Mustert mich mit diesem bestimmten Blick, den auch Lydia nach meiner Verhaftung draufhatte. Als wollten sie nachsehen, ob etwas in mir zerbrochen ist. Dabei vergessen sie, dass man es nicht sehen kann. Keiner kann das, außer mir.

      „Uni“, zische ich. „Westend.“

      Die Stille im Auto erdrückt mich und bringt alles zurück. Die Blicke. Die Stille. Die Enttäuschung in Lydias Augen, als sie begriff, dass ich nie in einem Kriegsgebiet gewesen war. Dass ich nie zu dem Journalisten geworden bin, den sie in mir gesehen hat. Stattdessen bin ich einer abstrusen Wettgesellschaft hinterhergejagt und habe mich selbst zum Spieler gemacht.

      Nach einer halben Ewigkeit kommen wir endlich an. Ich springe aus dem Auto und während Tim einen Parkplatz sucht, stürme ich auf den abgesperrten Bereich vor dem Brunnen.

      Die Leiche wird abgeschirmt und einige Polizisten halten weinende Studenten zurück. Wieder prasseln Bilder auf mich ein. Diesmal von Lydia, Tim und mir. Von einer unbeschwerten Zeit hier am Campus. Ich sehe kurz hinter mich zum Casino, in dem wir so oft gegessen haben.

      „Was ist passiert?“, frage ich einen der Polizisten. Er versucht auf dem Presseausweis, den ich ihm vor die Nase halte, etwas zu erkennen, und sofort wird sein Blick abschätzig.

      „Die Presse ist also auch schon da.“

      „Was ist passiert?“, wiederhole ich und balle meine Hände zu Fäusten. Seit ich in der Türkei nach den Betreibern der Wett-App gesucht habe, ist da wieder diese Wut in mir. Eine, die ich kaum imstande bin zu bändigen.

      „Ein Student ist aus dem zweiten Stock gestürzt“, übernimmt eine junge Frau neben mir das Wort. Ihre Stimme klingt fassungslos und gebrochen. So, wie sich meine Stimme wahrscheinlich auch einmal angehört hat. Damals, vor den Toten in der Tiefgarage. Vor Kats Tod, bevor Lydia entführt wurde und bevor Mic entlassen wurde, nur um sich dann das Leben zu nehmen.

      Ich schlucke schwer und räuspere mich, um meine Fassung wieder zu erlangen.

      „Und er hat diese App gespielt?“, frage ich sie und zeige auf meinem Handy das rot-schwarze Symbol des Icons.

      Sie zuckt mit den Schultern und deutet dann auf einen Kerl, der oben an der Treppe steht und starr hinabsieht. „Frag ihn.“

      Der Polizist seufzt, doch ich ignoriere ihn und gehe auf den paralysierten jungen Mann zu.

      „Hey“, versuche ich einen Anfang und lege den Kopf ein wenig schief. „Bist du ein Freund des Toten?“

      Bei diesem Wort treffen mich seine vernebelten Augen. Dann nickt er matt und resigniert.

      „Wir wollten doch nur …“ Seine Stimme bricht.

      „Severin!“, höre ich plötzlich Tims Stimme, ignoriere sie aber. Im Augenwinkel erkenne ich den Polizisten. Er wird auch begriffen haben, dass dieser Junge hier dabei war.

      „Was ist passiert?“, fordere ich eindringlich und berühre seine Schulter.

      „Wir wollten nur ein bisschen Geld verdienen. Und Marvin wusste alles über die Eintracht und …“

      „Und?“

      „Er sollte die nächste Antwort vom Fenstersims aus hinausschreien. Aber wir haben vorher getrunken und …“

      „Kommen Sie bitte mit mir“, unterbricht uns der Polizist und stellt sich zwischen uns. Hier werde ich also keine Informationen mehr bekommen. Verdammt. Diese beschissene App.

      „Severin!“, höre ich Tim wieder schreien. Jetzt deutlich näher und völlig außer Atem.

      „Was ist los, Mobby Dick? Bist du schon wieder gerannt?“, frage ich mit zusammengezogenen Brauen, als er vor mir ankommt und sich schweratmend auf seinen Beinen abstützt.

      Tim brummt irgendetwas, das ich nicht verstehe, sich aber verdächtig nach „Arschloch“ anhört. Ich drehe mich um und suche nach einem bekannten Gesicht und dann erkenne ich sie.

      „Jules!“, rufe ich über den Campus. Ein paar der Polizisten drehen sich um und dann trifft mich ihr Blick. Sie sieht so verdammt zornig aus, dass ich belustigt einen Mundwinkel hebe, während sie auf mich zu stapft.

      „Du sollst mich ordentlich ansprechen, wenn ich im Dienst bin, Severin!“, knurrt sie kaum hörbar und funkelt mich böse an. Ich hebe beschwichtigend meine Hände und deute dann auf den jungen Kerl, den ich gerade noch befragt habe.

      „Sie sind Spieler?“, frage ich, obwohl es viel eher eine Feststellung ist. Aber Jules mag es, wenn ich ihr das Gefühl gebe, sie hätte alles in der Hand, während ich sie um kleine Happen an Informationen anbetteln muss. „Oberkommissarin Monika Julia Lacker“, füge ich noch schnell und grinsend hinzu.

      „Ja, Herr Klemm. Sie sind Spieler. Einer von ihnen war ein Spieler. Denn jetzt ist er tot. Verstehst du? Es gibt eine Leiche. Also hast du hier nichts zu suchen. Ich bin die Polizei.“

      „Und ich Journalist“, sage ich mit geschwollener Brust und schnipse Tim zu, der mich nur verdutzt ansieht, statt mir einen Zettel zu reichen. Anfänger.

      „Das ist kein Spiel, Sev“, flüstert Jules und tritt ein wenig näher. „Du wärst ebenfalls fast gestorben und …“

      „Genau genommen


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